Am Donnerstag gab es eine Premiere im Deutschen Bundestag: eine Orientierungsdebatte zur Sterbehilfe, ganz ohne konkrete Gesetzesentwürfe und Abstimmung. Das allein, aber auch die sehr persönlichen Reden haben gezeigt, wie schwer die Parlamentarier sich die Meinungsfindung bei diesem sensiblen Thema machen.
Vier Stunden lang sprachen die Mitglieder des Deutschen Bundestages am Donnerstag ruhig und gefühlvoll über die Regelung der Suizidbeihilfe in Deutschland
Der erste Satz, der in der Orientierungsdebatte zur Sterbehilfe vom Abgeordneten Michael Brand (CDU) gesprochen wurde, zeigt, wie nahe das Thema den meisten Politikern geht. Brand erzählte von seinem krebskranken Vater, der mittlerweile verstorben ist, ihm aber gezeigt habe, wie wirkungsvoll die Palliativmedizin bei Todkranken wirke. Er betonte, die Besprechung im Bundestag sei „keine Debatte wie jede andere, das ist sie wohl für niemanden in diesem Haus“.
Selten äußern sich die Mitglieder des Bundestages derart persönlich und bewegt zu einem Thema wie an diesem Donnerstag. Lisa Paus (Grüne) berichtete den Tränen nahe von einem Fall aus ihrem direkten Umfeld, einem Mann, der an Lungenkrebs erkrankt war und sich Suizidbeihilfe wünschte. Vier Jahre habe sein Todeskampf gedauert, die tödlichen Tabletten habe er griffbereit gehabt, dann aber doch nicht genommen. Petra Sitte (Linke) sprach von ihrem an Alzheimer erkrankten Vater, der sich durch Nahrungsverweigerung den Tod „ertrotzt“ habe. Dieses Schicksal wolle sie anderen ersparen: „Selbstbestimmt zu sterben durch Verhungern und Verdursten, weil unsere Moralvorstellungen es nicht anders zulassen – ist das nicht erbarmungslos?“ Matthias W. Birkenwald (Linke) erzählte die Geschichte seines im Alter von 48 Jahren an einem Hirntumor verstorbenen Bruders. Und Katrin Göging-Eckardt (Grüne) erinnerte sich öffentlich daran, wie sie bereits im Alter von nicht einmal 18 Jahren bei einem Angehörigen habe entscheiden müssen, ob er durch Geräte am Leben erhalten werden sollte oder nicht.
Bewegt in verschiedene Richtungen
All diese persönlichen Geschichten bringen die Politiker jedoch zu unterschiedlichen Ergebnissen. Paus forderte eine deutliche Freigabe der Suizidbeihilfe, faktisch also ein Beibehalten der derzeitigen Regelung in Deutschland, die auch entsprechende Vereine indirekt erlaubt. „Mut zum Leben mitten im Sterben, das ist unsere Herausforderung, aber nicht Hilfe zum Sterben“, folgerte hingegen Göring-Eckardt. „Ich glaube nicht, dass man im Vorhinein weiß, was man ertragen kann“, sagte sie. Deshalb müsse sich Deutschland davor hüten, Sterbehilfe zur Dienstleistung werden zu lassen und damit Menschen unter Druck zu setzen.
Im Vorfeld der Debatte hatten sich Parlamentarier zusammengetan und insgesamt fünf verschiedene Grundsatzpapiere veröffentlicht. Auszumachen sind neben verschiedenen Mittel-Positionen eine konservative Verbots-Variante und eine liberale, die nicht nur Ärzten, sondern auch nicht-kommerziell arbeitenden Vereinen das Recht der Suizidbeihilfe nicht versagen will. Gemeinsam haben alle bisherigen Vorschläge, dass sie Ärzte und Angehörige im Einzelfall weiterhin nicht bestrafen wollen, wenn sie Beihilfe zum Suizid leisten. Außerdem wünschen sich alle an der Debatte Beteiligten einen Ausbau der Palliativ- und Hospizarbeit. Eine Mehrheit ist zudem schon jetzt für die Forderung nach einem Verbot sogenannter Sterbehilfe-Vereine auszumachen. Heiß diskutiert wird hingegen über den Umgang mit Ärzten, die regelmäßig Sterbehilfe anbieten.
„Kein Zwang zum Qualtod“
Die Meinungen verlaufen quer durch die Fraktionen. So betonte am Donnerstag Kathrin Vogler (Linke), sie wolle nicht in einer Gesellschaft leben, „in der Menschen ihr Geld damit verdienen, anderen den Tod zu bringen“. Deshalb stehe sie für ein Verbot organisierter Sterbehilfe durch Vereine ein, Ärzten hingegen müsse Suizidbeihilfe im Einzelfall gestattet sein. Die Linken-Politikerin ist damit nicht allzu weit entfernt vom Ansatz des Bundesgesundheitsministers Hermann Gröhe (CDU). Die organisierte Suizidbeihilfe will er verbieten, eine strafrechtliche Regelung für Ärzte lehnt er ab. Das bedeutet: Im Einzelfall sollen Mediziner nach wie vor selbst entscheiden können. Anders sehen das derzeit aber die Ärztekammern einzelner Länder. Je nach Bundesland droht Ärzten bei Suizidbeihilfe der Verlust der Zulassung.
