Die Zeit, in der der Deutsche Evangelische Kirchentag stattfindet, ist beunruhigend: Weltweit erstarkt der Nationalismus, internationale Zusammenarbeit ist auf dem Rückzug. Einmal geschlossene internationale Verträge haben eine immer geringere Halbwertszeit, stattdessen geht es immer mehr Ländern vor allem darum, den höchstmöglichen eigenen Vorteil zu suchen.
Natürlich geht es hier auch um Donald Trump, dessen Name auf dieser Kirchentagsveranstaltung im Vortrag der Bundeskanzlerin in der Dortmunder Westfalenhalle allerdings nicht fällt. Erst auf Nachfrage des Moderators erklärt Angela Merkel, dass natürlich auch mit dem amerikanischen Präsidenten geredet werden müsse – eine Selbstverständlichkeit. Und doch wird auch zwischen den Zeilen immer wieder deutlich, wie frustriert Bundeskanzlerin Angela Merkel von der gegenwärtigen Lage der internationalen Zusammenarbeit ist. Thema des Vormittags ist das Vertrauen als Grundlage für internationale Zusammenarbeit.
Merkel beginnt mit einem großen historischen Bogen, wie sie es in den vergangenen Monaten öfters macht. Nach dem Zweiten Weltkrieg sei es das Vertrauen der Alliierten gewesen, das den Wiederaufbau Deutschlands ermöglicht habe. Nach dem Fall der Berliner Mauer hätte es die Zwei-plus-Vier-Verträge ohne ein grundlegendes Vertrauen nicht gegeben. Die Versöhnung zwischen Deutschland und Polen, die europäische Einigung und die Versöhnung mit dem einstigen „Erbfeind“ Frankreich sei ohne Vertrauen nicht denkbar gewesen.
„Nichts davon kann ein Land alleine bewältigen“
Und heute? Es wirkt, als wolle Merkel sagen: Heute würde die internationale Gemeinschaft diese historischen Meilensteine nicht mehr einschlagen können. Sie nennt die gegenwärtigen großen Herausforderungen wie Digitalisierung und Klimawandel. „Nichts davon kann ein Land, und sei es noch so stark, alleine bewältigen – nicht dauerhaft, davon bin ich überzeugt.“
Im Vortrag zuvor hat die ehemalige Präsidentin Liberias und Friedensnobelpreisträgerin Ellen Johnson-Sirleaf, eine wahre Lobeshymne auf die Kanzlerin angestimmt. Merkel habe das Land als erste deutsche Kanzlerin 2007 besucht, seither habe die beiden eine Freundschaft verbunden. Merkel habe sich besonders bei den G8 für einen Schuldenerlass für das von Krieg geschüttelte Land in Afrika eingesetzt. Die Staatsverschuldung Liberias sei dann um 92 Prozent gesunken. Die Regierung konnte neues Geld für Bildung, Infrastruktur und Gesundheit einsetzen. Gute Jahre folgten, bis Liberia von Ebola heimgesucht wurde. Auch hier habe sich unter anderem Deutschland wieder stark für eine internationale Lösung des Problems eingesetzt, sagt Johnson-Sirleaf.
Auf der „richtigen Seite der Geschichte“ stehe Merkel, und „die Geschichte wird sich an Sie erinnern als einen der größten Führer weltweit“, sie sei ein „Champion“ multilateraler Zusammenarbeit. „Sie sind bereit, aufzustehen bei wichtigen Fragen, selbst wenn das ihrer Karriere schaden würde.“
„Don’t quit“
Am Ende richtete sie „eine einzige Bitte“ an Angela Merkel: „Don’´t quit“, „höre nicht auf“, zu viel sei jetzt schon erreicht. Für Johnson-Sirleaf ist Merkel eine der letzten Hoffnungen, dass es mit der internationalen Zusammenarbeit doch nicht ganz aus sein könnte. Der Saal unterstützt die Forderung mit lautem Beifall. Das ist umso beachtlicher, als das Kirchentagspublikum mehrheitlich wohl nicht der CDU zuneigen dürfte.
Merkel reagiert abgebrüht und humorvoll auf die Forderung: In Liberia sei mittlerweile glücklicherweise die demokratische Übergabe der Macht ja der Normalfall geworden, und das sei in Deutschland eben auch so.
2030, dann wird Merkel aller Voraussicht nach keine Kanzlerin mehr sein, wollen die Vereinten Nationen die 17 Nachhaltigkeitsziele erreichen. Dazu gehört die Abschaffung der Armut, die Gleichstellung der Geschlechter und die Bekämpfung des Klimawandels. „Veränderungen zum Guten sind möglich“, sagt die Kanzlerin. Sie klingt dabei nicht hoffnungslos, aber nicht restlos überzeugt. Gerade Christinnen und Christen könnten diese Kraft auch aus dem Gottvertrauen schöpfen. „Wir können die Erderwärmung stoppen. Wir können den Hunger besiegen, wir können Krankheiten ausrotten, den Menschen, besonders den Mädchen Zugang zu Bildung verschaffen.“
Doch wer Merkel verstehen will, muss auf ihre sorgsam gewählten Worte genau achten. Im Zuge der Flüchtlingskrise hatte sie den viel zitierten Satz „Wir schaffen das“ gesagt – und war dafür heftig kritisiert worden. In Bezug auf die globalen Herausforderungen fällt ein ganz ähnlicher, und doch ganz anderer Satz. Sie sagt nicht „wir schaffen das“, sondern „wir können das schaffen“. Es klingt wie ein Wunsch, der nicht erfüllt werden kann.
Nach den Fragen des Publikums richtet Merkel eine ernste Warnung an die Zuhörer. Bald würden die letzten Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges sterben. Es könne gut sein, dass die neue Generation immer skeptischer werde, was die internationale Zusammenarbeit angeht. Was bringe schon die UNO, was bringe schon der Sicherheitsrat oder die Europäische Union? „Doch, es lohnt sich, sich darum zu bemühen, und sei der Fortschritt noch so klein!“
Die Geschichte lehre, dass wenn die Menschen die Lage schlecht finden würden, es immer noch schlechter werden könne. Sie halte sich an ein anderes Motto: „Verbessere das Unvollkommene, weil das Unvollkommene noch schlechter werden könnte.“
Von: Nicolai Franz