„Ohne Werte bricht eine Gesellschaft auseinander“

Welche Werte sind für eine Gesellschaft heute noch wichtig? Wie können Familien gestärkt und Kinder gefördert werden? Und wie geht eine konservative Partei wie die CDU damit um, dass auch in ihren Reihen Politiker die vielfach geforderte Vorbildfunktion nicht immer erfüllen? Über diese und weitere Fragen haben wir mit dem Ministerpräsidenten von Thüringen, Dieter Althaus, gesprochen.
Von PRO

pro: Herr Ministerpräsident, Ihre Partei, die CDU, spricht viel von Werten. Warum sind Ihrer Ansicht nach Werte wichtig – und was sind überhaupt Werte?

Althaus: Werte tragen eine Gesellschaft. Das Recht des Menschen auf ein Leben in Freiheit und Würde in jeder Phase seiner Entwicklung, Solidarität und Gerechtigkeit sind solche Werte, die für uns Christdemokraten entscheidend sind. Wir leben nur zukunftsfähig, wenn wir Tugenden erhalten und sie auch weitergeben. Dazu gehört selbstverständlich Höflichkeit, Anstand, Respekt, auch Disziplin. Diese Tugenden müssen von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Das kann aber nur funktionieren, wenn wir Erwachsenen diese Tugenden unseren Kindern selbst vorleben und sie auch dazu erziehen. Werte und Tugenden gehören zum Gerüst einer Gesellschaft, das sie aufrechterhält.

pro: Würden Sie unserer Gesellschaft einen Verfall solcher Werte diagnostizieren?

Althaus: Wir erleben zumindest einen Einstellungswandel, was die Bewertung von Werten und Tugenden angeht. Sie existieren ja weiter, von einem Werteverfall würde ich daher nicht sprechen. Nur werden Werte nicht ausreichend akzeptiert und gelebt. Betrachtet man die beiden großen Wertesäulen, auf der einen Seite die Freiheit und Emanzipation und auf der anderen Seite die Werte, die eine soziale Gemeinschaft ausmachen, dann dürfen beide Wertebereiche nicht gegeneinander ausgespielt werden. Allerdings, und das ist ein Problem, werden derzeit die freiheitlichen, emanzipatorischen Werte zu sehr betont. Wir brauchen auch die Werte, die das soziale Miteinander fördern und tragen – sonst bricht eine Gesellschaft auseinander.

„Werte haben Auswirkungen auf unseren Alltag“

pro: Welche Verbindung sehen Sie zwischen christlichem Glauben und gesellschaftlichen Werten?

Althaus: Eine moderne Gesellschaft kann nur dann dauerhaft Bestand haben, wenn sie Überzeugungen lebt. Für mich ist das die christliche Überzeugung, das christliche Menschenbild, die Gottesebenbildlichkeit des Menschen. Beim christlichen Glauben steht die Person im Mittelpunkt, die Menschenwürde gilt ohne jeden Abstrich, Freiheit und Gerechtigkeit haben im christlichen Glauben einen zentralen Stellenwert. All diese fundamentalen Werte haben unmittelbare Auswirkungen auf den Alltag der Menschen. Je mehr wir also die christlichen Werte verlieren, umso schwerer wird es, eine Gesellschaft zu gestalten.

Den Glauben leben

pro: Haben Sie den Eindruck, dass Christen diese Werte noch ausreichend leben – und nicht nur davon reden?

Althaus: Christen stehen durchaus in der Gefahr, Werte nur dann zu leben, wenn es notwendig erscheint oder es zum kulturellen Umfeld passt. Christen können das Leben ihres Glaubens nur auf einige Lebensbereiche oder bestimmte Anlässe im Jahr beschränken. Ich halte es jedoch für wichtig, dass Christen mehr denn je zu ihrem Glauben auch im Alltag stehen, denn da gehört er hin. Sonst verlieren auch Christen ihre Vorbildfunktion. Das heißt nicht, dass wir ein Kreuz vor uns hertragen, es heißt aber sehr wohl, dass mein Leben erkennen lässt, welche Grundüberzeugungen mich prägen.

pro: Nun können auch christliche Werte schlichtweg in Vergessenheit geraten, wenn etwa Familien ganz andere Sorgen haben. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht auch über Schicksale von Kindern berichtet wird, die von ihren Eltern vernachlässigt wurden. Vielfach mangelt es an den Grundlagen, die Sie genannt haben: Gerechtigkeit, Vorbildfunktion, Menschenwürde. Sehen Sie es als eine Aufgabe der Politik, auch Familien ein neues Bewusstsein für diese Werte zu vermitteln?

