Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) konnte kaum anders entscheiden, als er es getan hat. Seine Aufgabe ist, festzulegen, welche Leistungen von der Kasse bezahlt werden. Und zwar nach medizinischen Gesichtspunkten. Hier ist die Lage klar: Die sogenannten „invasiven Tests“ auf Trisomien bergen das Risiko einer Fehlgeburt. Der nicht-invasive Pränataltest (NIPT), bei dem der Mutter bloß eine Blutprobe entnommen wird, ist risikofrei. Es wäre unsinnig, einen gefährlichen Test zu bezahlen und einen ungefährlichen Test nicht. So weit, so logisch.
Doch der Fall zeigt auch: Das System des G-BA stößt an seine Grenzen. Denn natürlich steckt hinter dem NIPT eine viel größere Frage: Wie viel dürfen Eltern über ihre ungeborenen Kinder wissen? Ist es ethisch vertretbar, einen unschlagbar einfachen Test zu bezahlen, der zur Folge haben könnte, dass immer mehr Embryonen mit Down-Syndrom oder anderen Trisomien abgetrieben werden?
Wenn der Einzelfall zur Regel wird
Natürlich haben werdende Eltern Vertrauen verdient. Vielen von ihnen kann es helfen, wenn sie sich seelisch darauf vorbereiten können, dass sie ein Kind mit Down-Syndrom bekommen werden. Doch die Realität ist: Die meisten entscheiden sich für einen Abbruch. Auch das ist eine sehr persönliche Entscheidung. Doch mit jedem zusätzlichen Test, der vermeintliche Makel wie eine Behinderung sichtbar macht, steigt der Druck auf Schwangere. Schon heute berichten Eltern von Kindern mit Down-Syndrom von Kommentaren aus ihrem Umfeld, es sei doch heutzutage nicht mehr nötig, ein solches Kind auszutragen.
Behindertenverbände schlugen deshalb Alarm. Sie fürchten eine systematische Suche nach Trisomien. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat versucht, diesen Bedenken Rechnung zu tragen. Der Test soll nicht zum Regelfall werden, sondern nur für den begründeten Einzelfall gelten. Wie häufig Ärzte diesen Einzelfall bescheinigen werden, ist fraglich. Er könnte unter Umständen doch zur Regel werden. Denn der Einzelfall gilt laut Beschluss dann, wenn eine „für die Schwangere schwerwiegende Beeinträchtigung des seelischen Gesundheitszustandes oder eine Belastung“ erwächst.
Das erinnert an die Regelung zum Schwangerschaftsabbruch bei „medizinischer Indikation“. Demnach dürfen Schwangerschaften abgebrochen werden, wenn zum Beispiel eine Trisomie festgestellt wurde und die Folgen für die Schwangere unzumutbar sind. Auch das klingt nach einer „Einzelfall“-Regelung. Tatsächlich werden laut Experten etwa neun von zehn Föten mit Trisomie 21 abgetrieben.
Der Staat muss Leben schützen
Das macht die Entscheidung des G-BA bei allen medizinischen Vorteilen zur Gefahr. In Zukunft könnten noch weniger Babys mit Down-Syndrom geboren werden. Daher ist die Entscheidung des G-BA zumindest fragwürdig.
Diese und andere Bedenken hat der Gemeinsame Bundesausschuss intensiv diskutiert.Jedoch: Darüber zu urteilen, übersteigt seine Kompetenzen. Er muss entscheiden, welche Leistungen medizinisch sinnvoll sind. Doch die Entscheidung, ob sie der Menschenwürde entsprechen und ob sie im richtigen Verhältnis mit dem Selbstbestimmungsrecht stehen, ist Aufgabe des Gesetzgebers – und auch des Bundesverfassungsgerichtes.
Das Gesundheitsministerium muss dem Beschluss noch zustimmen, erst 2021 soll die Neuregelung in Kraft treten. Es ist also genug Zeit für eine breite Debatte. Und zwar da, wo sie hingehört. Und das ist nicht das Expertengremium des G-BA, sondern der Deutsche Bundestag. Dort berieten die Abgeordneten bereits über das Thema. Doch der Gesetzgeber muss darüber hinaus dafür sorgen, dass der NIPT-Test nicht zur Folge hat, dass Kinder mit Down-Syndrom selbstverständlich aussortiert werden. Danach sieht es im Moment leider aus.