Der 15. Oktober war in Österreich vor allem eines: Der Tag des Sebastian Kurz. Er hat als Spitzenkandidat seine christdemokratische ÖVP mit einem neuen Namen – „Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei“ –, einer neuen Farbe – Türkis statt Schwarz – und nicht zuletzt einem neuen, harten Kurs in der Migrationspolitik bei den Nationalratswahlen am vergangen Sonntag zum politischen Erfolg geführt. Insgesamt haben laut vorläufigem Endergebnis (ohne Briefwahlkarten) 31,36 Prozent die ÖVP gewählt, das sind 7,37 Prozent mehr als bei den letzten Wahlen vor vier Jahren. Auch die rechtspopulistische FPÖ unter Langzeit-Parteichef Heinz-Christian Strache hat deutliche Zugewinne verzeichnet (plus 6,85 Prozentpunkte) und liegt mit derzeit 27,35 Prozent auf einem ähnlichen Niveau wie die sozialdemokratische SPÖ, die das Stimmniveau von 2013 (derzeit 26,75 Prozent) immerhin halten konnte. Ob die SPÖ oder die FPÖ den zweiten Platz erreicht, wird aber erst die Auszählung der Briefwahlstimmen an diesem Donnerstag zeigen – Hochrechner rechnen doch noch mit der SPÖ.
Abgestürzt sind jedenfalls die Grünen: Haben die Österreicher vergangenes Jahr mit Alexander van der Bellen einen Kandidaten der Grünen zu ihrem Bundespräsidenten gekürt, verlor die Partei bei diesen Wahlen mehr als zwei Drittel ihrer Stimmen und muss bis zur Auszählung der Briefwahlkarten um ihren Wiedereinzug in das österreichische Parlament bangen. Nötig wären dafür vier Prozent, die bei Briefwählern traditionell starke Partei liegt vorläufig bei 3,32 Prozent. Das Debakel der Grünen ist unter anderem dem Partei-Aussteiger Peter Pilz zuzurechnen, der sich als Aufdecker diverser Korruptionsskandale einen Namen gemacht und sich im Sommer mit seiner eigenen „Liste Pilz“ von den Grünen abgespalten hat – und es damit wohl knapp ins Parlament schafft. Ebenfalls ins Parlament geschafft haben es die mit der deutschen FDP vergleichbaren liberalen NEOS („Das Neue Österreich und Liberales Forum“) – nach 2013 zum zweiten Mal.
Rechtsruck im österreichischen Parlament
Betrachtet man den Aufstieg von ÖVP und FPÖ, die Stagnation der SPÖ und den Fall der Grünen, kann man wertfrei von einem Rechtsruck im österreichischen Parlament sprechen. Das gute Ergebnis der FPÖ sieht der Politikwissenschaftler Klaus Poier von der Universität Graz im Kontext eines weltweiten Trends zu populistischen Parteien – sowohl im rechten, als auch im linken Sektor des politischen Spektrums: „Das zeigt, dass es eine immer größer werdende Gruppe in der Bevölkerung gibt, die mit dem System an sich so nicht zufrieden ist. Ganz besonders ist der Erfolg der Populisten auch eine Abkehr von den bisherig dominierenden Parteien, die den Lebensnerv der Menschen nicht mehr treffen. Ich rechne nicht damit, dass die Entwicklung bald aufhört.“
Die Abkehr zu traditionellen politischen Parteien hatte wohl auch Sebastian Kurz im Sinn, der die altehrwürdige ÖVP als quietschtürkise „Bewegung“ mit Fokus auf seine Person vermarktet hat – auch wenn sich die politischen Inhalte der „Neuen Volkspartei“ von jenen der alten ÖVP gar nicht so sehr unterscheiden – abgesehen vom Schwenk in der Migrationsfrage, in der sich die Politik des Noch-Integrationsministers von der Linie der FPÖ inzwischen kaum mehr unterscheidet. Damit orientiert sich Kurz ebenfalls an der öffentlichen Meinung. Pathetischer formuliert: Kurz versteht es, dem österreichischen Volk ganz im Sinne Martin Luthers „aufs Maul“ zu schauen.
Rainer Nowak, Chefredakteur der österreichischen Tageszeitung Die Presse schreibt in seinem Leitartikel zum Thema Rechtsruck: „Die politische Landschaft stellt sich 2017 wohl so dar, wie sich die Meinung in Österreich 2015 (Jahr des massiven Flüchtlingszustroms nach Österreich und Deutschland, d. Red.) auch tatsächlich verschoben hat.“ Und auch Poier erklärt: „Was offenkundig ist: Dass das Thema Migration eine Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher bewegt. Und eine Politik, die sagt ‚Das ist alles kein Problem‘, ist jedenfalls nicht mehrheitsfähig.“
Wie Christen den Wahlausgang sehen
Unter Österreichs Christen ruft das Wahlergebnis unterschiedliche Reaktionen hervor. Der Herausgeber des christlichen Online-Portals Glaube.at, Sven Kühne, sieht eine „Rückbesinnung auf christliche Werte“ der Österreicher: „Neben einem neuen Weg in der Flüchtlingsfrage, setzen sich die stimmenstärkste Volkspartei von Sebastian Kurz und die (laut Hochrechnungen, Anm.) drittstärkste Kraft im Land (FPÖ) vermehrt für christliche Werte ein.“ Der ehemalige Präsident der Caritas Österreich, Franz Küberl, sieht dies kritischer: „Rot-Schwarz hat etwas mehr Mitmenschlichkeits-Vorschuss gehabt. Den müsste sich eine rot-blaue oder schwarz-blaue Regierung erst erarbeiten“, was aber nicht unmöglich sei. Jedenfalls erwartet sich Küberl ein Bekenntnis der neuen Regierung dazu, „dass alle Menschen dieselbe Würde haben“.
Für Wahlgewinner Sebastian Kurz spielt der Glaube laut eigener Aussage „eine wichtige Rolle“. Aufgrund seiner politischen Arbeit bleibe für den bekennenden Katholiken zwar „leider allzu oft wenig Zeit für den Messbesuch, aber mir sind die Besuche an den Feiertagen gemeinsam mit der Familie sehr wichtig“, so Kurz, der betont: „Auch in meinem Elternhaus waren der Glaube und christliche Werte immer wichtig.“ Im vergangenen Jahr hatte Kurz beim Wiener „Marsch für Jesus“ teilgenommen. Auch FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache glaubt nach eigener Aussage an Gott. SPÖ-Chef Christian Kern bezeichnet sich selbst zwar als Agnostiker, sagt aber auch: „Viele der christlichen Werte sind mir persönlich wichtig.“
Von Raffael Reithofer