Althaus: Das ist sicherlich die größte Herausforderung, vor der wir Politiker stehen. Und natürlich muss die Politik Familien helfen und sie unterstützen, wenn Hilfe konkret notwendig ist. Gleichzeitig müssen Familien ermutigt werden, den Wert ihrer Gemeinschaft neu zu entdecken. Eltern sollten  Zeit für Kinder haben und ihnen in Liebe die Grundlagen des Lebens vermitteln – zu denen eben auch Werte gehören.

Kinder und Jugendliche müssen unterstützt werden

pro: Ein Thema in der Politik ist derzeit der Umgang mit straffällig gewordenen Jugendlichen. Auch in ihrer Partei wird gefordert, bei jungen Straftätern eine härtere Gangart einzulegen. Erziehungscamps oder umfassendere Strafen werden gefordert. Können aber diese grundlegenden Werte vermittelt werden?

Althaus: Die Prämisse ist für mich, Kindern und Jugendlichen durch ein breites Angebot die Chance zu geben, sich zu entwickeln und notwendige soziale Kompetenzen zu vermitteln. Es muss alles getan werden, um gerade auch Kinder im Kindergarten, in der Schule und sozialen Einrichtungen zu fördern, die in ihren Familien keinen Rückhalt finden. Gleichzeitig gibt es natürlich Fehlentwicklungen –  vielleicht auch aus dem Grund, weil wir in den vergangenen Jahren zu wenig darauf geachtet haben, dass Jugendliche gefördert und in die  Gesellschaft integriert werden. Dennoch darf eine Fehlentwicklung nicht toleriert werden. Und aus diesem Grund ist es richtig, dass der Rechtsstaat alle Möglichkeiten der Gesetzgebung anwendet. Ich meine, dass etwa Jugendlichen, die wiederholt straffällig werden, mit härteren Erziehungsmaßnahmen begegnet werden muss. Forderungen nach so genannten Erziehungscamps sollte man also nicht von vornherein ablehnen.

„Vorbilder haben immer Schwächen und Stärken“

pro: Sie haben auch von der notwendigen Vorbildfunktion gesprochen, die gerade Kinder und Jugendliche benötigen. Auch in Ihrer Partei, die konservative Werte vertritt, erfüllen jedoch Politiker nicht immer diese Vorbildfunktion. Scheidungen etwa sind auch unter CDU-Politikern nichts Ungewöhnliches mehr. Mangelt es in der Politik nicht immer mehr an den nötigen Vorbildern?

Althaus: Ein Politikerleben bringt besondere Belastungen mit sich, die auch die Familien enorm herausfordern. Diesem Ausmaß ist nicht jede Familie gewachsen. Es ist aber auch so, dass wir in einer Mediengesellschaft eine heroisierende Persönlichkeit schaffen und fördern. Sportler, Schauspieler und eben auch Politiker werden zu Helden und damit zu Vorbildern. Es werden perfekte  Persönlichkeiten projeziert, die häufig der Wirklichkeit nicht mehr gerecht werden. Entwicklungen, die zum Scheitern führen, werden durch die Medien genauso öffentlich gemacht. Und für viele Menschen zerbricht dann plötzlich das medial geformte Bild der perfekten Persönlichkeit. Doch davor kann ich nur warnen. Denn für mich waren Vorbilder immer Menschen, die ihre Schwächen und Stärken haben. Es ist für ein Vorbild auch entscheidend, wie er oder sie die Brüche im Leben bewältigt.

Das ganze Interview mit Ministerpräsident Dieter Althaus lesen Sie in der neuen Ausgabe des Christlichen Medienmagazins pro. Das Gespräch führten Wolfgang Baake und Andreas Dippel.

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