„Ost-Erfolg der AfD hat mit DDR-Vergangenheit zu tun“

Bei einem Gedenkkonzert zu 30 Jahren Mauerfall soll Gregor Gysi die Festrede halten. Der DDR-Bürgerrechtler, Pfarrer und SPD-Politiker Ulrich Kasparick hat sich darüber empört. Im Gespräch mit pro erklärt er, warum, und welche Auswirkungen die DDR auf die religiöse und politische Lage im Osten heute hat.
Von PRO
Die DDR-Vergangenheit hat bei Land und Menschen Spuren hinterlassen

Pro: Die Leipziger Philharmoniker haben den Linken-Politiker Gregor Gysi eingeladen, die Festrede zu halten bei einer Gedenkveranstaltung anlässlich von 30 Jahren Friedlicher Revolution. Sie haben das öffentlich kritisiert. Warum?

Ulrich Kasparick: Der 30. Jahrestag eines solchen Ereignisses ist schon etwas sehr Besonderes. Wenn man den früheren Vorsitzenden der SED ausgerechnet zu diesem Jubiläum nach Leipzig einlädt, muss das Widerspruch hervorrufen. Gysi war ja nun wahrhaftig kein Oppositioneller. Im Gegenteil: Er war ein Träger des Systems. Und in Erinnerung an die Friedliche Revolution einen Vertreter des Systems einzuladen, das ist absolut nicht zu rechtfertigen. Ich habe die Hoffnung, dass die Verantwortlichen noch mal eine Nacht darüber schlafen und einsehen, dass sie sich vergaloppiert haben.

Was bedeutet so ein Signal für Opfer der Stasi?

Ich kenne viele, die gesessen haben – in Hohenschönhausen oder einem anderen Gefängnis, im Roten Ochsen oder im Gelben Elend (Gefängnisse in Halle und Bautzen; Anm. d. Red.). Wer bespitzelt worden ist, für den ist das ein lebenslanges Thema. Wir haben mittlerweile drei Jahrzehnte Erfahrung mit der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit und wir wissen, dass es bei Menschen, die damals in Haft waren, zu Retraumatisierungen kommen kann. Ich sage das auch als Seelsorger. Bei so einem Termin wie dem Jubiläum des Mauerfalls braucht es da schon etwas Fingerspitzengefühl. Das hat man hier nicht gehabt und sich vor allen Dingen nicht mit der Aufarbeitung der Vergangenheit beschäftigt.

Sie warnen in Ihrer Stellungnahme vor Vergesslichkeit in Bezug auf die eigene Geschichte. Ist dieser Fall in Ihren Augen eher ein Einzelbeispiel?

Diese Vergesslichkeit nimmt unglaubliche Ausmaße an. In Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise können Sie ein Abitur bekommen, ohne dass Sie eine einzige Stunde DDR-Geschichte gehabt haben. Die jüngere deutsche Geschichte, zu der die ostdeutsche Geschichte gehört, ist in großen Teilen der jüngeren Bevölkerung nicht mehr präsent. Das ist katastrophal.

Sie waren einige Jahre zusammen mit Herrn Gysi im Bundestag. Wie haben Sie ihn da erlebt?

Er ist eloquent, aber für mich war er immer ein Repräsentant des „Advokaten“. Das kommt in der Literatur des neunzehnten Jahrhunderts als Schimpfwort vor. Das ist einer, der in allen Situationen eine Ausrede findet und einem das Wort im Munde umdreht. Ich glaube ihm kein einziges Wort. Er ist eine hoch umstrittene Persönlichkeit. Einigkeit gibt es darüber, dass er der letzte Vorsitzende der SED und zuständig dafür war, dass die PDS sich überhaupt in den Westen retten konnte. Er hat die Milliarden der SED so verteilt, dass für die Genossen nicht wirklich viel verlorengegangen ist. Das ist alles aktenkundig.

Gregor Gysi, der letzte Vorsitzende der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), hier auf dem Sonderparteitag 1989 Foto: Rainer Mittelstädt, Bundesarchiv | CC BY-SA 3.0 Unported
Gregor Gysi, der letzte Vorsitzende der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), hier auf dem Sonderparteitag 1989

In den Achtzigerjahren waren Sie Jugendpastor in Jena. Inwiefern haben Sie dabei selbst Einschränkungen oder Bedrängungen seitens der Stasi erfahren?

