Die größte Sorge der Christen im Irak ist es, dass sie von der Weltöffentlichkeit vergessen werden. Das hat der chaldäisch-katholische Erzbischof Bashar Warda aus Erbil im Irak am Montag erklärt. Er war für einen Kongress der Unionsfraktion im Bundestag nach Deutschland gekommen.
Der Erzbischof von Erbil rief seine deutschen Zuhörer dazu auf, den Christen im Irak zu helfen
„Wir haben wirklich Angst, dass es in zehn Jahren keine Christen mehr im Irak gibt“, erklärte der irakische Erzbischof beim Kongress „Menschenrecht Religionsfreiheit“. Rund 300 Gäste waren dazu auf Einladung der CDU/CSU-Fraktion in den Deutschen Bundestag gekommen. Derzeit hätten Christen in Wardas Heimat nur zwei Möglichkeiten: Verfolgt zu werden oder zu fliehen. Schon jetzt beobachte er, wie die christliche Kultur in seiner Heimat verloren gehe. Es befänden sich nur noch rund 300.000 Christen im Land. Warda befürchtet, dass deren Zahl nach dem kommenden Winter um weitere 50 Prozent gesunken sein wird. „Wir müssen handeln – und Sie müssen uns so bald wie möglich helfen“, appellierte er an die Zuhörer. Schulen müssten aufgebaut, Notlager geschaffen und Flüchtlingen ein Zuhause geboten werden. Doch etwas Positives wollte er der Situation doch abgewinnen: „Das Kreuz, das wir in Erbil und auf der ganzen Welt tragen, ist ein Werkzeug, die gute Nachricht zu verbreiten.“
Scheu vor Auseinandersetzung mit Islam
Unionsfraktionschef Volker Kauder betonte das Recht auf Glaubenswechsel. Gerade dies sei Menschen in vielen islamischen Staaten nicht möglich. Glaubenswechsel stünden vielerorts sogar unter Todesstrafe. Lange habe die Öffentlichkeit das ignoriert – womöglich aus Sorge vor einer Auseinandersetzung mit dem Islam, erklärte Kauder. Auch mit einem neuen Phänomen müsse sich die Politik nun auseinandersetzen: Nicht mehr Staaten seien heute hauptsächlich diejenigen, die Religionsfreiheit unterdrückten. „Die brutalste Missachtung der Religionsfreiheit findet dort statt, wo staatliche Gewalt nicht mehr vorhanden ist“, sagte Kauder, und verwies auf die Konflikte in Nigeria oder dem Irak. Dort gehen Terrororganisationen wie Boko Haram oder der IS brutal gegen Christen vor. Sorge bereite ihm aber auch die aktuelle Lage in Indien. Dort würden nicht nur die Christen zunehmend unterdrückt. Auch ein islamistisch motivierter Antisemitismus greife um sich. Kauder forderte erneut einen EU-Sonderbauftragten für Religionsfreiheit.
Erzbischof Ludwig Schick rief dazu auf, „alles zu tun, damit die Religionsfreiheit überall gewahrt wird“. Dies sei eine Aufgabe auch für die Kirchen in Deutschland. Schick wies auf verschiedene katholische und evangelische Initiativen und Organisationen hin, die sich für den Schutz von Christen einsetzen. „Wir bauen wieder auf, weil wir der Überzeugung sind, dass Christen ein Lebensrecht haben“, sagte er. Doch nicht nur seine Glaubensgeschwister litten unter Verfolgung. Das wolle seine Kirche nicht außer Acht lassen: „Unser Einsatz für die Christen ist exemplarisch, aber niemals exklusiv.“
„Himmelschreiendes Unrecht im Irak“
Der evangelische badische Landesbischof im Ruhestand, Ulrich Fischer, sagte, noch vor zehn Jahren habe er sich nicht vorstellen können, dass die Frage der Christenverfolgung nach dem Niedergang der Sowjetunion noch einmal eine solche Brisanz haben könnte. Was derzeit aus dem Irak oder Nigeria berichtet werde, sei ein „himmelschreiendes Unrecht“. Dennoch warb er für eine differenzierte Sicht auf Christenverfolgung. Nicht überall da, wo religiöse Menschen sich bedrängt fühlten, würden sie es wirklich aufgrund ihres Glaubens. Eine klare Faktenlage sei bei diesem Thema wichtig. Auch vor einer Stigmatisierung „bestimmter Länder oder Religionen“ warnte er: „Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt.“
Keine Opfer- und Täterreligion
Der Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit des UN-Menschenrechtsrats, Heiner Bielefeldt, gab einen Überblick über die Lage der Religionsfreiheit weltweit. Von „unbeschreiblichen Gewaltexzessen“ sprach er im Falle des Irak. Die Situation sei so schlimm, dass Worte es kaum beschreiben könnten. Häufig werde allerdings vergessen, dass der IS auch Muslime attackiere. In Vietnam hingegen sei der Staat der Hauptakteur bei Menschenrechtsverletzungen. „Religiöses Leben wird kontrolliert und infiltriert“, sagte Bielefeldt. Hindus in Indien setzten zugleich Christen und Muslime unter Druck. In Eritrea hingegen seien vor allem die Zeugen Jehovas bedrängt – ebenso wie in Russland. Christliche Konvertiten seien im Iran gefährdet. „Besonders häufig trifft es dort Evangelikale, wie auch in vielen anderen Staaten“, sagte er. Grund dafür sei deren Missionstätigkeit. Andernorts „trommeln buddhistische Mönche gegen Muslime“. Auch Deutschland nahm Bielefeldt ins Visier. Im Zuge der Beschneidungsdebatte vor zwei Jahren habe sich ein „aggressiv-populistischer Antisemitismus“ gezeigt. Es gebe folglich keine „natürliche Opfer- oder natürliche Täterreligion“. Nicht nur in islamischen Staaten sei die Religionsfreiheit unterdrückt. „Ohne dieses Recht, ist der Rest der Menschenrechte nichts wert“, sagte er und forderte die Zuhörer dazu auf, gegen Verletzungen der Religionsfreiheit einzutreten „wo immer, Sie sie sehen“. Besonders auch dann, wenn die Medien nicht (mehr) darüber berichteten. (pro)
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