Ich war kürzlich als Referent bei der Delegiertenversammlung der Arbeitsgemeinschaft missionarische Dienste (AMD) in Hannover, an der Thies Gundlach, der theologische Referent der EKD, „systematische Fehler des Erwartungsmanagements“ eingeräumt hat. Eine tolle Verbalakrobatik zur Beschreibung eines Phänomens, das nicht nur das Reformationsjubiläum betrifft. Die Veranstaltungen seien intensiv wahrgenommen worden, „waren aber zahlenmäßig nicht überlaufen“. Das kann ich nur bestätigen. Ich habe beim dezentralen Kirchentag im Magdeburger Dom vor 50 Männern gesprochen. Tolles Programm, dankbares Auditorium, aber quantitativ ziemlich kompakt. Das war mir nicht fremd, denn unsere Gemeindewachstumsbilanzen und Evangelisationserfolge laufen allesamt in der Rubrik „zahlenmäßig nicht überlaufen“. Na und? Was ist uns denn verheißen?
Man hatte sogar ein Meinungsforschungsinstitut mit einer repräsentativen Umfrage zum geistlichen Ertrag des Reformationsjubiläums beauftragt. Es kam raus, was für die Auftraggeber der Erhebung wahrscheinlich schon vorher feststand. Nur zehn Prozent hätten geistlich profitiert. Nur zehn Prozent? Was hat man denn erwartet? 50 Prozent? Eine Erweckung? Oder dass Margot Käßmann jetzt einen ständigen Sitz in der theologischen Kommission „Congregatio pro doctrina fidei“ in Rom erhält?
Zehn Prozent liegt im biblischen Trend
Würden wir die evangelikalen Angebote wie den Christustag oder früher das „Jahr der Bibel“ und die Aktion ProChrist auch einer solchen Ergebnisprüfung unterziehen? Es ist immer zu wenig, es kostet immer zu viel, es hätten viel mehr kommen können. Das passt immer. Zehn Prozent liegt im biblischen Trend. Einer von zehn kam zurück und bedankte sich (Lukas 17,11–19). Ist das nichts?
Natürlich muss man den Blick auf künftige Planungen realistische Auswertungen betreiben. Nörgeln gehört auch zum christlichen Mediengeschäft. Aber als überzeugter und engagierter Mitgestalter dieses Festjahres weigere ich mich, das geistliche Ergebnis in quantitativen Bilanzen zu messen. Wo Menschen vom Evangelium erreicht und von Gott berührt wurden und ein neues Verständnis für die vier „Soli“ der Reformation geweckt wurde, da war nichts vergeblich.
Wo Menschen miteinander die Bibel gelesen oder begeistert beim Lutheroratorium mitgesungen haben, da ist Frucht entstanden. Eine biologisch organische Folge der Saat, für die ich dankbar bin, die ich aber nicht quantitativ bilanzieren muss, weil geistliche Wirkungen nun mal qualitativer Natur und darum zahlenmäßig irrelevant sind. Vieles, was wir im normalen Gemeindealltag versuchen, bleibt „zahlenmäßig unterlaufen“, weit unter der Zehn-Prozent-Effizienz, aber es lohnt sich. Wenn einer von zehn dankbar zurückkehrt, dann war nichts zu viel und nichts vergeblich. Mag das quantitative Ergebnis noch so mickrig sein, wir bleiben dran und schämen uns nicht für ein fehlerhaftes Erwartungsmanagement. Ich wäre wieder dabei, auch wenn die Welt voll Teufel wär.
Von: Jürgen Mette