Parzany-Dokument: Ein Hauch Barmen

Vom Kasseler Kommuniqué gehen zwei wichtige Botschaften aus. Die Evangelische Allianz und der Gnadauer Gemeinschaftsverband werden sich dem Dialog öffnen müssen. Eine Analyse von Nicolai Franz
Von Nicolai Franz
Er hatte den Allianz-Vorsitzenden in einem offenen Brief kritisiert, bevor er zu einem Treffen nach Kassel lud: Der langjährige ProChrist-Evangelist Ulrich Parzany
Die Evangelikalen haben sich nicht gespalten. Das ist die erste Botschaft vom Samstag aus Kassel, wo eine 65-köpfige Gruppe evangelikaler Christen um den Evangelisten Ulrich Parzany ein Kommuniqué veröffentlicht hat. Die zweite ist: Dieses Dokument ist nicht der Abschluss eines Richtungsstreits in der evangelikalen Bewegung, sondern der Anfang einer öffentlich geführten Debatte. Mit dem Ziel, den Aufruf „Zeit zum Aufstehen“ um einige Punkte zu ergänzen, war Parzany bereits vor der Sitzung am Samstag gescheitert, nachdem die Initiatoren des Aufrufs dem Vorhaben eine Absage erteilt hatten. Die Gruppe um Parzany fordert den Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverband und die Deutsche Evangelische Allianz (DEA) auf, „zu diesen Irritationen klärend Stellung zu beziehen“. Bei diesen „Irritationen“ geht es nicht etwa vorrangig darum, ob Menschen, die in homosexuellen Beziehungen leben, in einer Gemeinde mitarbeiten dürfen. Der Allianz-Vorsitzende Michael Diener, ein über die eigenen Reihen weithin geachteter Kirchenmann, hatte zuvor in der Tageszeitung Die Welt und im pro-Interview eine konservative Meinung in Sachen Homosexualität vertreten. Gleichzeitig wolle er Homosexuellen die gemeindliche Mitarbeit ermöglichen, wenn sie für sich „diese Frage geistlich geklärt“ hätten. Die Verfasser wittern vielmehr einen ganz grundsätzlichen Konflikt in der Frage, ob christliche Bekenntnisse verbindlich sind und ob dieses Bekennen auch einschließt, falsche Lehren zu verwerfen. Unter diesen „falschen Lehren“ sei zum Beispiel die Ansicht, es gebe neben Jesus Christus auch noch andere Wege zum Heil, dass die Taufe auch ohne den Glauben rette oder dass gleichgeschlechtliche Beziehungen dem Willen Gottes entsprächen und daher von Kirchen gesegnet werden dürften.

Kommuniqué sollte ernstgenommen werden

Diese Sätze beginnen jeweils mit „Wir widersprechen der falschen Lehre,…“. Fast gleichlautend findet sich diese Formulierung in einem mehr als 80 Jahre älteren Dokument, nämlich der Barmer Theologischen Erklärung. In dieser wichtigen evangelischen Schrift protestierten Theologen um Karl Barth aufs Schärfste gegen die kirchliche Entwicklung während des Dritten Reichs, indem sie grundlegende christliche Überzeugungen bekräftigten – und eben „falsche Lehren“ verwarfen. Das gemeinsame Bekenntnis füge sie zur Kirche zusammen, schrieben die Theologen damals. Die „Gemeinsamkeit dieses Bekenntnisses und damit auch die Einheit der Deutschen Evangelischen Kirche“ sei „aufs Schwerste gefährdet“. Es wäre zwar absurd, die aktuelle politische oder kirchliche Situation mit dem dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte zu vergleichen, als die Barmer Erklärung verfasst wurde. Dennoch weht aus dem Kasseler Kommuniqué ein Hauch Barmen, über den sich die Verfasser im Klaren gewesen sein dürften. Deren zweifellos bewusst gewählten dramaturgischen und begrifflichen Parallelen zeigen zumindest eines: Dass dieses Dokument ernstgenommen werden sollte. Es sind zudem keine theologischen oder kirchlichen Leichtgewichte, die dieses Kommuniqué verfasst haben – und auch keine verbitterten alten Männer. Unter ihnen sind namhafte Theologen, die nicht als Scharfmacher, sondern als ernstzunehmende und einflussreiche Evangelikale gelten. Mit Rolf Hille hat sich gar ein ehemaliger Allianz-Vorsitzender hinter die Kasseler Gruppe gestellt. Deren Ziel sind „gemeinsame Gespräche“, die zur Klärung beitragen sollen. Die Evangelische Allianz und der Gnadauer Verband werden sich im Interesse der Einheit der Evangelikalen diesem Dialog öffnen müssen. (pro)
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/kirche/detailansicht/aktuell/netzwerk-bibel-und-bekenntnis-formiert-sich-94762/
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/kirche/detailansicht/aktuell/keine-konkurrenz-zur-evangelischen-allianz-94625/
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