Bodo Ramelow hat sich für eine Verschärfung der grundlegenden gesellschaftlichen Debatten in Deutschland ausgesprochen. Der Politiker warnte dabei vor dem Überschreiten von Hemmschwellen und appellierte an Menschlichkeit und Barmherzigkeit auch im Umgang mit den sozialen Medien.
Von PRO
Foto: pro/Norbert Schäfer
Bodo Ramelow appelliert für eine schärfere gesellschaftliche Debatte mit mehr Streitkultur
Der Ministerpräsident des Freistaates Thüringen, Bodo Ramelow (Die Linke), hat sich am Mittwoch auf einer Diskussionsveranstaltung in der Katholischen Akademie in Berlin für eine schärfere Debatte über die grundlegendenden Probleme in der Gesellschaft ausgesprochen und einen intellektuellen Streit mit Kultur gefordert. Die Diskussion um Zuwanderung und deren Notwendigkeit wegen des demografischen Wandels in Deutschland sei nicht geführt worden. „Ich glaube, dass es besser wäre, wenn eine große Koalition von beiden Parteien nicht mehr angestrebt wird und wir wieder in eine größere gesellschaftliche Debatte eintreten“, sagte der Politiker.
Er bemängelte, dass die großen Parteien nicht mehr die beiden Lager der Gesellschaft abbilden. „Ich würde mich freuen, wenn wir ein starkes konservativ-bürgerliches Lager auch so abgebildet hätten, ich würde mich freuen, wenn wir ein links-liberales Lager abbilden würden – dann könnten sich die anderen Parteien da herum gruppieren und wir würden den Raum, den sich die AfD erobert, kleiner machen“, sagte Ramelow. „Höcke und Co.“ nutzten seinen Aussagen zufolge „die Angst vor Altersarmut“, um die Herzen der Menschen mit Angst zu füllen. „Wer Angst vor Abstieg hat, der ist empfänglich. Wer am Ende seines Arbeitslebens zur Kenntnis nimmt, dass er nicht die Chance hat, ohne fremdes Geld, staatliches Geld, in Würde alt werden zu können, dieser Mensch wird im Zweifelsfall auf die falschen Schreihälse setzen“.
Herausforderung durch „Istzeit-Kommunikation“
Ramelow forderte einen intellektuell geführten Streit, der die Inhalte von den Personen trenne. Dies gelte auch in den sozialen Medien. Gegenüber pro erklärte der Ministerpräsident: „Die sozialen Medien bekommen manchmal den Charaktere eines asozialen Mediums. Er wird unmittelbar gefighted.“
Seiner Meinung nach werde immer „auf einen groben Klotz noch ein viel gröberer Keil“ gegeben. Keiner wünsche, dass so mit ihm selber umgegangen werde. „Istzeit-Kommunikation verändert unser gesellschaftliches Leben ebenso wie die Medienlandschaften“, erklärte Ramelow. „Wir erleben, dass Zeitungen immer weniger attraktiv sind. Wir erleben gleichzeitig, dass im Netz Beleidigungen und Gerüchte ständig verbreitet werden.“ Dagegen müsse man auch einen inneren Schutz entwickeln. Bestimmte Formen von Kommentaren lösche er und er scheue sich auch nicht, dort, wo es strafrechtliche relevant sei, Anzeige zu erstatten. „Das Netz hat immer eine Rückbeziehung zu unserem normalen Leben. Wenn wir das aus dem Blick verlieren, dann werden wir dieses technische Medium über uns gewinnen lassen. Über Menschlichkeit und Barmherzigkeit. Das möchte ich nicht.“
Den Geist nicht aus der Flasche lassen
