Die Justizministerin und Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl, Katarina Barley, hat die Kirchen und andere Religionsgemeinschaften dazu aufgefordert, sich füreinander einzusetzen. Bei einer Tagung der Christen in der SPD sagte sie, ein „Leuchtturm“ sei für sie die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern, die sich nach einem antiislamischen Terroranschlag mit den Muslimen im Land solidarisierte. Ardern hatte sich nach einer rechtsextremistischen Bluttat mit 50 Todesopfern in Christchurch mit Kopftuch bei der offiziellen Trauerveranstaltung gezeigt. Barley würdigte das: Angriffe auf einzelne Religionsgemeinschaften seien immer Angriffe auf alle Religionen und auf die friedlich zusammenlebende Gesellschaft. In diesem Sinne lobte sie die Stimmen gegen Antisemitismus aus den Kirchen.
Högl: Christen sollen den Finger heben
Gast bei der Tagung mit dem Thema „Europa – ein Friedensprojekt“ war auch Eva Högl, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD. Sie erklärte: „Wir blicken mit einiger Sorge auf das, was in der Welt passiert.“ Egoismen und Rechtsextremismus sowie Populismus bedrohten Europa. Das Fundament der EU liege im christlichen Glauben: Gerechtigkeit, Menschenwürde, Nächstenliebe und Barmherzigkeit seien Werte, die Europa mitgestaltet hätten, ebenso wie die Religionsfreiheit. Diese sei für die Christen in der SPD ein wichtiger Wert: „Wir dulden weder Antisemitismus, noch Muslimfeindlichkeit und natürlich auch keine Anfeindungen gegen Christinnen und Christen.“
Für sie persönlich sei der christliche Glaube „das Fundament“ für ihr politisches Engagement. Er sei ihr Ratgeber und Kompass für politische Entscheidungen. Als Beispiel nannte sie die Debatte im Deutschen Bundestag zu Pränataltests am Donnerstag. Högl rief Christen dazu auf, sich politisch zu engagieren „und den Finger zu heben“, wenn sie mit Entwicklungen nicht zufrieden seien.
Der religionspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Lars Castellucci, sagte: „Ein Glaube, der in der Welt nichts bewirken will, den kann man sich eigentlich sparen.“ Die Menschenwürde sei ein Grundsatz, den er der Bibel und dem SPD-Grundsatzprogramm entnehme und der auch in Europa gelebt werden müsse. Doch: „Diese Gleichwürdigkeit ist in Europa bedroht.“ Als Gründe nannte er Nationalismus und Rechtspopulismus, aber auch: „Wo Menschen auf dem Mittelmeer fortgesetzt sterben, ist die Würde des Menschen bedroht.“
Bischof warnt vor Fundamentalismus
Der katholische Bischof von Essen und Vizepräsident einer EU-Komission der Bischofskonferenzen, Franz-Josef Overbeck, warnte vor Fundamentalismus. Religion könne den Frieden nachhaltig fördern, doch Fundamentalisten schürten gewalttätige Konflikte, „vor allem dann, wenn ihre Anhänger Glauben mit Wissen verwechseln“. Mithilfe von Stereotypen grenzten sie sich von anderen ab und ließen sich durch schlichte Weltsichten leiten, die die Welt in Freund und Feind einteilten. Jeder Form von Fundamentalismus müsse der Boden entzogen werden, damit Frieden gewährleistet sei. Overbeck warnte vor „selbsternannten Rettern des Abendlandes“. „Wer Europas Identität allein im Christentum verortet, der ignoriert eine wichtige Tatsache“, sagte er. Mindestens das Judentum habe Europa ebenfalls geprägt. Eine gut demokratische Politik müsse alle Religionen in gleicher Weise ernst nehmen und ihnen Räume zur Entfaltung gewähren, „wobei kein kulturelles oder religiöses Verhalten gegen Menschenrechte verstoßen darf“. Muslime mahnten in Deutschland eine Ungleichbehandlung an. „Wenn sich Gläubige nicht ernst genommen fühlen, droht die Vereinnahmung“, sagte er mit Blick auf fundamentalistische Kräfte.
Der Staatsminister für Europa im Außenministerium, Michael Roth (SPD), erklärte, durch die zunehmende Säkularisierung sei der Glaube an Wahrheiten in Europa abhanden gekommen. „Der Konsens über unsere Werte ist kein Konsens mehr“, sagte Roth. Er wandte sich gegen einen Laizismus nach französischem Vorbild: Wenn Kinder in Kindergärten und Schulen nichts über Religion erführen, „dann dürfen wir uns nicht wundern, dass teilweise Fundamentalisten den Ton angeben“.
Von: Anna Lutz