Die Diskussion über den Umgang mit der sogenannten Kinderehe in Deutschland ist noch nicht zu Ende. Nachdem es am 8. November schien, als habe sich die Bundesregierung darauf geeinigt, Ehen unter 18 Jahren ausnahmslos zu verbieten, wurde nun deutlich, dass die Frage nach möglichen Härtefallklauseln noch nicht vom Tisch ist. Eine Meldung der Deutschen Presse-Agentur hatte für Verwirrung gesorgt.
Die Pressestellen beider Bundestagsfraktionen klärten gegenüber pro auf: Die Einigung betraf lediglich die Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen, die sich in einer gemeinsamen Sitzung dafür aussprachen, Eheschließungen erst ab 18 Jahren erlauben und die bisherige Ausnahme der Ehe mit 16 Jahren streichen zu wollen. Dabei handele es sich nicht um einen tragfähigen Beschluss. Noch immer wird ein Gesetzesentwurf von Bundesjustizministers Heiko Maas (SPD) erwartet. Fraglich ist nach wie vor, wie mit den schon bestehenden Ehen umgegangen werden soll, bei denen Minderjährige beteiligt sind, egal ob sie im Ausland geschlossen wurden oder in Deutschland. Sollten diese für nichtig erklärt werden, hätten sie vor dem Gesetz nie bestanden. Die betroffenen meist weiblichen Minderjährigen hätten dann keine Unterhaltsansprüche. Werden die Ehen indes nur aberkannt, käme das einer Zwangsscheidung gleich, bei der der Unterhaltsanspruch bestehen bleibt.
Die Diskussion, die die Politik zu der Entscheidungsfindung drängt, war durch einen Rechtsspruch des Oberlandesgerichtes Bamberg ausgelöst worden. Die Bamberger Richter hatten im Juni die Ehe eines 15-jährigen syrischen Mädchens mit ihrem 21-jährigen Ehemann anerkannt und damit eine Debatte darüber ausgelöst, wie die sogenannten Kinderehen behandelt werden sollten. Die Frage war durch den Zuzug von immer mehr Flüchtlingen aus muslimischen Ländern drängend geworden. Die Zeitung Die Welt spricht von 1.475 in Deutschland registrierten Jugendlichen, von denen zum Stichtag im Juli 361 jünger als 14 Jahre gewesen seien.
Bedenkliche Rechtsentwicklung
Mit ihrem Rechtsspruch erkannten die Bamberger Richter das Heimatrecht der Eheleute an, in diesem Fall das syrisch-sunnitische Recht. Einer der Leitsätze, nach denen das Urteil gesprochen wurde, hieß laut der Bayerischen Staatskanzlei: „Eine in Syrien nach syrischem Eheschließungsrecht wirksam geschlossene Ehe einer zum Eheschließungszeitpunkt 14-Jährigen mit einem Volljährigen ist als wirksam anzuerkennen, wenn die Ehegatten der sunnitischen Glaubensrichtung angehören und die Ehe bereits vollzogen ist.“
Unionsfraktionsvize Stephan Harbarth hält „diese Rechtsentwicklung für bedenklich. Denn sie berührt im Fall der Kinderehe das besonders verletzliche Wohl der verheirateten Kinder“. Er plädierte dafür, die Ehemündigkeit grundsätzlich auf 18 Jahre anzuheben und für die Möglichkeit, im Ausland geschlossene Ehen auf Antrag eines Partners oder des Jugendamtes aufheben zu können. Es gehe darum, Menschen, die nach Deutschland kommen, klarzumachen: „Bei uns gelten die Maßstäbe des Grundgesetzes und nicht die der Scharia“.
Maas und Özoguz in der Kritik
Im Kreuzfeuer der Kritik standen seit Längerem die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, und Bundesjustizminister Heiko Maas. Beide SPD-Politiker sprachen sich dafür aus, in besonderen Fällen die Eheschließungen zu prüfen, bei denen der minderjährige Ehepartner mindestens 16 Jahre alt ist. „Ehen unter 18 sollten im Grundsatz tabu sein. In ganz besonderen Ausnahmefällen – etwa wenn es bereits Kinder aus der Ehe gibt oder die Ehefrau schwanger ist – kann es unter Umständen sinnvoll sein, zwischen 16 und 18 geschlossene Ehen anzuerkennen, damit die betroffene Frau nicht komplett rechts- und schutzlos ist. Eine solche Anerkennung sollte aber nicht der Regelfall sein. Falls es nicht zur Anerkennung kommt, sollen solche Ehen aufgehoben werden“, sagte Maas in einem Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) Anfang November.
