Mehrere tausend Demonstranten zogen zeitgleich mit dem Auftreten des Papstes im Bundestag durch das Zentrum Berlins. Die Polizei sprach von 4.000 Teilnehmern, die Veranstalter von 10.000. Erwartet hatten sie doppelt so viele Teilnehmer. Zuvor gab es eine Kundgebung am Potsdamer Platz. Ein Bündnis von knapp 70 Organisationen hatte unter dem Motto "Keine Macht den Dogmen" zu der Kundgebung gegen den Papst aufgerufen. Die Demonstranten verhielten sich weitgehend friedlich, hieß es noch am Donnerstag vonseiten der Polizei, vereinzelt seien aber Flaschen gegen Polizisten geflogen. Verletzt wurde dabei niemand. Auch im Bundestag zeigte sich deutlicher Prostest am Auftritt des Papstes. Ungefähr 70 Plätze von Parlamentariern blieben leer, im Vorfeld hatten rund 100 Oppositionspolitiker angekündigt, der Rede des Papstes kein Gehör schenken zu wollen. Rund zwei Drittel der Linken-Fraktion nahmen nicht teil, der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele verließ während der Ansprache den Saal.
Lob von Regierung und SPD
Gemischt waren die Reaktionen der Abegeordneten nach der philosophischen Rede des Papstes. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe hat die Rede als "sehr wertvolle Orientierung für unser tägliches Tun in der Politik" gewürdigt. "Die Mahnung des Papstes, die Wahrung der Gerechtigkeit in allem politischem Bemühen nicht aus den Augen zu verlieren, tut uns allen gut", sagte Gröhe nach der Rede am Donnerstag in Berlin. Die Erinnerung an die geistigen Grundlagen Europas seien gerade in dieser Zeit großer Herausforderungen "ein wichtiger Kompass für uns alle". Die CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt sagte: "Seine Worte haben Brücken geschlagen und uns als Abgeordnete an die Grundlagen unserer politischen Entscheidungen erinnert, nämlich Gerechtigkeit und Frieden", und weiter: "Er hat uns zu Herzen geredet." Die Rede sei "einer der größten Momente der deutschen Parlamentsgeschichte" gewesen.
Der FDP-Vorsitzende Philipp Rösler hat die Rede Papst Benedikts XVI. im Bundestag als "denkwürdiges Bekenntnis zu den unveräußerlichen Menschen- und Freiheitsrechten" bezeichnet. Das Kirchenoberhaupt habe "das rechte Wort am rechten Platz gefunden" und einen Beitrag zur Besinnung "auf die Grundwerte unseres Rechtsstaats und unseres freiheitlichen Gesellschaftssystems" geleistet, erklärte Rösler am Donnerstag. Die Betonung von Natur und Vernunft als Rechtsquellen verdiene Beachtung. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle hat die Papst-Rede als wichtige Unterstützung für die Politik bewertet. Benedikt XVI. habe die Abgeordneten in jener Wertebasis für verantwortliches Handeln bestärkt, worauf die inneren Fundamente von Demokratie und Rechtsstaat beruhten. "Das hat er glänzend, in klaren, einfachen Strichen, für jeden verständlich, deutlich gemacht", sagte Brüderle am Donnerstag in der ARD. Man habe nicht erwarten dürfen, dass der Papst dem Bundestag konkrete Vorschläge für die Euro-Schuldenkrise oder andere große Themen liefere. "Das ist sicherlich nicht seine Aufgabe, uns ein Rezeptbuch zu liefern, wie wir Detailprobleme lösen." Brüderle kritisierte, dass zahlreiche Oppositionspolitiker die Rede boykottierten. "Nur wenn man zuhört, kann man verstehen, auch wenn man eine andere Meinung hat. Aber das Zuhören nicht mehr als Teil der Aufgabe zu sehen, enttäuscht."
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hat die Hinweise des Papstes an die Politik als Aufruf zur Regelsetzung gewertet. "Wer hingehört hat, konnte hören, dass es die Aufgabe an Politiker ist, Regeln zu setzen", sagte Steinmeier nach der Rede am Donnerstag in der ARD. Im Verweis des Papstes auf den heiligen Augustinus habe sich eine Absage an Regellosigkeit verborgen. Benedikt XVI. hatte Augustinus zitiert mit den Worten: "Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande." Steinmeier lobte die Sondersitzung für den Papst: "Das war ein sehr respektvoller Empfang." Die Rede habe etwas über die Grundlagen des Zusammenlebens ausgesagt. "Sehr angetan" zeigte sich SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles. "Es war eine sehr kluge, stellenweise humorvolle und selbstironische Rede", sagte die bekennende Katholikin. Der Anspruch an die Zuhörer sei sehr hoch gewesen.
Grüne und Linke zeigten sich kritisch
Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck hat den Bundestag als keineswegs idealen Ort für die Papstrede gewertet. "Diese Rede hätte sehr gut in die Humboldt-Universität gepasst", sagte Beck am Donnerstag in der ARD. Den Inhalt der Rede hätte man gut in einem intellektuellen Gespräch weiterführen können. Beck lobte, die Ausführungen des Papstes zur "Ökologie des Menschen" hätten eine andere Nuance als üblich gehabt. Spreche der Papst dieses Thema sonst an, verbinde er das mit seiner restriktiven Sexualmoral. Das habe er sich verkniffen. Benedikt XVI. hatte gesagt, der Mensch habe eine Natur, die er nicht beliebig manipulieren könne. Bei seiner Rede im Bundestag hat Papst Benedik XVI. aus Sicht von Grünen-Fraktionschefin Renate Künast wichtige Fragen offen gelassen. Dazu gehörten Aussagen zu unterschiedlichsten Lebensentwürfen etwa von Wiederverheirateten, Schwulen und Lesben, sagte Künast am Donnerstag im Fernsehsender "n-tv". Positiv an der "sehr theoretischen" Rede sei gewesen, dass über die Vernunft und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen als leitende Werte gesprochen worden sei.
Linksfraktionschef Gregor Gysi hat sich dafür ausgesprochen, nach dem Papst auch Würdenträger anderer Religionen als Redner in den Bundestag einzuladen. Benedikt XVI. habe klar gemacht, dass er als Religionsführer im Parlament rede und nicht als Staatsoberhaupt des Vatikans, sagte Gysi am Donnerstag in einem "Phoenix"-Interview. Damit habe er "den Trick des Bundestagspräsidenten" entlarvt, der ihn als Staatsoberhaupt eingeladen habe. Inhaltlich kritisierte Gysi, dass der Papst zwei Themen ausgelassen habe: Krieg und Frieden sowie die zunehmende Armut und den wachsenden Reichtum. Die Abwesenheit der meisten Abgeordneten seiner Fraktion bei der Rede wertete Gysi als nicht weiter problematisch. "Es waren auch sehr viele da", sagte er. (pro/dpa)