Die Stasi hatte mich richtig auf dem Kieker. Es gab einen Maßnahmenplan mit dem Ziel, den Stadtjugendpfarrer zu zerstören. Sie hatten neunzehn Inoffizielle Mitarbeiter eingesetzt von der Kirchenleitung bis in die Junge Gemeinde und die Offene Arbeit. Das war schon sehr heftig. Dass man abgehört wurde, war da schon eher eine Banalität. Dienstreisen wurden verhindert, die Verwandtschaft haben sie bespitzelt – unser Sohn taucht im Alter von anderthalb Jahren in den Akten auf. Es ist eine lange Geschichte und sie liegt 30 Jahre zurück, das muss man nicht jedes Mal aufwärmen. Aber ich merke bei mir – und das war auch der Grund, weshalb ich mich öffentlich geäußert habe –, es ist nach wie vor ein Trigger, ein Punkt, auf den ich empfindlich reagiere.

Die Kirchen waren ja in der DDR eine Art Schutzraum für die freie Meinungsäußerung …

Einige wenige Kirchgemeinden. Es heißt ja, die Kirche sei „das Dach der Opposition“ gewesen. Das ist in dieser Allgemeinheit eine Legende, die ich aus meiner Erfahrung nicht bestätigen kann. Es waren wenige Kirchenleute, die ihre Räume geöffnet und die sich damals eingemischt haben. Ich kann mich gut an Diskussionen im Konvent erinnern, wo viele Kollegen sagten, es sei nicht Aufgabe der Kirche, sich mit den Oppositionellen zu beschäftigen, das sei eine unnötige Provokation dem Staat gegenüber.

Aber trotzdem hatten die Kirchen ja zumindest dadurch, dass einige sich geöffnet haben, eine gewisse Anziehungskraft gerade für Bürgerrechtler und Oppositionelle.

Angefangen hat das mit den Friedensgebeten in den Achtzigerjahren, die im Laufe der Zeit ihren Charakter verändert haben. 1988 gab es in Berlin die Liebknecht-Luxemburg-Demonstration, bei der viele Bürgerrechtler verhaftet wurden. Wir haben dann in Jena als eine der ersten Gemeinden überhaupt in der DDR angefangen mit einer Fürbitt-Andacht für die zu Unrecht Inhaftierten, also die klassische, alte christliche Fürbitte für Gefangene. Daraus wurden dann die Montagsgebete und schließlich die großen Demonstrationen. Es kamen immer mehr Menschen. Sie passten nicht mehr in die Kirche rein. Ähnlich war es in Leipzig, in Berlin und anderen Städten. Wenn man sich mit Friedensthemen beschäftigt, muss man auch über innergesellschaftliche Konflikte reden. Und damit waren die Orte gesetzt, weil es keine anderen gab.

Mittlerweile ist ja der Osten Deutschlands eine der religionsärmsten Regionen Europas. Hat auch das atheistische DDR-Regime dazu beigetragen?

Das hat es ganz sicher. Ich habe meine letzten beruflichen Jahre vor dem Ruhestand als Pfarrer in der Uckermark verbracht, ganz im Osten an der polnischen Grenze. Da kann man das bestätigt finden. In vielen Familien gibt es in der vierten Generation schon keinen Kontakt mehr zur Kirche. Insbesondere Margot Honecker hat die Kirche massiv bekämpft. Zuvor sind die Menschen wegen Hitler aus der Kirche ausgetreten, zu Honeckers Zeiten war die Kirche in der deutlichen Minderheit und jetzt, in den 30 Jahren Kapitalismus, haben die Leute andere Sorgen. Das ist eine richtig abgerissene Tradition. Ich habe das aber immer auch als eine Chance empfunden. Denn wenn man als Pastor mit dem Gemeindeaufbau bei Null anfangen kann, ist manches einfacher.

Ausgerechnet in den neuen Bundesländern ist die AfD ja sehr stark. Gibt es da auch einen Zusammenhang mit der DDR-Vergangenheit und den Nachwirkungen der Wiedervereinigung?

