„Orientalische Christen werden als Zionisten beschuldigt“

Pfarrer Hanna Nouri Josua klärt seit vielen Jahren orientalische Christen in Deutschland über Judenfeindlichkeit auf und vermittelt die biblische Perspektive auf Israel. Denn arabische Christen stehen bei diesem Thema vor einem Dilemma.
Von Petra Kakyire
Hanna Josua ist Pfarrer der Arabischen Evangelischen Gemeinde in Stuttgart

PRO: Herr Josua, Sie leiten seit vielen Jahren eine arabischsprachige Gemeinde in Deutschland und kommen aus einer arabisch-christlichen Tradition. Wie begegnet Ihnen in diesem Kontext Antisemitismus?

Josua: Ich komme aus dem Libanon, einem Land zwischen Israel und Syrien. Die Libanesen haben immer im Konflikt zwischen den Nachbarvölkern gelebt, vor allem nach der Vertreibung der Palästinenser 1948 nach der Staatsgründung Israels. Libanesische Christen mussten sich auch mit dem Verhältnis zu Israel auseinandersetzen, wobei dort weniger Antisemitismus ein Begriff war als Antizionismus. Die Konflikte waren in erster Linie politischer Natur. Auch die militärischen Auseinandersetzungen haben negative Gefühle gegenüber Israel geschürt. Um diese Feindseligkeiten zu überwinden, muss Frieden angestrebt werden.

Was genau verstehen Sie unter einem friedlichen Zusammenleben?

Wir müssen lernen, dass alle Menschen das gleiche Recht auf Leben haben. Frieden kann es nur geben, wenn alle Religionen und Ethnien gleichberechtigt sind. Das „Abraham-Abkommen“ von 2020 (ein Abkommen zwischen Israel und mehreren arabischen Staaten, enger zusammenzuarbeiten; Anm. d. Red.) war ein Schritt in diese Richtung. Anstelle einer Zwei-Staaten-Lösung plädiere ich jedoch für eine konföderale Lösung für Israel und Palästina, damit beide lernen, friedlich nebeneinander und miteinander.

Wie blicken arabische Christen im Westen auf Israel?

Viele orientalische Christen sind in ihren arabischen Heimatländern mit antiisraelischer Propaganda aufgewachsen: Mit Aufrufen, die Juden ins Meer zu werfen oder Israel zu vernichten. So wurde ihnen beigebracht, Israel abzulehnen. Als sie in den Westen auswanderten, lernten sie vor allem in evangelikalen Kirchen durch die Bibel eine neue Perspektive auf Israel kennen. Manche entwickelten eine pro-israelische Haltung.

Welchen Beitrag kann Deutschland zur Friedenssicherung zwischen Israel und seinen Nachbarn leisten?

Deutschland spielt aufgrund seiner Beziehungen zur arabischen Welt und zu Israel eine zentrale Rolle. Es ist wichtig, dass sich Europa für den Frieden im Nahen Osten einsetzt. Das kostet Geld und Engagement, aber ohne Hilfe von außen wird es keine Lösung geben.

Mit Ihrem Verein „Salam-Center“ wollen Sie die deutsch-arabische Gemeinschaft fördern. Wie wollen Sie mit Ihrer Arbeit weiterhin Friedensarbeit leisten?

Wir betonen, dass jeder Mensch ein Recht auf Leben hat und als Ebenbild Gottes behandelt werden soll. Ein praktisches Beispiel ist die Frage der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Aufklärungsarbeit ist für uns eine zentrale Aufgabe. Wir wollen diese Werte in Deutschland vermitteln und damit zu mehr Frieden beitragen.

Welche Rolle kann die Theologie bei der Überwindung antisemitischer Einstellungen spielen?

In der arabischen Welt gibt es für Christen viele Herausforderungen, insbesondere bei der Interpretation biblischer Texte wie der Psalmen, die politisiert werden können. Im Nahen Osten wird Antizionismus als politischer Begriff für die Auseinandersetzung mit Israel verwendet. In den Psalmengebeten kommt jedoch der Begriff „Zion“ häufig vor. Für Menschen mit antiisraelischer Haltung aus der arabischen Welt ist das Beten der Psalmen deshalb schwierig. Wenn arabische Christen Gebete aus den Psalmen sprechen und verwenden, werden sie folglich als Zionisten beschuldigt. Die orientalischen Christen sitzen so zwischen zwei Stühlen: Einerseits wollen sie biblische Texte ernst nehmen und so ihren Glauben leben. Andererseits werden sie dafür kritisiert und ihre Loyalität zu ihren jeweiligen Ländern in Frage gestellt.

In diesem Dilemma befinden sich viele Christen im Nahen Osten. Zum Beispiel Kirchenführer, die sich aus Loyalität zu ihren Ländern nicht gegen die Vorwürfe wehren und sie klar als Antizionismus oder Antisemitismus benennen können. Im Westen ist das einfacher. Hier versuche ich in meiner Arbeit über die Geschichte im Nahen Osten aufzuklären und eine klare Haltung zu zeigen: Hier gibt es Judenfeindlichkeit, die überwunden werden muss. Die Theologie kann also viel bewirken, wenn sie eine friedliche Interpretation der Religion fördert.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Ich hoffe auf eine Zeit, in der nicht die Waffen, sondern die positiven Aspekte der Religionen den Frieden fördern. Jesus sagt, dass wir in der Welt Bedrängnis haben, aber er hat die Welt überwunden. Er bringt Frieden. Der Weg zu einem friedlichen Zusammenleben ist nicht einfach, aber er ist notwendig und erfordert Engagement.

Vielen Dank für das Gespräch!

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