Zunächst die gute Nachricht: Die Gesellschaft ist weit weniger gespalten, als es derweil den Anschein hat. Das zumindest sagt die Wissenschaft. Genauer gesagt der Professor für Makrosoziologie an der Humboldt Universität Berlin, Steffen Mau, bekannt durch sein aktuelles Buch „Triggerpunkte“.
Polarisierung sei zwar ein riesiges Thema in den Medien, das zeigten Statistiken über die Berichterstattung, erklärte Mau am Dienstag in Berlin. Tatsächlich drifte die Gesellschaft aber weit weniger auseinander als angenommen: „Wir sehen keine Lagerbildung“, stellte Mau fest. Vor allem nicht zwischen gesellschaftlichen Schichten. „Die Meinungen fallen nicht auseinander“, sagte er. Es gebe keine „zwei Welten“.
Triggerpunkte erschweren die Debatte
Wohl aber gebe es Themen, über die dauerhaft und emotional gestritten werde: Klima, Migration oder Gender etwa. Dabei gehe es in Deutschland aber häufig, und auch das ist eine gute Nachricht, wenig grundsätzlich zu. Nicht die Frage, ob es einen Klimawandel gebe, errege die Gemüter, sondern die Frage nach der politischen Gestaltung. Nicht die Frage, ob Gleichstellung relevant sei, sondern die Mittel der Umsetzung seien Steine des Anstoßes.
Genau hier treten laut Mau immer häufiger bestimmte hochsensible Inhalte auf, sogenannte Triggerthemen. Ein häufig bemühtes seien etwa die vielzitierten „Radwege in Peru“, die die Bundesregierung angeblich mit viel Geld finanziert. Der Ausspruch ist zu einer Art Chiffre für politische Geldgräber geworden. Gendersprache oder Quotenregelungen seien Triggerthemen, Islamisierung oder zusätzliche Rechte für Transmenschen. Kämen solche Triggerthemen zur Sprache, gehe es in der Debatte nicht mehr rational und geordnet zu, sondern die Emotionen übernähmen die Kontrolle. Das Streiten werde schwer, scheinbar unüberwindbare Fronten täten sich auf, es werde moralisiert, Einigung erscheine unmöglich.
Die Politik ist schuld
Besonders die Politik bewirtschafte nicht selten eben diese Triggerthemen. Denn allzu oft seien wenige Unterschiede zwischen den Parteien erkennbar. Deshalb sprächen Politiker oft über sensible Einzelthemen, von denen sie wüssten, dass sie die Gemüter erhitzten – um Wähler zu gewinnen. Mau spricht deshalb von einer „gefühlten Polarisierung“. Nicht die gesellschaftliche Mitte sei gespalten, wohl aber würden die Ränder lauter und die Politik selbst bediene sich dessen. Maus Fazit: Die Politik redet die Polarisierung im wahrsten Sinne herbei.
Auch die Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach und der Journalist Korbinian Frenzel haben sich in ihrem Buch „Defekte Debatten – Warum wir als Gesellschaft besser streiten müssen“ mit der Frage nach der Polarisierung auseinandergesetzt. „Es ist gefühlt jeden Tag politischer Aschermittwoch“, sagte Reuschenbach auf der „Republica“, um die derzeitige Stimmung in der Politik zu beschreiben, und drückte eine Sorge aus: „Wenn selbst die, die es gut meinen mit der Demokratie, nicht mehr diskursfähig sind, wie sollen sie dann bestehen gegen die, die von außen kommen und es nicht gut meinen?“
„Brauchen wieder mehr Leitplanken“
Frenzel stellte auch für die Gesellschaft fest: „Es ist etwas schief in der Debattenkultur.“ Seine These: Viele fühlten sich als „dauerhafte Verlierer“. Und weiter: „Die große entgrenzte Welt hat dazu geführt, dass viele wieder mehr Leitplanken brauchen.“ Es gebe ein wachsendes Bedürfnis nach klaren Bekenntnissen, etwa zu Waffenlieferungen oder Gendersprache. Dabei stehe die komplexe Weltlage in keinem guten Verhältnis zur Unterkomplexität der öffentlichen Debatten. Oder wie er sagte: „Die Debatten sind dümmer als wir selbst.“
Das stellt er auch in der Medienlandschaft fest: Machtfragen würden inhaltlich überbetont, Inhaltliches fiele hinten runter. Journalisten verhielten sich „lemminghaft“, teils aus „Gedankenfaulheit“, aber auch getrieben von Themendichte und durch bestimmte eingeprägte politische Grundhaltungen.
Er fordert ein Umdenken, etwa im medialen Umgang mit Politikern. Journalistisches Ziel sei es oft nur, die Fehler zu finden. Stattdessen müssten auch Journalisten lernen, ergebnisoffen zu diskutieren und auch zu erklären, wo der Politik etwas gelinge. Reuschenbach und Frenzel wünschen sich deshalb mehr konstruktiven Journalismus. Etwa in Form eines „Tags der guten Nachrichten“, an dem neben dem tagesaktuellen Geschehen vor allem über positive Entwicklungen berichtet werden soll.