Ramelow ging auf den Tortenwurf gegen Sarah Wagenknecht am vergangen Wochenende ein, den er als „kindische Aktion“ bezeichnete und der einen gefährlichen Geist offenbare. Die Politikerin seiner Partei war auf dem Parteitag der Linken wegen ihrer Meinung in der Flüchtlingsfrage mit einer Torte attackiert worden. Das hatte zu einem Eklat geführt. „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht gewisse Hemmschwellen komplett überwinden und alles als zulässig erklären“, sagte Ramelow und verwehrte sich in diesem Zusammenhang auch gegen Übergriffe gegen die AfD-Politiker von Storch und Höcke. „Die Spirale, die dadurch in Gang gesetzt wird, bereitet mir Angst.“
Aufmärsche vor Privathäusern von Politikern, egal welcher Gesinnung, glichen NSDAP-Methoden. „Die Partei habe nach ihrer Wiedergründung 1925 damit angefangen, vor den Privathäusern ihrer politischen Gegner zu demonstrieren und Mahnwachen aufzustellen.“ Am Anfang hätte die Schikane gestanden, später sei all das Brutale dazu gekommen. „Bei den Anfängen sage ich: Das gehört sich nicht“, erklärte Ramelow. Es gelte, sich mit Worten auseinander zu setzen, nicht mit Steinen. „Auch Herr Höcke hat Kinder, auch Herr Höcke hat Familie.“
„Homöopathische Dosis“ gegen Wandel
Die Alternative für Deutschland sei um die Sorgen, die mit den Flüchtlingen entstanden seien, gewachsen, weil sie die Sorgen und Ängste der Menschen angefüllt habe mit Hass, mit Angst und mit Parolen, dass das alles nicht zu schaffen sei. Thüringen habe die Herausforderungen geschafft und ermöglicht, dass Flüchtlinge Mitbürger werden könnten. „Wir Ministerpräsidenten sind von Frau Bundeskanzlerin nicht gefragt worden, ob es richtig ist, die Flüchtlinge in Budapest vom Bahnhof einreisen zu lassen“, sagte Ramelow. Aber als die Kanzlerin die Entscheidung getroffen habe, habe er diese mit Respekt zur Kenntnis genommen. „In meiner Staatskanzlei habe ich ein Stück ungarischen Stacheldraht, den man vor 25 Jahren in diese Vitrine gelegt hat. Das war das erste Stück Zaun, das zwischen Westeuropa und Osteuropa in Ungarn aufgeschnitten worden ist. Um so mehr grämt es mich, wenn ich jeden Tag an dem Stück Zaum vorbei gehe und weiß, an derselben Stelle sind jetzt neue Zäune errichtet worden“, sagte Ramelow.
Kirchen sind Fundament gesellschaftlicher Kraft und ethischer Normen
Ramelow sprach sich dafür aus, allen Religionen die gleichen Rechte einzuräumen wie den Kirchen. Er wünsche sich eine gelassenere Debatte über das Verhältnis zwischen Staat und Kirche im Sinne der Religionspluralität, die jedem die friedliche Ausübung einer Religion zugestehe. Der Linken-Politiker, der sich selbst als Ausnahme in seiner Partei bezeichnet, weil er bekennender Christ ist, sprach sich dagegen aus, den Glauben auf die Privatsphäre zu reduzieren.
Auch die Abschaffung des Religionsunterrichts hält er für falsch. Religionsunterricht dürfe aber nicht als religiöse Unterweisung missverstanden werden. Die müsse in den Gemeinde erfolgen. Religionsunterricht solle Kenntnis über Religion vermitteln. Das Bekenntnis zu seinem Glauben sei Ramelow wichtig geworden, als er erkannt habe, dass viele Menschen in ihrem Leben überhaupt keine Orientierung hätten. „Ich wollte ein Stück weit Orientierung sein.“ Er sei in Kirche und Gemeinde groß geworden, habe jedoch einen Bruch in seiner Biografie, weil er mit dem „Bodenpersonal“ einmal gebrochen habe und aus der Kirche ausgetreten sei. „Aber nicht, weil ich meinen Glauben verloren hatte“, sagte er. In den Kirchen sieht Ramelow eine „Fundamentierung gesellschaftlicher Kraft und ethischer Normen“. (pro)
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