Die "Rückkehr der Religionen" habe dazu beigetragen, dass auch der Atheismus sichtbarer geworden sei, sagte der Referent der "Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen", Reinhard Hempelmann, bei einem Vortrag der "Evangelischen Akademie zu Berlin". Er verwies auf Aktionen wie die Buskampagne 2009, bei der Atheisten mit einem Fahrzeug mit der Aufschrift "Es gibt (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott" durch die Republik fuhren. Auch im Rahmen der jetzigen Beschneidungsdebatte hätten Atheisten ihrer Forderung nach einem Verbot der religiösen Praxis lautstark und öffentlichkeitswirksam Ausdruck verliehen.
A-Theismus sei ein Gegenbegriff, der lediglich darauf ziele, Gott zu verneinen. Er lebe vom "Anti-Credo". "Ohne Gottesglauben gibt es keinen Atheismus", folgerte Hempelmann, und weiter: "Neue Atheisten gehören zu unserer Religionskultur." Das Entstehen Neuer Atheistischer Bewegungen wie jener um den Briten Richard Dawkins sei unter anderem auf die Anschläge des 11. September 2001 zurückzuführen. Die Wahrnehmung der Anti-Religiösen konzentriere sich auf die "dunkle Seite" der Religion, ihr zerstörerisches Potenzial. Dawkins sei ein "aggressiver Missionar des Atheismus", der religiöse Überzeugungen in seinem Buch "Der Gotteswahn" als "krankhaft" beschreibe und auf Gläubige herabblicke.
Religionskritik kann verletzen – Religion auch
Den Neuen Atheisten sei vor allem religiöse Erziehung ein Dorn im Auge. Darin sähen sie eine Indoktrination oder gar Misshandlung von Kindern. In Deutschland seien verschiedene atheistische Verbände aktiv, etwa der "Humanistische Verband", die "Giordano-Bruno-Stiftung" oder der "Freidenker-Verband". Neun von ihnen seien derzeit im "Koordinierungsrat säkularer Organisationen" zusammengeschlossen. Gemeinsam versuchten sie etwa, eine konsequente Trennung von Staat und Kirche herbeizuführen, kämpften für einen regulären Lebenskundeunterricht als Alternative zum Fach Religion oder für eine alternative Trauerkultur. Dabei nehme der Koordinierungsrat für sich in Anspruch, für ein Drittel der Bevölkerung zu sprechen – nämlich all jene Deutschen, die nicht konfessionell gebunden sind. Dies stehe aber in scharfem Kontrast zu den tatsächlichen Mitgliederzahlen der einzelnen Organisationen, erklärte Hempelmann.
"Den Atheismus gibt es genausowenig, wie es die Religion gibt", sagte der Theologe. Aufgeregte Reaktionen der Kirche auf die teils provozierende Sprache der unterschiedlichen Gruppierungen hält er für unangebracht. Stattdessen sei deren Religionskritik im Grundsatz zu begrüßen, schließlich führe sie dazu, dass öffentlich über den Glauben diskutiert werde. Zugleich sprach sich Hempelmann gegen eine fundamentalistische oder buchstabengetreue Deutungsweise des christlichen Glaubens und der Bibel aus. Die Ableitung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse aus der Heiligen Schrift missachte den menschlichen Intellekt. Es gebe sowohl Beispiele von missbräuchlicher Religion als auch von verletzender Religionskritik. Bewiesen werden könne am Ende aber weder die Wahrheit des Unglaubens noch des Glaubens. (pro)