Das ist ein spannendes und natürlich komplexes Thema. Selbstverständlich gibt es einen Zusammenhang mit der DDR. Aber man muss sehen: Die Organisatoren der AfD, die dieser Partei die politische Struktur geben, kommen aus den alten Bundesländern. Alexander Gauland, der in der Staatskanzlei in Hessen war, Björn Höcke oder auch Götz Kubitschek. Aber bei denjenigen, die sich beteiligen, die Mitglieder sind, gibt es schon einen Zusammenhang mit DDR-Themen, und zwar doppelt:

Einerseits ist die Generation der etwa 50-Jährigen sehr stark vertreten, die um die 20 Jahre alt war, als die Mauer fiel. Diese Generation hat erlebt, wie die Autoritäten, die sie immer hatte, über Nacht weg waren und es keine neuen gab. Etliche sagen, dass diese Menschen nun nach starken Autoritäten suchen und sich deshalb wieder auf nationalstaatliche Ideen fixieren, eine Beobachtung, die noch weitere genauere Untersuchung verdient.

Und der zweite Aspekt?

Das Völkisch-Nationale, was ja bei der AfD und bei Pegida eine starke Rolle spielt, hat bei ehemaligen DDR-Bürgern zu tun mit der in vielen Fällen nicht stattgefundenen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der eigenen Geschichte der konkreten Familie. Die DDR gehörte ja auf die Seite der Sieger. Wir waren ein „antifaschistischer Staat“. Wir hatten einen „antifaschistischen Schutzwall“, der uns vor allen Fährnissen schützte, und es war völlig klar: Faschisten gibt es bei uns nicht. Die sitzen im Westen. Das ist ja die Gründungslegende der DDR. Das führte in vielen Familien dazu, dass man gar nicht genau nachgeprüft, hat, was zum Beispiel der Opa tatsächlich gemacht hat in jener Zeit. Es war ein familiäres Tabu und ich bin der festen Überzeugung, dass das AfD-Phänomen mit diesem Tabu zusammenhängt. Ich würde es jedoch nicht direkt daraus ableiten, das wäre zu simpel. Ähnliche Zusammenhänge konnte man bei rechtsextremen Enkelinnen von Überlebenden des Hamburger Feuersturms, eines der schwersten Luftangriffe auf die Stadt im Zweiten Weltkrieg, nachweisen.

In den Achtzigerjahren waren Sie Jugendpastor in Jena. Inwiefern haben Sie dabei selbst Einschränkungen oder Bedrängungen seitens der Stasi erfahren?

Die Stasi hatte mich richtig auf dem Kieker. Es gab einen Maßnahmenplan mit dem Ziel, den Stadtjugendpfarrer zu zerstören. Sie hatten neunzehn Inoffizielle Mitarbeiter eingesetzt von der Kirchenleitung bis in die Junge Gemeinde und die Offene Arbeit. Das war schon sehr heftig. Dass man abgehört wurde, war da schon eher eine Banalität. Dienstreisen wurden verhindert, die Verwandtschaft haben sie bespitzelt – unser Sohn taucht im Alter von anderthalb Jahren in den Akten auf. Es ist eine lange Geschichte und sie liegt 30 Jahre zurück, das muss man nicht jedes Mal aufwärmen. Aber ich merke bei mir – und das war auch der Grund, weshalb ich mich öffentlich geäußert habe –, es ist nach wie vor ein Trigger, ein Punkt, auf den ich empfindlich reagiere.

Die Kirchen waren ja in der DDR eine Art Schutzraum für die freie Meinungsäußerung …

Einige wenige Kirchgemeinden. Es heißt ja, die Kirche sei „das Dach der Opposition“ gewesen. Das ist in dieser Allgemeinheit eine Legende, die ich aus meiner Erfahrung nicht bestätigen kann. Es waren wenige Kirchenleute, die ihre Räume geöffnet und die sich damals eingemischt haben. Ich kann mich gut an Diskussionen im Konvent erinnern, wo viele Kollegen sagten, es sei nicht Aufgabe der Kirche, sich mit den Oppositionellen zu beschäftigen, das sei eine unnötige Provokation dem Staat gegenüber.

Aber trotzdem hatten die Kirchen ja zumindest dadurch, dass einige sich geöffnet haben, eine gewisse Anziehungskraft gerade für Bürgerrechtler und Oppositionelle.

Angefangen hat das mit den Friedensgebeten in den Achtzigerjahren, die im Laufe der Zeit ihren Charakter verändert haben. 1988 gab es in Berlin die Liebknecht-Luxemburg-Demonstration, bei der viele Bürgerrechtler verhaftet wurden. Wir haben dann in Jena als eine der ersten Gemeinden überhaupt in der DDR angefangen mit einer Fürbitt-Andacht für die zu Unrecht Inhaftierten, also die klassische, alte christliche Fürbitte für Gefangene. Daraus wurden dann die Montagsgebete und schließlich die großen Demonstrationen. Es kamen immer mehr Menschen. Sie passten nicht mehr in die Kirche rein. Ähnlich war es in Leipzig, in Berlin und anderen Städten. Wenn man sich mit Friedensthemen beschäftigt, muss man auch über innergesellschaftliche Konflikte reden. Und damit waren die Orte gesetzt, weil es keine anderen gab.

