"Lesen Sie die Zehn Gebote und Sie stoßen unweigerlich auf die Menschenrechte." Leben, Familie, Eigentum, Würde – der Schutz all jener liege schon in den biblischen Gesetzen begründet, erklärte der ehemalige Bundespräsident Deutschlands, Roman Herzog, am vergangenen Wochenende auf der Tagung "Christliche Quellen freiheitlicher Systeme" des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU (EAK) und der Jungen Union (JU) in Rheinland-Pfalz. Die Bibel sei "die geistige Grundlage weiter Teile unseres verfassungspolitischen Denkens", sagte Herzog.
Nicht nur er war am vergangenen Wochenende nach Bad Kreuznach gereist, um beim Albrecht Martin-Symposium über die christlichen Grundlagen der Demokratie zu sprechen. Neben der Bundestagsabgeordneten Julia Klöckner, sprach auch Günther Beckstein, ehemaliger bayrischer Ministerpräsident, zum Thema. Anlass der Tagung war ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom November dieses Jahres. Die Richter hatten entschieden, dass das Aufhängen von Kruzifixen in Klassenzimmern in Italien gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt.
Herzog widersprach der in seinen Augen "allgemeinen gedruckten Meinung", die Kirche sei demokratiefern. Vielmehr begründe sich die Freiheit und Würde des Menschen, die Grundlage der Demokratie, erst durch den christlichen Glauben: Durch Jesu Tod am Kreuz und die Gottes- Ebenbildlichkeit des Menschen. Vor diesem Hintergrund sei es für Christen wichtig, zu ihren Überzeugungen zu stehen, aber auch Debatten darüber zuzulassen.
"Wir wissen nicht, was Frömmigkeit ist"
Im Hinblick auf den Minarett-Entscheid in der Schweiz erklärte Herzog, die moderne Gesellschaft habe deshalb so große Schwierigkeiten mit dem Islam, weil sie mit einem solchen "unverbrüchlichen Volksglauben" nicht mehr vertraut sei. "Unsere Überzeugungen sind durch den Kanal der Aufklärung gegangen." Deshalb verstünde eine moderne Gesellschaft nicht mehr, was es mit einem gelebten Glauben auf sich habe. Die Frage, die deshalb immer wieder aufkomme sei: "Wie grenzen wir Fundamentalismus und Frömmigkeit ab?" In "den großen Zeitungen" gingen die Termini durcheinander, weil niemand mehr wisse, was Frömmigkeit sei.
Julia Klöckner erklärte, für sie als gläubige Katholikin gehöre ein Kruzifix ins Büro, auch wenn sie dafür abschätzige Blicke ernte. "Es hilft mir in meiner politischen Arbeit, gläubig zu sein", sagte Klöckner. Mit Blick auf den Klimagipfel in Kopenhagen erklärte sie, es sei ein "tiefstchristlicher Auftrag", nicht nur so zu leben, dass es einem selbst gut gehe, sondern auch kommenden Generationen den Weg zu bereiten.
Tolerant als Christ und Politiker
Der ehemalige Bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein plädierte auf der Tagung für Toleranz auch gegenüber anderen politischen oder religiösen Überzeugungen. Jeder Mensch sei fehlbar und habe nie die ganze Wahrheit für sich gepachtet, so Beckstein. Politik in einer säkularisierten Gesellschaft bedeute daher, die eigenen Positionen nicht für allgemein gültig zu halten.
Als Vizepräses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) erlebe er gegenwärtig die Spannungen, als Politiker, der als "Hardliner" bezeichnet wurde, in einer verantwortlichen kirchlichen Position tätig zu sein. "Das Spannende ist aber, gerade in solchen Bereichen politische Entscheidungen zu prägen, in denen sich Christen nicht immer äußern", so Beckstein. Diese seien etwa die Ausländer- und Sicherheitspolitik. "Ich war immer davon überzeugt, dass es richtig ist, den Zugang zu Deutschland zu beschränken, da uns eine unbegrenzte Einwanderung überfordern würde." Eine derartige Position werde jedoch nicht in allen kirchlichen Kreisen geteilt. Als Politiker, der eine christliche Überzeugung hat, sei es jedoch notwendig, in kirchlichen oder politischen Ämtern auch unterschiedliche Entscheidungen zu treffen. "Hier greift die Freiheit eines Christenmenschen, die Luther definiert hat."
Beckstein würdigte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die Öffnung von Geschäften an Sonntagen insbesondere unter Berufung auf die christlichen Wurzeln Europas einzuschränken. "Ich bin froh, dass die Bundesverfassungsrichter nicht ihrer Entscheidungslinie des Kruzifix-Beschlusses gefolgt sind." Das Urteil verdeutliche, dass sich eine Gesellschaft nicht alleine an kommerziellen Zielen ausrichten könne. 1995 hatte das deutsche Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das Aufhängen von Kruzifixen in bayrischen Klassenzimmern keine Pflicht ist. Zuvor schrieb die Landesverfassung dies vor.
"Selbstverständlich besteht auch für Muslime in Deutschland ein Grundrecht darauf, ihre Religion frei auszuüben", so Beckstein weiter. Ein Volksentscheid wie in der Schweiz, der den Bau von Minaretten verbietet, sei in Deutschland aufgrund der Verfassung nicht denkbar. Die Entscheidung der Schweizer könne jedoch Muslimen etwa in der Türkei verdeutlichen, welche Auswirkungen eine Einschränkung der Glaubensfreiheit habe. Gleichzeitig sei es unerlässlich, gerade in muslimisch geprägten Staaten die Freiheit von Christen zu fordern und anzumahnen. "Der überwältigende Teil des Islam verfolgt Christen, weil Muslime die Konvertierung laut Koran verbieten", sagte Beckstein. (pro)