Dem will Carola Reimann (SPD) entgegenwirken. Gemeinsam mit Gröhes Parteikollegen Peter Hintze hat sie ein Papier vorgelegt, das Ärzten mehr Rechtssicherheit geben und ihnen die Suizidbeihilfe ausdrücklich erlauben möchte, wenn Patienten dies im Vorfeld erklärt haben. Dies soll aber die „krasse Ausnahme“ bleiben, sagte Reimann. Hintze wandte sich mit den Worten gegen ein weitreichendes Verbot: „Ich halte es für unvereinbar mit der Menschenwürde, wenn aus dem Schutz des Lebens ein Zwang zum Qualtod würde.“ Der frühere evangelische Pfarrer verwies auf die Bibel: „Leiden ist immer sinnlos“, sagte er, und zitierte die biblische Vision von der Ewigkeit aus der Offenbarung. „Kein Leid, kein Geschrei, kein Schmerz“, heiße es da. Karl Lauterbach (SPD), der ebenfalls an diesem Grundsatzpapier mitgewirkt hat, erklärte zum derzeitigen Recht: „Wir können es nicht so lassen, wie es ist.“ Sterbehilfevereine böten auch Suizidbeihilfe für psychisch Kranke an, die unter Umständen heilbar seien. Das sei nicht zu ertragen.
Sorge um Dammbruch
Renate Künast (Grüne) steht für die liberalste derzeit im Bundestag vertretene Position. Sie will Sterbehilfe-Vereine weiterhin erlauben, solange sie nicht-kommerziell arbeiten. „Haben wir Erbarmen und lassen zu, dass Menschen ihr Leben selbstbestimmt leben“, begründete sie ihre Haltung. Dennoch stellte sie klar: „Wir dürfen nicht zulassen, dass ein Mensch, der unentschlossen ist, verleitet wird.“ Dazu aber müsse das Strafgesetzbuch nicht geändert werden. Künast wies Sorgen über einen Dammbruch zurück. Es gebe keine Zahlen, die belegten, dass Menschen schneller den Suizid in Betracht zögen, wenn Suizidbeihilfe legal sei.
Anders sieht das Thomas Oppermann (SPD). Er verspüre „großes Unbehagen, wenn Menschen sich in die Hände von Sterbehilfe-Organisationen begeben“. Deshalb bat er die Ärztekammern darum, Verbote der Suizidbeihilfe für ihre Mediziner zu überdenken. Eva Högl (SPD) und ihre Parteikollegin Kerstin Griese haben in einem gemeinsamen Papier ebenfalls klar gemacht, dass sie bei der Regelung der Suizidbeihilfe nur einen einzigen Handlungsbedarf sehen: organisierte Sterbehilfe verbieten.
„Sterben ist nie würdelos“, sagte Volker Beck (Grüne). Die Bedingungen, unter denen Menschen sterben, seien es leider oft schon. Er selbst habe in der Vergangenheit erleben müssen, wie mühsam es sei, eine angemessene palliative Versorgung für Angehörige zu erhalten. Diesem Problem gebühre mehr Aufmerksamkeit. Auch Beck wandte sich gegen organisierte Sterbehilfe und forderte ein strafrechtliches Verbot.
Sterbehelfer als Held
Der ehemalige Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Hubert Hüppe (CDU), kritisierte, dass Talkshows vermehrt Sterbehelfer und deren Kunden als die wahren Mutigen darstellten. Die wahren Helden seien für ihn jene Menschen, die die Hand ihrer Angehörigen bis zum natürlichen Tod hielten. Künast widersprach er mit dem Hinweis auf medizinische Regelungen im US-Bundesstaat Oregon. „Davor habe ich Angst“, sagte Hüppe. Bei Todkranken würden Therapien zum Teil nicht von den Kassen gezahlt, der assistierte Suizid aber schon. Er sorge sich deshalb um Schwerstkranke, aber auch um Behinderte und deren Lebensrecht. Das betonte auch Johannes Singhammer (CSU): „Wenn der assistierte Suizid eine legal wählbare Möglichkeit würde, dann würde sich in Deutschland einiges ändern.“ Er fürchtet einen Druck auf Schwerstkranke, die ihren Angehörigen nicht zur Last fallen wollen, und forderte stattdessen eine „Kultur der Wertschätzung gegenüber Kranken“. Er beendete seine Rede mit den Worten: „Als Christ sage ich für mich persönlich: Mein Leben ist in Gottes Hand.“ (pro)
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