Gestern war es mal wieder so weit: Ich habe mich angewidert aus der Live-Übertragung aus dem Bundestag ausgeklinkt. Die spröde und kalte Reaktion von Alice Weidel (AfD) auf die beherzte Rede der Kanzlerin zur dringend notwendigen Rücknahme der zunächst versprochenen Lockerungen war eiskalt und distanziert.
Angela Merkel hatte gerade in einer außergewöhnlich emotionalen Rede für mehr Solidarität der Bürger geworben, und das in einer für sie eigentlich atypischen Weise laut und heftig. Sie flehte geradezu um Akzeptanz der Regelung für die nächsten Wochen, zuhause zu bleiben und Kontakte zu Menschen außerhalb der Familie zu unterlassen. Nicht gezwungen, sondern um der Sache willen und außerhalb der Hotspots auch freiwillig. Die Körpersprache und Gestik unterstrich die Vehemenz ihres Auftritts. Auch die vorwurfsvolle und abrechnende Reaktion vom chronisch oppositionellen Christian Lindner war an Frivolität nicht zu überbieten.
Ätzende Besserwisserei schadet
In dieser nach dem Zweiten Weltkrieg nie dagewesenen Krise, sollte man erwarten können, dass über alle politischen Lager hinweg die ideologischen Animositäten, die üblicherweise in der parlamentarischen Demokratie gepflegt werden, in Quarantäne geschickt werden und alle an einem Strang ziehen, um der Pandemie wirkungsvoll zu widerstehen. Alle, die sich berufen fühlen, der Bundesregierung entgegen wissenschaftlichen Erkenntnissen die Kompetenz fundamental abzusprechen, müssen sich die Frage stellen, was er oder sie denn in der jetzigen Lage getan hätte. Kritik ist natürlich immer erlaubt. Aber diese ätzende Besserwisserei untergräbt das Vertrauen in die parlamentarische Demokratie.
Jenseits meiner persönlichen parteipolitischen Präferenz oute ich mich als Unterstützer und Bewunderer unserer Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Finanzminister Olaf Scholz (SPD). Was die beiden unter schwersten Bedingungen leisten, ist unglaublich. Angela Merkel wirkt übermüdet und ausgepowert. Neben der Corona-Pandemie wird sie in der EU gebraucht und in der Bewältigung des nicht enden wollenden Flüchtlingsstroms.
Gestern musste sie sich von Alice Weidel in Anspielung auf ihre DDR-Vergangenheit sagen lassen: „Kommen Sie heraus, aus Ihrem geistigen Wandlitz!“ Solange sich die AfD so frivol und gehässig benimmt, so lange wird sie die Grenzen weiter nach Rechts-rechts-Außen verschieben. Der point of no return ist nahe. Es wird Zeit für den Exodus derer, die aus demokratischen Gründen AfD gewählt haben oder gewählt wurden, aber nun erfahren müssen, in welchem krawalligen, teils rechtsradikalen Gesinnungsverein sie gelandet sind.