Die Vorstellung von Gott sei ein starkes Argument für die Existenz Gottes, so lautet der Grundsatz des Gottesbeweises von Spaemann. Diesen erläuterte der 1927 geborene Emeritus für Philosophie an der Universität München zuletzt in seinem Buch „Der letzte Gottesbeweis“, das im Sommer vergangenen Jahres erschienen ist. „Man könnte ja auch sagen, das Vorkommen von Durst ist ein Argument für die Existenz von Wasser“, so Spaemann gegenüber „P.M.“.
Auf die Frage „Wie können wir gewiss sein, dass Gott nicht doch ein bloßes Wunschbild ist?“ antwortet der gläubige Philosoph: „Es gibt überwältigende Erfahrungen, die überhaupt nicht funktional sind: die Erfahrung des Schönen, die uns hinreißt und überwältigt.“ Bei einem Sonnenaufgang oder einem schönen Menschen „entsteht ein Jubel im Herzen, der eben nicht funktional ist und mit den Sinneseindrücken nichts zu tun hat“.
Argument gegen Evolution
Die Tatsache, dass Menschen gern und selbstaufopfernd einander Gutes tun, sei „evolutionstheoretisch ganz unerklärbar“. „Warum gibt es so etwas? Das passt nicht in die Welt des Fressens und Gefressenwerdens.“
Auch der immer wieder angebrachten Argumentation, dass die Aufklärung der Religion widerspreche, und „aufgeklärte“ Menschen zugleich „ungläubige“ Menschen sein müssten, tritt Spaemann entgegen. Er ist überzeugt: „Ein Gegensatz zwischen Glauben und Vernunft existiert nicht, weil die Vernunft selbst auf einem Glauben beruht.“ Deswegen komme auch die Aufklärung nicht ohne Gott aus. „Denn Aufklärung beruht auf dem Vertrauen in die Vernunft. Andersherum gesagt: Wenn Gott existiert, begründet das ein Vertrauen in die Vernunft.“
Für jede Wahrheit müsse es einen Träger geben, der diese Wahrheit denkt, so Spaemann. Das „Trägermedium“ der Wahrheit nennt Spaemann Gott. „Gott ist das Bewusstsein, in dem alle Wahrheit aufgehoben ist.“ Der P.M.-Autor fragt nach: „Wenn die Existenz Gottes logisch ableitbar ist – warum müssen wir dann an ihn glauben, anstatt von ihm zu wissen?“ Spaemann antwortet: „Wir müssen, um zu wissen, unserem Wissen vertrauen.“ Auch das Wissen von Gott sei – wie jedes andere Wissen – untrennbar von einem Akt des Vertrauens.
Atheisten stumpfen ab
Auch Menschen, die nicht an Gott glauben, könnten ein ethisch akzeptables Leben führen, meint der Philosoph. „Aber meiner Meinung nach können Atheisten letztlich nicht begründen, warum sie diese ethischen Maßstäbe haben“, fügt er hinzu. „Das Problem des Atheismus ist, dass er nicht wahr ist.“ Gläubige Menschen seien der Wahrheit näher als Atheisten, ist Spaemann überzeugt. „Das, was ich den Jubel im Herzen nenne, hängt meiner Meinung nach damit zusammen.“
Weil „die stärkste Emotion, die sich aus dem Glauben an Gott ergibt“, die Freude sei, bleibe für einen Atheisten letztendlich „alles banal“. An der Lehre Jesu bewundere er, dass darin die durchschnittliche Lebensweise als falsch dargestellt werde. „Weil es ein Leben in Selbstbezogenheit ist. Es fehlt, was im Neuen Testament Lieben heißt“, so Spaemann.
„In virtuellen Welten wird Gott entbehrlich“
Damit verbindet Spaemann seine Kritik an der zunehmenden Medialisierung der Welt: aus der Selbstbezogenheit erwachse eine „allgegenwärtige Tendenz der Menschen, sich in virtuelle Welten zurückzuziehen“. Spaemann: „Virtuelle Welten sind Nichtwirklichkeiten. Und wenn wir in virtuellen Welten leben, wird Gott entbehrlich.“
Der Wunsch des Menschen, aus dem Hier und Jetzt zu fliehen, sei daher im Grunde „ein Aussteigen aus der Dimension des Göttlichen“, so Spaemann. „Virtuelle Welten sind auch eine Konkurrenz für die Frömmigkeit.“ Unter Frömmigkeit versteht er dabei eine „Aufmerksamkeit der Gegenwart“. Wer den Fernseher einschalte, sei woanders, „nicht mehr in meiner eigenen Gegenwart. Und ich muss mir anschauen, was andere sich ausdenken.“
Fernsehen und Internet lassen Wahrnehmung für unsichtbare Welt verkümmern
Dass dies schlimme Auswirkungen habe, könne man etwa bei Kindern sehen. Kinder, die regelmäßig fernsehen, malten Bilder, „die klein und kümmerlich sind, weil sie nur ein Viertel des Raumes auf dem Zeichenblatt ausnutzen. Kinder hingegen, die wenig oder gar nicht fernsehen, malen kraftvolle, großflächige Bilder. Im Grunde haben uns das Fernsehen und andere virtuelle Medien in eine atheistische Atmosphäre geführt, die tendenziell die menschlichen Organe für die unsichtbare Welt zum Absterben bringt.“
Spaemann warnt: „Wenn wir keine Heiligkeit mehr kennen, sind wir den Gegebenheiten, dem Grau-in-Grau des Alltäglichen, ausgeliefert.“ Als „himmlische Rechenkunst“, die den Menschen mehr und mehr verloren gehe, bezeichnet Spaemann die Fähigkeit, „unsere gewohnten Sichtweisen zu verrücken“ und „Nachteile als Vorteile zu sehen: „Demütigung als Ehre, Verlust als Gewinn, (…) den eigenen Komfort als einen Überfluss, der in Wirklichkeit den Armen gehört“. Er selbst bringe „den Alltag ins Gebet“ und mache ihn „durchsichtig für das Einmalige unseres Daseins“.
Das Wichtigste am Christentum, fasst er zusammen, sei die Lehre von der Vergebung, so Spaemann: „Dass ein Mensch tatsächlich immer wieder neu beginnen kann im Zustand der Unschuld – das ist eine ungeheuerliche Sache: ein Einbruch der Ewigkeit in diese Welt des Verfalls.“ (PRO)