In den vergangenen Wochen war die „Ehe für alle“ eines der bedeutendsten Themen im Bundestags-Wahlkampf. SPD, Grüne und FDP möchten einen Koalitionsvertrag, in dem die „Ehe für alle“ schriftlich fixiert ist. Jetzt ist auch Bundeskanzlerin Angela Merkel von dem klaren Nein ihrer CDU zur Ehe für alle abgerückt. Bei einer Veranstaltung mit der Zeitschrift „Brigitte“ sagte Merkel am Montagabend in Berlin, sie wünsche sich eine Diskussion, die „eher in Richtung einer Gewissensentscheidung geht“.
Wenn der Fraktionszwang aufgehoben werden sollte, gilt eine Mehrheit für die Ehe für alle als sicher. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur hat die Bundeskanzlerin die Linie mit CSU-Chef Horst Seehofer abgesprochen. Merkel sagte, sie habe natürlich zur Kenntnis genommen, wie jetzt alle Parteien außer der Union zu dem Thema stünden.
Wunsch nach Respekt und Achtung
Sie sei „bekümmert“, sagte die Kanzlerin, dass diese sehr individuelle Frage Gegenstand von „Parteitagsbeschlüssen und plakativen Dingen“ sei. Sie wolle mit der CDU und der CSU „anders darauf reagieren“. Sie selbst und viele Mitglieder in der Union beschäftigten sich intensiv mit dem Thema. Sie wünsche sich, dass die Debatte trotz Wahlkampfs mit Respekt und Achtung geführt werde – auch vor den Menschen, die sich schwer mit der Frage tun und kirchlich gebunden seien.
Sie finde es aber seltsam, dass in der Koalition in vier Jahren darüber nicht richtig gesprochen worden sei und es „plötzlich holterdiepolter“ gehen solle. Mit ihrem Abrücken von ihrer bisherigen Linie könnte eine wichtige Hürde für eine Koalitionsbildung nach der Bundestagswahl im September fallen.
Beck: „Erneuten Wahlkampf zum Thema ersparen“
Ihr Herausforderer, SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, hatte beim Parteitag der Sozialdemokraten am Sonntag in Dortmund gesagt, Merkel und die Union drückten sich vor inhaltlichen Aussagen und nähmen damit eine geringere Wahlbeteiligung in Kauf: „Ich nenne das einen Anschlag auf die Demokratie.“ Dies hatte für Empörung bei der Union gesorgt. Die SPD hatte die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften am Sonntag auf ihrem Parteitag in Dortmund zur Bedingung für eine Koalition gemacht – so wie zuvor bereits die FDP und die Grünen. Die Union hatte dies bislang abgelehnt.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Stefan Kaufmann hatte am Montagabend getwittert: „Danke Angela Merkel! Wie befreiend! Von mir aus könnten wir gerne noch diese Woche abstimmen!“ Der Grünen-Politiker Volker Beck forderte diese Abstimmung am besten noch in dieser Woche. Damit könne die Kanzlerin der Bevölkerung einen erneuten Wahlkampf zu dem Thema ersparen. „Wir können diese Woche abstimmen. Auf geht’s!“ twitterte der gleichstellungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sönke Rix. Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christina Lüders, wünscht sich ebenfalls diese Vorgehensweise. Laut einer Umfrage seien 83 Prozent der Deutschen für die Ehe-Öffnung.
Homosexuelle Paare in Deutschland können ihre Lebenspartnerschaft seit 2001 offiziell eintragen lassen. Inzwischen wurden diese Paare in vielen Bereichen, etwa bei Unterhaltspflicht, im Erbrecht oder beim Ehegattensplitting, verheirateten heterosexuellen Paaren gleichgestellt. In Fragen des Adoptionsrechtes werden homo- und heterosexuelle Paare derzeit nicht gleichgestellt. So dürfen Homosexuelle nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2013 in einer Lebenspartnerschaft zwar Adoptivkinder des Partners adoptieren. Die gemeinsame Adoption eines Kindes ist jedoch nicht möglich.
SPD, Grüne und FDP haben die völlige Gleichstellung von Homosexuellen bei der Ehe zur Bedingung für eine Koalition gemacht. Auch die Linke fordert die Ehe für alle. (pro/dpa)
Hier haben wir die wichtigsten Stimmen und Meinungen zur Ehe für alle zusammengefasst:
Von: jw