Mittlerweile ist ja der Osten Deutschlands eine der religionsärmsten Regionen Europas. Hat auch das atheistische DDR-Regime dazu beigetragen?

Das hat es ganz sicher. Ich habe meine letzten beruflichen Jahre vor dem Ruhestand als Pfarrer in der Uckermark verbracht, ganz im Osten an der polnischen Grenze. Da kann man das bestätigt finden. In vielen Familien gibt es in der vierten Generation schon keinen Kontakt mehr zur Kirche. Insbesondere Margot Honecker hat die Kirche massiv bekämpft. Zuvor sind die Menschen wegen Hitler aus der Kirche ausgetreten, zu Honeckers Zeiten war die Kirche in der deutlichen Minderheit und jetzt, in den 30 Jahren Kapitalismus, haben die Leute andere Sorgen. Das ist eine richtig abgerissene Tradition. Ich habe das aber immer auch als eine Chance empfunden. Denn wenn man als Pastor mit dem Gemeindeaufbau bei Null anfangen kann, ist manches einfacher.

Ausgerechnet in den neuen Bundesländern ist die AfD ja sehr stark. Gibt es da auch einen Zusammenhang mit der DDR-Vergangenheit und den Nachwirkungen der Wiedervereinigung?

Das ist ein spannendes und natürlich komplexes Thema. Selbstverständlich gibt es einen Zusammenhang mit der DDR. Aber man muss sehen: Die Organisatoren der AfD, die dieser Partei die politische Struktur geben, kommen aus den alten Bundesländern. Alexander Gauland, der in der Staatskanzlei in Hessen war, Björn Höcke oder auch Götz Kubitschek. Aber bei denjenigen, die sich beteiligen, die Mitglieder sind, gibt es schon einen Zusammenhang mit DDR-Themen, und zwar doppelt:

Einerseits ist die Generation der etwa 50-Jährigen sehr stark vertreten, die um die 20 Jahre alt war, als die Mauer fiel. Diese Generation hat erlebt, wie die Autoritäten, die sie immer hatte, über Nacht weg waren und es keine neuen gab. Etliche sagen, dass diese Menschen nun nach starken Autoritäten suchen und sich deshalb wieder auf nationalstaatliche Ideen fixieren, eine Beobachtung, die noch weitere genauere Untersuchung verdient.

Und der zweite Aspekt?

Das Völkisch-Nationale, was ja bei der AfD und bei Pegida eine starke Rolle spielt, hat bei ehemaligen DDR-Bürgern zu tun mit der in vielen Fällen nicht stattgefundenen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der eigenen Geschichte der konkreten Familie. Die DDR gehörte ja auf die Seite der Sieger. Wir waren ein „antifaschistischer Staat“. Wir hatten einen „antifaschistischen Schutzwall“, der uns vor allen Fährnissen schützte, und es war völlig klar: Faschisten gibt es bei uns nicht. Die sitzen im Westen. Das ist ja die Gründungslegende der DDR. Das führte in vielen Familien dazu, dass man gar nicht genau nachgeprüft, hat, was zum Beispiel der Opa tatsächlich gemacht hat in jener Zeit. Es war ein familiäres Tabu und ich bin der festen Überzeugung, dass das AfD-Phänomen mit diesem Tabu zusammenhängt. Ich würde es jedoch nicht direkt daraus ableiten, das wäre zu simpel. Ähnliche Zusammenhänge konnte man bei rechtsextremen Enkelinnen von Überlebenden des Hamburger Feuersturms, eines der schwersten Luftangriffe auf die Stadt im Zweiten Weltkrieg, nachweisen.

Die friedlichen Massendemonstrationen in vielen Städten der DDR, wie hier am 16. Oktober 1989 in Leipzig, führten schließlich zum Mauerfall am 9. November 1989 Foto: Friedrich Gahlbeck, Bundesarchiv | CC BY-SA 3.0 Unported
Die friedlichen Massendemonstrationen in vielen Städten der DDR, wie hier am 16. Oktober 1989 in Leipzig, führten schließlich zum Mauerfall am 9. November 1989

Wie bewerten Sie die Rolle der Kirchen heute bei der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit?

