Der Oberste Gerichtshof der USA, der Supreme Court, hat sich am Mittwoch erneut mit den Abtreibungsgesetzen des Landes beschäftigt. Der US-Bundesstaat Mississippi hatte ein Gesetz verabschiedet, das Abtreibungen nach der 15. Schwangerschaftswoche verbietet. Das Gesetz steht nach Auffassung örtlicher Gerichte allerdings einem Grundsatzurteil des Supreme Courts aus dem Jahr 1973 entgegen. In dem Fall „Roe v. Wade“ hatte das oberste Gericht damals geurteilt, dass Frauen grundsätzlich das Recht haben, über Abbruch oder Fortführung einer Schwangerschaft selber zu entscheiden.
Sechs Mitglieder des Supreme Courts gelten als konservativ, drei als liberal. Die konservativen Richter haben laut Medienberichten die Bereitschaft erkennen lassen, an der Grundsatzentscheidung von 1973 zu rütteln. Sollte das geschehen und das Gesetz aus Mississippi als verfassungsgemäß befunden werden, rechnen Beobachter damit, dass weitere US-Bundesstaaten, vor allem aus dem Süden der USA, dem Vorbild folgen und die Abtreibungsgesetze verschärfen. Entsprechende Gesetzesentwürfe lägen bereits bereit. Die drei liberalen Richter warnten Berichten zufolge vor einer Aufhebung getroffener Grundsatzentscheidungen.
Abtreibungsgegner wittern Morgenluft
Die neun Richter des Supreme Courts werden auf Lebenszeit eingesetzt. Während der Amtszeit von Barack Obama als US-Präsident waren Sonia Sotomayor und Elena Kagan an das oberste US-Gericht berufen worden. Drei Richter, zuletzt Amy Coney Barrett im Oktober 2020, wurden von US-Präsident Donald Trump eingesetzt.
Zur Anhörung vor dem Supreme Court in Washington, D.C., hatten am Mittwoch Befürworter und Gegner von Abtreibung ihre Anhängerschaft mobilisiert. Beide Seiten wissen, dass die personelle Besetzung des Gerichts Einfluss auf die Urteilsfindung hat. Aufgrund der momentanen Zusammensetzung des höchsten US-Gerichtes befürchten daher Abtreibungsbefürworter massive Einschränkungen oder gar das Ende liberaler Abtreibungspraxis in den USA. Die Gegner der Abtreibung sehen in dem Überhang konservativer Richter die Chance, dass ein neuerliches Urteil die seit fast fünf Jahrzehnten gültige Abtreibungsgesetzgebung zu ihren Gunsten ändern – also verschärfen – könnte.
Bei dem Verfahren und der Anhörung vom Mittwoch im Fall „Dobbs v. Jackson Women’s Health Organization“ geht es letztlich darum, ob das 2018 vom Bundesstaat Mississippi erlassene Gesetz im Einklang mit der Verfassung steht oder gegen die im Urteil „Roe v. Wade“ festgehaltenen Frauenrechte verstößt. Der Bundesstaat Mississippi argumentiert unter anderem, dass die US-Verfassung das Recht auf Abtreibung nicht explizit erwähne und es daher keine verfassungsmäßige Grundlage gibt. Das Urteil „Roe v. Wade“ von 1973 sei eine „prinzipienlose Entscheidung“ gewesen, die „demokratische Prozesse beschädigt“ habe.
Gehört Abtreibung zur Privatsphäre?
Das Oberste Gericht war 1973 in dem Verfahren „Roe v. Wade“ zu dem Urteil gelangt, dass ein Schwangerschaftsabbruch unter das Recht auf Privatsphäre fällt, die vom 14. Zusatzartikel der US-Verfassung garantiert wird. Mit dem Urteil von beinahe vor 50 Jahren waren die meisten bis dahin geltenden Gesetze zur Abtreibung in den US-Bundesstaaten nichtig geworden, weil diese das Recht auf Privatsphäre verletzten. Die neun Richter hatten in einer Mehrheitsentscheidung von sieben zu zwei Stimmen geurteilt, dass die Bundesstaaten nur ab dem Zeitpunkt Abtreibungen verbieten dürfen, ab dem der Fötus außerhalb des Mutterleibes lebensfähig ist. Seit dem Urteil „Roe v. Wade“ sind in den USA Schwangerschaftsabbrüche mit Einschränkungen bis zur Lebensfähigkeit des Kindes, also bis zur 24. Schwangerschaftswoche, in Grenzen zulässig.
Gegen das Gesetz in Mississippi hat sich die letzte in dem Bundesstaat verbliebene Frauenklinik, die Abtreibungen durchführt, ausgesprochen. Das Oberste Gericht müsse an bestehenden Urteilen festhalten, wenn keine neuen „faktischen oder juristischen Grundlagen“ vorlägen.
Bis zum Juni 2022 haben die Richter nun Zeit, zu einem Urteil zu kommen.
Eine Antwort
Liebe Redaktion,
Bitte übersetzen Sie den amerikanischen Begriff „liberal“ (für eine politische Richtung) nicht mit dem deutschen Begriff „liberal“. Auf den unterschiedlichen Seiten des Atlantiks meint man unterschiedliches damit. Die deutsche Entsprechung wäre vielleicht eher „sozialdemokratisch“.