Worum geht es?
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will in einer wissenschaftlichen Studie die „seelischen Folgen“ von Schwangerschaftsabbrüchen untersuchen lassen. Das Kabinett genehmigte dafür Mittel in Höhe von 5 Millionen Euro. Die geplante Studie ist Teil des Kompromisses um das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche, dessen Eckpunkte im Dezember öffentlich wurden. Im Referentenentwurf zum Kompromiss im Januar war davon aber nicht mehr die Rede. Dass die Studie trotzdem kommen soll, überrascht daher.
Wie reagieren die Kritiker?
Empört. „Ein Skandal, für solchen Unsinn Millionen auszugeben“, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Florian Post der Bild am Sonntag. Cornelia Möhring von der Linken sagte, die Regierung verfalle „der Argumentation der Abtreibungsgegner“. Die Europaabgeordnete Maria Noichl (SPD) nannte es laut mehreren Medien „Wahnsinn, das zu tun“, die Entscheidung zeuge von „rechtsextremen Gedankengut, wie ich es auch im Europäischen Parlament täglich erlebe“.
Warum ist die geplante Studie umstritten?
Das Hauptargument gegen Spahns Pläne ist, dass es bereits sehr viele Studien zu dem Thema gebe, die alle zum selben Ergebnis kämen: „Risikofaktor ist nicht der Eingriff selbst, sondern die wahrgenommene Stigmatisierung und vorangegangene psychische Erkrankungen“, sagt etwa die Beratungsorganisation profamilia, die sich für eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts einsetzt.
Zudem gebe es das sogenannte „Post Abortion Syndrome“ nicht, von dem Lebensschützer sprächen. Der Begriff, der aus den 1980er Jahren aus den USA stammt, ist tatsächlich kein akzeptiertes Krankheitsbild. In der ICD-10, der Klassifizierung der Weltgesundheitsorganisation, taucht das Post Abortion Syndrome daher auch nicht auf.
Was hat die Forschung bisher herausgefunden?
Die erschienenen Studien zeichnen kein einheitliches Bild und unterscheiden sich erheblich in ihrer Qualität. Allerdings gibt es mehrere Übersichtsarbeiten, die diese Studien bewerten und zusammenfassen.
Die American Psychological Association (APA) untersuchte 2008 alle Studien, die seit 1989 erschienen waren. Zwar liegt demnach der Anteil an Frauen mit seelischen Problemen bei denen höher, die eine Schwangerschaft haben abbrechen lassen, als bei denen, die dies nicht taten. Dafür sei jedoch nicht die Abtreibung an sich verantwortlich, sondern wahrscheinlich andere Faktoren, vor allem psychische Vorerkrankungen.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kam das britische „National Collaborating Centre for Mental Health“ 2011 in einer systematischen Übersichtsarbeit über bereits erschienene Studien. Wenn eine Frau eine ungewollte Schwangerschaft beenden lasse, glichen die psychischen Folgen denen, wenn eine Frau eine – ebenfalls ungewollte – Schwangerschaft austrage.
Die Autoren geben zu bedenken, dass es schwierig sei, festzustellen, ob eine Schwangerschaft gewollt sei oder nicht: „Zum Beispiel könnte eine Schwangerschaft, die ungewollt war, später zu einer gewollten werden und umgekehrt.“ Je mehr verzerrende Faktoren berücksichtigt würden, desto besser vergleichbar seien die psychischen Folgen nach einer Abtreibung mit denen nach einer Geburt: „Abtreibung scheint nicht deren seelischer Gesundheit zu schaden.“
Als „Störfaktoren“ identifizieren die Autoren aber auch, wenn eine Frau etwa „eine negative Einstellung gegenüber Abtreibung“ oder eine „negative emotionale Reaktion“ zur Abtreibung zeigt. Diese Frauen haben nach Studienlage tatsächlich ein höheres Risiko, seelischen Schaden zu nehmen.
Interessanterweise kommt eine Langzeitstudie aus Neuseeland, die die britischen Forscher als „sehr gut“ bewerteten, zu einem anderen Schluss: Laut dieser Arbeit erhöht sich das Risiko, seelische Schäden davon zu tragen, bei einer Abtreibung um 30 Prozent gegenüber einer ausgetragenen Schwangerschaft – selbst wenn nur die ungewollt Schwangeren befragt wurden. Studienleiter David Fergusson, nach eigener Aussage Atheist und Abtreibungsbefürworter, sprach gegenüber einer australischen Zeitung von für ihn überraschenden Erkenntnissen. Schwangerschaftsabbrüche könnten zu traumatischen Erfahrungen werden.
Ist eine neue Studie also überflüssig?
Beide Forschergruppen aus den USA und Großbritannien, die den großen Stapel an Studien ausgewertet hatten, beklagten, dass ein Großteil unter methodisch „oft schwerwiegenden“ Problemen litt. Die Briten empfahlen weitere Forschungen zu der Frage, wie vorige psychische Erkrankungen die Wahrscheinlichkeit einer ungewollten Schwangerschaft beeinflussen. Die APA schreibt: „Gut geplante, gründlich durchgeführte Forschung würde helfen, die Störfaktoren zu entwirren und daraus relative Risiken von Abtreibungen im Vergleich mit Alternativen abzuleiten.“
Ob die Studie des Gesundheitsministeriums überflüssig ist oder nicht, wird sich also vor allem an deren Qualität bemessen. Bei Mitteln in Höhe von fünf Millionen Euro gibt es dazu berechtigte Hoffnungen.
Von: Nicolai Franz