Özoguz erklärte auf Facebook: „Experten weisen zu Recht darauf hin, dass wir mit einem pauschalen Verbot auch der bereits bestehenden Ehen von älteren Minderjährigen die Betroffenen womöglich ins soziale Abseits drängen. Hierfür müssen Lösungen gefunden werden. Wenn die Ehe aufgehoben wird, droht den jungen Frauen der Verlust von rechtlichen Ansprüchen wie zum Beispiel Unterhalt. Ihre Kinder wären unehelich mit allen rechtlichen Folgen, eine Rückkehr in die alte Heimat wäre für viele junge Frauen unmöglich.“ Beide betonten, es gehe ihnen um das Wohl der betroffenen Frauen, die man nicht „bestrafen, sondern ihnen helfen“ wolle, sagte Özoguz.
„Junge Mädchen gehören in die Schule – nicht vor den Traualtar“
Der Vorschlag rief Empörung und Unverständnis hervor, vor allem von Seiten der Unionsparteien. Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft forderte den Rücktritt von Özoguz und unterstellte ihr, die Ehe mit Kindern legalisieren zu wollen. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer bezeichnete Özoguz als eine „Ausgrenzungs- statt Integrationsbeauftragte“ und nannte ihr Verhalten „beschämend“. „Junge Mädchen gehören in die Schule – nicht vor den Traualtar“, sagte er.
Christina Schwarzer, Bundestagsabgeordnete der CDU, unterstellte Maas, er wolle „eher die Ehemänner schützen als die Kinderbräute“.
Bei allem Schlagabtausch in den Medien, fehlte die konkrete Auseinandersetzung mit den Bedenken, die Maas und Özoguz bei dem Gesetzesvorhaben deutlich gemacht hatten. Einzig die freie Journalistin Birgit Kelle stellte in einem Kommentar auf Focus Online hierzu einige Anfragen. Sie sieht eher einen Nutzen darin, dass betroffenen Mädchen durch eine Annullierung der Ehe die Rückkehr ins Heimatland erschwert werden würde: „Ich denke, dass wir alle gerne minderjährigen Mädchen, die an alte Säcke verheiratet wurden, ohne dazu gefragt zu werden, sehr gerne lebenslang Asyl und Aufenthalt in unserem Land geben würden. Im Gegenzug schicken wir einfach ihre Männer zurück.“
Sie hinterfragt ausserdem, welcher Unterhalt den Mädchen entgehen würde: „Wenn ich es recht in Erinnerung habe, sind diese Männer mit ihren angeheirateten Mädchen bei uns im Land, weil sie in ihrem eigenen Land nichts haben. Der einzige Unterhalt, der hier fließt, besteht in der Zahlung des deutschen Staates an das Familienoberhaupt. Ich fände es im Gegenteil sogar ganz gut, wenn diese Mädchen einen eigenen Anspruch nur für sich und ihre Kinder hätten.“
Nur am Rande der Debatte wurde bisher darüber gesprochen, wie die derzeitige Krisensituation Menschen auf der Flucht dazu bringt, minderjährige Mädchen mit deutlich älteren Männern zu verheiraten. Dabei spielt die Angst vor sexuellem Missbrauch während der Flucht eine Rolle, wie das Institut für Menschenrechte zu bedenken gibt. Flüchtlingslager verkämen zu wahren Heiratsmärkten, wenn Familien nach der Flucht das Geld ausgegangen sei, erklärte die Frauenrechtsorganisation „Terre des Femmes“. (pro)Maas gegen Anerkennung von Mehrfach- und Kinder-Ehen (pro)
Soziologin: Kinderehen auch in Deutschland ein Problem (pro)