Als „pastoralen Staatsmann“ hat pro den früheren Bundespräsidenten Joachim Gauck einmal bezeichnet. Er hatte Theologie studiert und war bis 1989 Gemeindepfarrer. Zur ersten freien Volkskammerwahl in der DDR im März 1990 trat er für Bündnis 90 an und war bis Oktober Abgeordneter. Sein Mandat legte er nieder, als er Sonderbeauftragter der Bundesregierung für die personenbezogenen Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes wurde und die Leitung der Stasiunterlagenbehörde übernahm, die in seiner Amtszeit den inoffiziellen Namen „Gauck-Behörde“ trug.
2010 kandidierte Gauck zum ersten Mal für das Amt des Bundespräsidenten, unterlag aber knapp Christian Wulff. Nach dessen Rücktritt stellte sich Gauck erneut zur Wahl und erhielt 991 von 1228 Stimmen. In seiner fünfjährigen Amtszeit hat er sich öfter auch politisch geäußert. Bei der Münchener Sicherheitskonferenz 2014 etwa rief er Deutschland auf, mehr Verantwortung in der Welt zu übernehmen. Dies erfordere manchmal auch einen militärischen Einsatz. Die Äußerung galt für manche als ein Tabubruch. Ein Staatsbesuch in der Türkei im selben Jahr führte fast zu einem Eklat, als Gauck scharfe Kritik an Demokratiedefiziten der Regierung des damaligen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan übte. Der türkische Politiker wies dies als „Einmischung in innere Angelegenheiten“ zurück. Woraufhin Gauck erwiderte, er sei in seiner Kritik „eher noch zurückhaltend gewesen“, zitierte ihn die Zeitung Die Welt.
pro schrieb zum Ende seiner Amtszeit über ihn: „Für Gauck gibt es immer eine Alternative. In den dunklen Stunden von Terror und Krisen bleibt er nicht stehen, sondern verweist darauf, dass es weitergeht. Immer wieder sprach er von der Hoffnung und der Liebe, die in Gottes Wort steckt, wie etwa in einer seiner Weihnachtsansprachen. Gauck ist ein pastoraler Staatsmann.“
„Aus Ihrem Wirken ist viel Segen erwachsen“
Gauck machte sich immer wieder stark für Freiheit, Toleranz und die demokratische Debatte – auch nach seiner Amtszeit. 2017 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Evangelisch-Theologischen Fakultät an der Universität Münster. Gaucks Lebenswerk als Theologe, Bürgerrechtler und Staatsmann zeige „die vitale Prägekraft von Spiritualität und religiös inspirierter Moral“, sagte sein Laudator Arnulf von Scheliha. Im vorigen Jahr veröffentlichte Gauck ein Buch zum Thema Toleranz. Darin prangert er Extremismus an den politischen Rändern an. Mit der AfD fordert er eine inhaltliche Auseinandersetzung.
Jüngst äußerte sich der Altbundespräsident auch zur Regierungsbildung in Thüringen und brachte Linken-Ministerpräsident Bodo Ramelow und CDU-Landes- und Fraktionschef Mike Mohring zu einem gemeinsamen Gespräch zusammen. Die CDU solle „Regierungsfähigkeit“ herstellen, mahnte Gauck – nicht im Sinne einer Koalition mit den Linken, wie er betonte, sondern in „Formen von Duldung oder Ähnliche(m)“. Gleichzeitig riet Gauck der Union in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur, ihr konservatives Profil zu schärfen, ohne dabei reaktionär zu werden.
Am Freitag wurde Gauck 80 Jahre alt. Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, gratulierte dem Altbundespräsidenten: „Sie haben aus Ihrem christlichen Glauben auch in diesem Amt keinen Hehl gemacht.“ Bedford-Strohm lobte Gaucks Einsatz für eine Erinnerungskultur in Deutschland, „die die Erinnerung an die dunklen Seiten unserer Geschichte als Grundlage des Einsatzes für die Menschenwürde heute versteht“. Die Kirchen habe der Jubilar „immer wieder ermutigt, gerade durch eine zuversichtliche und fröhliche Glaubenshaltung“ einen Beitrag zur Demokratie zu leisten. Aus Gaucks Wirken sei „viel Segen erwachsen“.
Von: Jonathan Steinert