Der Supreme Court in Washington beschäftigt sich seit Dienstag zum einen mit der Frage, ob gleichgeschlechtliche Ehen in Kalifornien zulässig sind. Zwei homosexuelle Paare streiten seit Jahren um das Recht, heiraten zu dürfen. Schwule und lesbische Paare konnten in dem Bundesstaat zwischen Mai und November 2008 heiraten, bis eine Volksabstimmung mit knapper Mehrheit zur sogenannten „Proposition 8“ führte, einem Zusatz zur kalifornischen Verfassung, der die Ehe als Bund zwischen Mann und Frau definiert. Das Referendum fand 2008 am gleichen Tag wie die US-Präsidentschaftswahl statt. In Kalifornien sprachen sich die Bürger seinerzeit gegen die Homo-Ehe aus, obgleich sie mehrheitlich für Barak Obama stimmten. Obama hielt sich damals noch zu dem Thema zurück, seit Mai 2012 ist er der erste US-Präsident, der sich offen für die Homo-Ehe ausspricht. Nun sollen neun Richter eine Entscheidung fällen und somit urteilen, ob die Ehe von homosexuellen Paaren in Kalifornien mit der US-Verfassung vereinbar ist. Die Online-Ausgabe der Zeit sieht in der anstehenden, grundsätzlichen Entscheidung des Supreme Court einen historischen Moment, vergleichbar der Wichtigkeit des Frauenwahlrechts oder der Bürgerrechte für Schwarze. Die Zeitung mutmaßt allerdings, dass sich das Gericht aus Risikoscheu an prozeduralen Fragen festbeißen könnte, da auch das Gericht in dieser Frage als gespalten gelte.
Zum anderen prüft das Gericht ab Mittwoch die Verfassungsmäßigkeit des „Defense of Marriage Act“ (kurz: DOMA), einem Bundes-Gesetz aus dem Jahr 1996. Dieses legt die Ehe als Verbindung von Mann und Frau fest, was zur Folge hat, dass es Bundesstellen untersagt, Partnern in gleichgeschlechtlichen Ehen die gleichen Rechte, etwa Steuer- und Krankenversicherungsvorteile, zu gewähren wie Partnern in heterosexuellen, traditionellen Ehen. Urteile in beiden Fällen werden bis Ende Juni erwartet.
Viele Evangelikale befürchten Einschränkung der Religionsfreiheit
Führende Persönlichkeiten aus der evangelikalen Szene der USA äußerten sich dieser Tage kritisch zur Gleichstellung der Homo-Ehe mit der Ehe zwischen Mann und Frau. In einem Interview mit dem amerikanischen Sender „National Public Radio“ (NPR) äußerte sich beispielsweise der Geschäftsführer und Präsident der als evangelikal geltenden Organisation „Focus on the Family“, Jim Daly. Seiner Ansicht nach sind Lesben und Schwule wie jeder andere auch vor Gott gleich, dennoch sieht er in gleichgeschlechtlichen Beziehungen eine Sünde: „Gleichgeschlechtliche Ehen und homosexuelle Partnerschaften entsprechen nicht Gottes Entwurf der menschlichen Sexualität.“
Konservative Aktivisten, wie etwa der Historiker und Bonhoeffer-Biograf Eric Metaxas, sehen durch eine staatliche Aufwertung homosexueller Partnerschaften die Religionsfreiheit in den USA bedroht. Es bestünde die Gefahr, dass Christen sich gar nicht mehr kritisch zur Homosexualität äußern dürften. Bereits jetzt gibt es mehrere Fälle in den USA, bei denen Christen erfolgreich wegen der „Diskriminierung“ Homosexueller verklagt wurden – beispielsweise ein Fotograf aus New Mexico, der sich weigerte, die Hochzeitsfeier zweier Frauen abzulichten.
Rob Bell: „Homosexualität ist von Gott geschaffen“
Für Aufsehen sorgte in der vergangenen Woche hingegen der amerikanische Autor und ehemalige Leiter der Mars-Hill-Megachurch, Rob Bell. Der Autor des umstrittenen Buches „Das letzte Wort hat die Liebe“ gab öffentlich seine Unterstützung für die Homo-Ehe bekannt und bezeichnete Homosexualität als etwas „von Gott geschaffenes“. Das Nachrichtenportal „The Christian Post“ zitiert Bell am vergangenen Freitag aus einem Interview mit „Odyssey Networks“. Darin sagt Bell, dass viele Menschen „realisiert hätten, dass Gott einige von uns so geschaffen hat, andere wiederum anders, und es kann eine wunderbare Sache sein.“ In seinem neuen Buch „What We Talk About When We Talk about God“ beschreibe Bell seine Sicht über verschiedene theologische Standpunkte des Christentums, die seiner Ansicht nach überaltert und bedeutungslos seien, berichtet The Christian Post. 2011 war Bell einer der Referenten der Willow-Creek-Jugendkonferenz in Düsseldorf (pro berichtete).
Die Frage spaltet die amerikanische Gesellschaft. Eine Mehrheit ist nach Angaben verschiedener deutscher und amerikanischer Medien dafür, dass homosexuelle Paare heiraten dürfen. Nach Angaben der Online-Ausgabe der Zeit hätten sich vor allem die bevölkerungsreichen US-Bundesstaaten mit großen Metropolen dafür entschieden, Homo-Ehen zu erlauben. Die Deutsche Welle berichtet auf ihrer Webseite ebenfalls von einer tiefen Spaltung innerhalb der Gesellschaft. Vor dem Gerichtsgebäude in der Hauptstadt versammelten sich sowohl Gegner als auch Befürworter der Homo-Ehe, um für ihre Auffassungen zu demonstrieren. Bislang hätten neun Bundesstaaten die Homo-Ehe eingeführt, in 31 Staaten sei sie unterdessen noch verboten. Andere Bundesstaaten erlaubten homosexuelle Partnerschaften, die jedoch nicht mit der Ehe gleichgestellt seien.
Großes Medienecho in den USA und Deutschland
Eins der größten christlichen Nachrichtenportale, Christianity Today, äusserte sich auf seiner Webseite bislang überhaupt nicht zu der aktuellen Debatte um die Homo-Ehe und die beiden anstehenden Fälle vor dem Supreme Court. Das Nachrichtenportal hat zwar eine eigene Rubrik mit dem Titel „Same-Sex-Marriage“ eingerichtet, dort finden sich allerdings ausschließlich ältere Artikel, die sich nicht mit der aktuellen Diskussion auseinandersetzen. Viele amerikanische Medien hingegen haben Sonderseiten auf ihren Internetseiten eingerichtet, die sich ausschließlich dem Thema widmen. So hat etwa die als einflussreiche und als linksliberal geltende „New York Times“ eine Sonderseite veröffentlicht, auf der sie minutiös und umfassend berichtet. Auch die englischsprachige Wikipedia widmet der Homo-Ehe in den Vereinigten Staaten einen umfassenden Artikel, ebenso einen Artikel über Personen des öffentlichen Lebens und Organisationen, die eine Homo-Ehe ablehnen. Auch deutsche Medien behandeln die anstehende Entscheidung durch das US Supreme Court. So zitiert die Süddeutsche Zeitung in ihrer Ausgabe vom Dienstag konservative Aktivisten, die Amerikas abendländisches Erbe und „die jüdisch-christliche Definition der Ehe“ dem Untergang geweiht sehen. (pro)