Die Osnabrücker Marienkirche hat einen ungewöhnlichen Gottesdienst gefeiert: Am Sonntagmorgen stand ein präparierter menschlicher Körper – ein sogenanntes Plastinat – im Mittelpunkt. Gemeindepfarrer Frank Uhlhorn hatte es aus der Ausstellung „Körperwelten“ abholen lassen, die momentan in der niedersächsischen Stadt stattfindet.
Bei „Körperwelten“ werden weltweit plastinierte Leichen ausgestellt. Sowohl die umstrittene Ausstellung, als auch das Verfahren der Plastination selbst gehen auf den deutschen Arzt Gunther von Hagens zurück. Auch er war samt Frau und Kind bei dem Gottesdienst anwesend.
Bei dem ausgestellten Plastinat handelte es sich um einen Mann, der eine Fackel nach oben reckt. Aufgestellt wurde das Präparat unter der Kanzel. Pfarrer Uhlhorn arrangierte seine Predigt um das unkonventionelle Ausstellungsstück herum. Das Thema lautete „Sieh, der Mensch“. So sei an dem Körper erkennbar, dass der Mensch ein „Kunstwerk der Schöpfung Gottes“ sei. „Wir leben alle von Voraussetzungen, die wir nicht selber geschaffen haben […]. Auch mit noch so viel Technologie werden Computer so bald nicht Fußball spielen können. Aber der Mensch kann es. Als Geschenk, als Gabe Gottes des Schöpfers.“
Kritik vor allem im Vorfeld
In der Predigt wie auch im Verfeld des Gottesdienstes nahmen Uhlhorn und seine Gemeinde auch Bezug auf mögliche moralische Bedenken. Auf den Bänken lagen Zettel, die Besuchern Alternativgottesdienste anboten, falls sie sich durch das Ausstellungsstück gestört fühlten. Doch das war offenbar überflüssig: Rund 200 Menschen nahmen an dem Gottesdienst teil. Bereits seine Ankündigung hatte in der Region Wellen geschlagen.
Ein Skandal blieb aus. Es habe keine Protestaktionen gegeben, schreibt die Osnabrücker Online-Zeitung Hasepost.
Kritik an der Aktion hatte es vorher dennoch gegeben – vor allem aus der hannoverschen Landeskirche und dem Kirchenvorstand der Marienkirche. So hatten sich etwa der geistliche Vizepräsident des Landeskirchenamtes Hannover, Arend de Vries, und Regionalbischöfin Birgit Klostermeier kritisch geäußert. „Jeder Mensch besitzt eine Würde über den Tod hinaus und kann deshalb kein Ausstellungsstück beziehungsweise bloßes Objekt sein“, sagte de Vries. Es stehe jedoch jedem Pfarrer frei, seine Gottesdienste nach eigenem Ermessen zu gestalten.
Erste positive kirchliche Bezugnahme auf Plastinate
Diese Kritik ist exemplarisch für die bisherige Haltung der Kirchen zur „Körperwelten“-Ausstellung. Der Gottesdienst ist die erste positive Bezugnahme der Kirchen überhaupt. Bislang war sie überall teils heftig kritisiert worden, zumeist für Respektlosigkeit und Nichtachtung der Totenruhe.
In seiner Predigt betonte Pastor Uhlhorn, dass die Totenruhe nicht gestört werde, denn Gott allein behüte die Menschen und lasse „alle auferstehen, die jemals gestorben sind“. Nach biblischer Lehre sei es daher für eine Person unerheblich, was nach dem Tod mit ihrem Leichnam geschehe. Innerhalb der Theologie ist die Rolle des Körpers bei der Auferstehung des Menschen jedoch umstritten.
Theologisches Körperverständnis wandelt sich
Auch Uhlhorn erwähnte in seiner Predigt, dass das Verständnis von Tod und Ewigkeit immer im Wandel sei. So habe sich die Evangelische Kirche etwa bis in die Sechzigerjahre gegen Urnenbestattungen gewehrt – weil die Lehrmeinung damals gewesen sei, der Mensch könne bei diesen nicht körperlich auferstehen. „Aber ich meine, es gibt keine theologischen Probleme mit einem plastinierten Menschen“, zitiert die Rheinische Post den Pfarrer.
Sein Gottesdienst habe unter anderem zur Aufklärung beitragen wollen. Das Innere des Körpers auch normalen Menschen, nicht nur Medizinern, begreiflich zu machen, sei „eine Art von Demokratisierung“.
Seelsorge im Mittelpunkt
Doch im Mittelpunkt steht für Pfarrer Uhlhorn etwas anderes. „Jenseits aller Nebengeräusche geht und ging es mir um ein seelsorgerisches Anliegen: Wie sind heute unsere Vorstellungen über ein Leben nach dem Tod, was sagt die Bibel dazu, ist sie vielleicht moderner, als es den Anschein hat?“, sagte er gegenüber pro.
Das formulierte der Pastor auch in der Fürbitte: „Wir wissen und spüren, dass der Tod vielen Menschen Angst macht. Und wer hat nicht einen Teil in sich, der zurückschreckt von der Unabänderlichkeit der begrenzten Zeit für uns alle? Wir bitten dich: Tröste uns, wie eine Mutter tröstet. Nimm uns in deine himmlischen Arme.“ Ein Plastinat könne helfen, der Angst vieler Menschen vor dem Tod zu begegnen.
Medizinethiker Nagel: „Grusel statt Gedenken“
Der Medizinethiker Eckard Nagel sieht das anders. In einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst nannte er die Ausstellung des Plastinats im Gottesdienst „Voyeurismus pur“. Um den entsprechenden Inhalt zu vermitteln, hätte der Pfarrer das Plastinat nicht gebraucht.
Nagel ist Professor am Institut für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften der Universität Bayreuth und Gründungsmitglied des Nationalen Ethikrats. Auch die „Körperwelten“ selbst kritisierte er scharf. Sie seien „Grusel statt Gedenken“; die Plastinate markierten „den Verlust des Staunens über das Wunder des Lebens“.
Pfarrer Uhlhorn betonte gegenüber pro: „Es geht mir nicht darum, meine Meinung durchzusetzen. Ich achte andere theologische, moralische oder auch emotionale Haltungen zu der Frage.“ Problematisch sei es aber, die Motive derer unter Generalverdacht zu stellen, die „Körperwelten“ – oder eben den Gottesdienst – besuchen. „Sind aber die, die diese Austellung besuchen, die einen Toten mit Hilfe von Plastik mumifiziert sehen wollen, alle primitiv und nur schaulustig? Eine solche abwertende Haltung wäre arrogant. […] Man darf sich nicht über andere erheben“, sagte er in seiner Predigt.