Am Donnerstag hat sich der Deutsche Bundestag in einer Aktuellen Stunde mit islamistischem Terror in Europa befasst. Abgeordnete aller Fraktionen im Bundestag bekundeten ihre Solidarität mit den Opfern von Wien, Nizza und Paris und deren Angehörigen. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) warnte in der Aussprache nach dem jüngsten islamistischen Anschlag in Wien vom Montag vor Aktionismus. „Unser Kampf gegen Terrorismus richtet sich nicht gegen den Islam, sondern gegen fanatischen und gewalttätigen Extremismus“, erklärte der Innenminister. „Ich werbe dafür, mit Schnellschüssen immer zurückhaltend zu sein“, sagte Seehofer und riet, nicht „reflexartig“ nach neuen Gesetzen zu verlangen. Es komme vielmehr darauf an, das geltende Recht konsequent anzuwenden, sagte er auch angesichts der Anschläge in Frankreich und Österreich. Seehofer erinnerte an drei Anschläge mit islamistischem Hintergrund in diesem Jahr in Deutschland.
„Die Gefährdungslage bei uns im Lande ist hoch“, sagte Seehofer im Parlament. Mit Anschlägen müsse auch hierzulande jederzeit gerechnet werden. „Ich darf hier mal mitteilen, dass wir derzeit 615 islamistische Gefährder in Deutschland haben“, erklärte der CSU-Politiker. Von den Gefährdern haben nach Angaben Seehofers 217 die deutsche Staatsangehörigkeit, mehr als 100 neben der deutschen Staatsangehörigkeit noch eine weitere. „Ich nenne diese Zahlen, um nunmehr deutlich zu machen, dass hier ein sehr umfassender Ansatz notwendig ist und man sich nicht nur auf eine Nationalität konzentrieren sollte.“ Seehofer warb für engere Zusammenarbeit der europäischen Sicherheitsbehörden zur Terrorismusbekämpfung. Am 13. November wollen die EU-Innenminister auf einer gemeinsamen Konferenz über die Bekämpfung von Islamismus und Terrorismus in Europa beraten.
Religionen müssen Kritik über sich ergehen lassen
„Unsere Antwort ist: Mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Humanität“, sagte Ute Vogt von der SPD. Terrorismusbekämpfung beginne in den Köpfen. Allen anti-aufklärerischen Tendenzen, die am Ende zu Fanatismus führten, erteilte Vogt eine Absage. „Terror entsteht auch durch Nachahmung“, erklärte Vogt. Dies gelte es im Zeitalter der sozialen Medien zu beachten. Den Tätern dürfe in den Medien kein Platz eingeräumt werden. „Wir müssen über die Opfer reden und die Täter so wenig wie möglich erwähnen“, erklärte die SPD-Politikerin.
„Zu unserem Grundverständnis gehört auch Meinungsfreiheit. Das schließt ein, dass Religionen und Religionsgemeinschaften auch Kritik über sich ergehen lassen müssen“, erklärte Stephan Thomae von der FDP. Das Grundgesetz schütze die Religionsausübung, aber es schütze nicht vor Kritik an der eigenen Religion. „Das ist ein wichtiger Grundsatz, den alle Menschen beherzigen müssen, die bei uns auf Dauer leben wollen“, sagte der FDP-Politiker und forderte „mehr islamischen Religionsunterricht, damit Jugendliche und Kinder ihre Auffassung von Religion nicht in Moscheevereinen bekommen“. Die Vereine müssten seiner Meinung nach kritischer durchleuchtet, dürften nicht aus dem Ausland finanziert und müssten notfalls verboten werden. Gefährder sollten konsequent überwacht und „wo es rechtlich möglich ist, eben auch konsequent abgeschoben werden“.
Nach Ansicht von Tino Chrupalla von der AfD-Fraktion versuchten der gewaltbereite Islamismus und der Dschihadismus die Spielregeln in Europa zu ändern. „Die Mordanschläge von Paris, Nizza und Wien zielten auf das Herz unserer Kultur und unserer Demokratie. Sie waren Anschläge auf unsere Werte“, erklärte der AfD-Politiker und stellte eine Verbindung zwischen Migration, jungen radikalisierten Muslimen auf dem Balkan und islamistisch motiviertem Terror her. „Als der große Migrationsstrom im Sommer 2015 über den Balkan nach Deutschland floss, haben wir von der AfD davor gewarnt, dass viele gewaltbereite Islamisten im Strom der Migranten mitschwimmen könnten“, sagte Chrupalla. Die Antwort auf den Terror liegt nach Ansicht des AfD-Politikers in dem „vertieften, gefestigten Bekenntnis zum säkularen Staat, zum demokratischen Rechtsstaat samt Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit und Religionskritik“.
Nach Ansicht von Konstantin von Notz, Bündnis 90/Grüne, führen „pauschale Forderungen nach Abschiebung in die Irre“. Der Grünen-Politiker erinnerte daran, dass die meisten Menschen, die von Islamisten ermordert würden, Muslime seien. Die „Chiffre der Rechtsextremisten und Islamisten vom Religionskrieg“ sei irreführend und falsch.
Amira Mohamed Ali von der Linken forderte die Aufklärung der „abscheulichen Verbrechen“ und die Aufdeckung der islamistischen Netzwerke zur Verhinderung weiterer Anschläge. Wo Hass und Gewalt gepredigt würden, müsse mit allen rechtsstaatlichen Mitteln durchgegriffen werden. Es sei notwendig, den „Terroristen den Geldhahn zuzudrehen“ und Waffenlieferungen zu unterbinden. „Länder, die den Terror exportieren, dürfen keine strategischen Partner sein“, sagte die Linken-Politikerin. Ziel der Terroristen, Angst zu schüren und die Gesellschaft zu spalten. Es dürfe keinen Zweifel daran geben, dass alle Muslime, die hier friedlich und auf dem Boden des Grundgesetzes lebten, ein gleichwertiger und gleichberechtigter Teil der Gesellschaft seien und nicht einem Generalverdacht unterliegen dürften.
Von: Norbert Schäfer