Sie haben sich große Mühe gegeben. Alle ostdeutschen Kirchen haben Kommissionen eingesetzt und die eigene Verstrickung mit dem DDR-Regime bearbeitet. Da hat es auch personelle Konsequenzen gegeben, es ist eine neue Generation herangewachsen. Und das sage ich auch selbstkritisch: Wir hatten zum Beispiel im Konvent in Jena einen Kollegen, der über 30 Jahre bei der Stasi war. Als kirchliche Kollegen müssen wir uns fragen, wie es so weit kommen konnte. Was war mit der Geschwisterlichkeit in unseren Konventen los, dass wir einzelne Kollegen an die Stasi verloren haben? Hatten wir dieses vertrauensvolle Miteinander, waren wir wirklich so füreinander stärkend da, wie der Konvent eigentlich hätte sein müssen? Oder waren wir nicht auch Leute, die andere ausgegrenzt haben?

Eine letzte Frage noch: Wo waren Sie, als die Mauer fiel?

Ich war in Berlin beim Abendessen in einer Kneipe an der Prenzlauer Allee und das Radio lief volle Pulle – RIAS und SFB natürlich (Radio im amerikanischen Sektor bzw. Sender Freies Berlin – also West-Radio; Anm. d. Red.). Dann kam einer von draußen rein: „Der Zaun ist auf!“, brüllte er in die Kneipe rein. Ich bin allerdings erst zwei Tage später nach Westberlin hinüber gelaufen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Wie bewerten Sie die Rolle der Kirchen heute bei der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit?

Sie haben sich große Mühe gegeben. Alle ostdeutschen Kirchen haben Kommissionen eingesetzt und die eigene Verstrickung mit dem DDR-Regime bearbeitet. Da hat es auch personelle Konsequenzen gegeben, es ist eine neue Generation herangewachsen. Und das sage ich auch selbstkritisch: Wir hatten zum Beispiel im Konvent in Jena einen Kollegen, der über 30 Jahre bei der Stasi war. Als kirchliche Kollegen müssen wir uns fragen, wie es so weit kommen konnte. Was war mit der Geschwisterlichkeit in unseren Konventen los, dass wir einzelne Kollegen an die Stasi verloren haben? Hatten wir dieses vertrauensvolle Miteinander, waren wir wirklich so füreinander stärkend da, wie der Konvent eigentlich hätte sein müssen? Oder waren wir nicht auch Leute, die andere ausgegrenzt haben?

Eine letzte Frage noch: Wo waren Sie, als die Mauer fiel?

Ich war in Berlin beim Abendessen in einer Kneipe an der Prenzlauer Allee und das Radio lief volle Pulle – RIAS und SFB natürlich (Radio im amerikanischen Sektor bzw. Sender Freies Berlin – also West-Radio; Anm. d. Red.). Dann kam einer von draußen rein: „Der Zaun ist auf!“, brüllte er in die Kneipe rein. Ich bin allerdings erst zwei Tage später nach Westberlin hinüber gelaufen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Ulrich Kasparick, 61, war in den Achtzigerjahren Stadtjugendpfarrer in Jena. 1989 trat er in die SPD ein. Von 1992 bis 1998 leitete er das Landesbüro Sachsen-Anhalt der Friedrich-Ebert-Stiftung. 1998 zog er in den Bundestag ein, wurde 2004 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung und später im Verkehrsministerium. 2009 schied er aus den Ämtern und aus dem Bundestag aus, zwei Jahre später verließ er die SPD. Vor seinem Ruhestand arbeitete er noch einmal sechs Jahre als Gemeindepfarrer. Foto: Ulrich Kasparick
Ulrich Kasparick, 61, war in den Achtzigerjahren Stadtjugendpfarrer in Jena. 1989 trat er in die SPD ein. Von 1992 bis 1998 leitete er das Landesbüro Sachsen-Anhalt der Friedrich-Ebert-Stiftung. 1998 zog er in den Bundestag ein, wurde 2004 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung und später im Verkehrsministerium. 2009 schied er aus den Ämtern und aus dem Bundestag aus, zwei Jahre später verließ er die SPD. Vor seinem Ruhestand arbeitete er noch einmal sechs Jahre als Gemeindepfarrer.

Die Fragen stellte Jonathan Steinert

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