Sterbehilfegesetz: Vertane Chance oder gemeinsame Aufgabe?
Der Bundestag hat nach langer und eingehender Debatte in seiner Sitzung am Freitag die Neuregelung der Sterbehilfe beschlossen. Die Kirchen sehen in dem Beschluss ein Zeichen für den Lebensschutz, Lebensrechtler hingegen zeigten sich enttäuscht.
Kardinal Reinhard Marx und EKD-Ratsvorsitzender Heinrich Bedford-Strohm haben gemeinsam eine Erklärung zur Sterbehilferegelung angegeben
Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages folgten am Freitag mehrheitlich einem Gruppenantrag unter der Federführung der Abgeordneten Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD), der die geschäftsmäßige Sterbehilfe verbietet und unter Strafe stellt. Bei Verstößen gegen das Sterbehilfegesetz drohen nun Haftstrafen bis zu drei Jahren. Die Beihilfe zur Selbsttötung im Einzelfall bleibt auch mit der Neuregelung straffrei.
Zu der Abstimmung im Bundestag gaben die Katholische und Evangelische Kirche noch am gleichen Tag eine gemeinsame Stellungnahme heraus, unterzeichnet vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, dem Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, und der Präses der EKD-Synode, Irmgard Schwaetzer. Nach deren Ansicht ist der Beschluss „ein starkes Zeichen für den Lebensschutz und damit für die Zukunft unserer Gesellschaft“. Er stelle eine „Entscheidung für das Leben und für ein Sterben in Würde“ dar, indem er schwerkranke und ältere Menschen vor einem zunehmenden sozialen Druck, vorzeitig aus dem Leben zu scheiden, schütze.
Die Neuregelung setze klare rechtliche Rahmenbedingungen, achte das persönliche Arzt-Patienten-Verhältnis und stärke „die Selbstbestimmung der durch Krankheit geschwächten Menschen, indem diesen Menschen die solidarische Zuwendung bis zum letzten Atemzug garantiert wird“. Die Kirchenoberen würdigten zudem die Ernsthaftigkeit der Debatte in Politik und Gesellschaft.
Die gemeinsame Erklärung sieht einen Zusammenhang zwischen der Debatte um die Sterbehilfe und dem bereits am Donnerstag gefassten Beschluss zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativmedizin. „Dass es hier endlich deutliche Verbesserungen gibt, ist nicht zuletzt auch eine Frucht der Debatte um den assistierten Suizid“, heißt es in dem Schreiben. Die Kirchen sehen es nun als gemeinsame Aufgabe, „sorgend an der Seite der schwerstkranken und sterbenden Menschen zu sein“ und den Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung „entschieden mit Leben zu füllen“.
Lebensrechtler sind enttäuscht
Zu einer ganz anderen Bewertung gelangte der Vorsitzende des Bundesverbandes Lebensrecht, Martin Lohmann. In einer Pressemitteilung vom Freitag erklärte er: „Mit der Entscheidung des Bundestages hat man den Schutz des Lebens in Deutschland weiter verunmöglicht.“ Mit dem Beschluss sei die Chance, die Beihilfe zur Selbsttötung zu unterbinden, „auf geradezu fahrlässige Weise“ vertan worden. Nach seiner Ansicht sei das vollständige Verbot der Beihilfe die einzige Konsequenz gewesen. Martin Lohmann teilt die Befürchtungen vieler Lebensrechtler, dass „wir in unserer Gesellschaft ein tödlich beschädigtes Verständnis von Freiheit und Verantwortung haben“.
Zu dem Argument „führender Grüner“, der Staat solle sich bei Sterbehilfe möglichst heraushalten und die Entscheidung den Einzelnen überlassen, sagte Lohmann: „Ein Staat, der jedes Falschparken und jede Geschwindigkeitsübertretung unter Strafe stellt und selbst Mülltonnen kontrolliert, entdeckt auf einmal die Gewissensfreiheit, wenn es um Leben und Tod geht. Ist sortierter Müll wichtiger als der unbedingte Schutz des Lebens?“ Lohmann bezeichnete den Wunsch nach Selbsttötung als einen „Akt der tödlichen Verzweiflung“, in der es das Recht auf Lebenshilfe geben müsse. „Schade, dass es nicht wirklich ein klares Bewusstsein für das Leben und seinen Schutz mehr gibt“, erklärte Lohmann. Es sei „fatal, dass viele meinen, man könne zwischen Leben und Tod einen Kompromiss oder eine Mischform machen“.
Offene Frage nach Neuregelung
In der Bundestagsdebatte hatten Abgeordnete auch darüber diskutiert, ob in einem säkularen Staat ethische und religiöse Vorstellungen Niederschlag im Strafgesetzbuch finden dürfen. Dazu erklärte der Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA), Hartmut Steeb, auf Anfrage: „Die besten Rechte der Menschen auf Achtung seiner Würde, Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit, Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit, Glaubensfreiheit, Lebensgestaltung in Ehe und Familie und Eigentum haben keinen praktischen Wert, wenn deren Bedrohung nicht auch strafrechtlich geschützt wird“. Ohne strafrechtlichen Schutz des Staates herrsche Chaos in einer Ellbogenkultur. Daher benötige die Gesellschaft ethische Maßstäbe, die „in Deutschland zu Recht und zum Glück“ auf dem biblischen Menschenbild beruhten. Zur Neuregelung der Sterbebegleitung sagte Steeb: „Es ist sehr gut, dass jetzt jenen das Handwerk verboten wird, die bewusst, gezielt, gewollt, organisiert und zum Teil sogar mit materieller Gewinnabsicht andere zu Tode bringen“. Für den Generalsekretär der DEA bleibt auch mit der Neuregelung eine Frage unbeantwortet: „Wie werden Alte, Schwache, Kranke, Behinderte vor der privaten Willkür bewahrt derer, die das Leid nicht mehr ansehen können und wollen, und lieber einem Menschen mal rasch zum Sterben verhelfen als ihn mühevoll im Sterbeprozess begleiten?“. Wer garantiere, dass Menschen, von denen behauptet würde, sie wollten sterben, wirklich aus freien Stücken diesen Willen hätten? Um dies sicherstellen zu können, „müsste sich ein unabhängiger Notar oder Richter davon überzeugen, dass weder Drohung, Nötigung, Erbschleicherei noch unterlassene Hilfeleistung vorliegt“, sagte Steeb. „Wer das biblische Menschenbild des absoluten Ja zum Leben ablehnt, bleibt bisher jede Antwort schuldig, woraus sich denn dann seine Maßstäbe ergeben.“ (pro)
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