Regisseur Darren Aronofsky zeigt Noah in seinem neuen Film als religiösen Fanatiker in einer Welt, die wie eine heruntergekommene Version der Tolkienschen Mittelerde anmutet. Christen könnte der Streifen dennoch gefallen: Denn am Ende siegt die Gnade übers Fressen und Gefressen werden. Eine Filmkritik von Anna Lutz
Von PRO
Foto: Niko Tavernise|Paramount
Noah mit Axt: Wie aus einem Vegetarier und Pazifisten ein religiöser Fanatiker wird, zeigt Darren Aronofsky in seiner Verfilmung der biblischen Geschichte
Vorab zwei Bemerkungen: Wer im Film Noah eine schriftgetreue Wiedergabe der biblischen Geschichte erwartet, sollte lieber zu Hause bleiben und zum Beispiel die Verfilmung „Die Bibel“ aus dem Jahr 1966 in den DVD-Player (oder gar Videorecorder?) legen. Wer Hollywood-Filme – große Explosionen, große Gesten, große Gefühle – nicht mag, sollte das Kino ebenfalls nicht betreten. Allen anderen könnte der Besuch von Noah zum Gewinn werden – oder sie zumindest für 138 Minuten gut unterhalten.
Besonders amerikanische Christen hatten sich in den vergangenen Wochen über den Blockbuster aus Hollywood echauffiert. Der Kreationist Ken Ham nannte Aronofskys Werk gar eine Beleidigung für Gläubige und den schlechtesten Film, den er jemals gesehen habe. In der Tat hat der Regisseur die biblische Geschichte fröhlich abgeändert, verschiedene theologische Theorien vermischt und das Original dem Spannungsbogen geopfert. So schafft es zum Beispiel einer der eigentlich durch Gott zum Tode verurteilten Menschen (Ray Winstone) an Bord der Arche und schmuggelt sich so durch die Flut-Zeit, um am Ende einen von Noahs Söhnen (Logan Lerman) zum Bösen zu verführen und gegen Noah (Russell Crowe) selbst zu kämpfen.
Steinriesen und andere Monster
Dann ist da die Sache mit den Riesen. Aronofsky setzt große Steinungeheuer in Szene, die Noah beim Bau der Arche helfen und laut Drehbuch gefallene Engel sind. Tatsächlich spricht auch die Bibel von Riesen, die Götterkinder seien. Es gibt verschiedene Theorien dazu, was genau die Heilige Schrift damit meint. Ganz offensichtlich hat Aronofsky sich eingehend mit diesen Ideen beschäftigt und sich die filmtauglichsten herausgepickt. Über seine Idee von vorsintflutlichen Zeiten sprach er jüngst in einem Interview mit der Tageszeitung Die Welt: „Der Leviathan streunte auf der Erde herum, ein Seeungeheuer. Riesige Engel gingen umher. Es war, laut Bibel, eine völlig andere Welt, so anders wie Tolkiens Mittelerde.“ Diese Sichtweise spürt man seinem Film an allen Ecken und Enden ab. Schon die Einführung ins biblische Geschehen, die kurz und knapp die Geschichte vom Sündenfall wiedergibt, mutet wie die immer am Anfang der Herr der Ringe-Filme stehende Vorgeschichte des Fantasyspektakels an. Nur etwas bunter ist das Ganze bei Aronofsky geworden.
Im Angesicht dessen stören Bibelgläubige sich wohl weniger an kleineren Abweichungen von der christlich-jüdischen Überlieferung, etwa, dass Noah und seine Familie statt fünf Monaten ungefähr neun auf dem Wasser verbringen, oder, dass Noah seinen Söhnen, anders als in der Bibel, nicht gewährt, Frauen mit an Bord der Arche zu nehmen. Nur eine, die Adoptivtochter (Emma Watson) der Familie und Frau des ältesten Sohnes Sem, kommt mit auf das Schiff und ist somit allein verantwortlich für das Weiterexistieren der Menschheit.
Noahs Scheitern
Warum Noah seinen jüngeren Söhnen die Ehe verweigert, zeigt Aronofsky bildstark, indem er seine Hauptfigur in ein Lager der durch Gottes Gericht zum Tode verurteilten Menschen schickt. Dort will Noah eigentlich kurz vor Beginn der Flut auf Brautschau gehen. Er überlegt es sich anders, als er, ein Vegetarier, der alles Leben hoch achtet, mitansehen muss, wie seine Artgenossen Tiere brutal töten, um sie roh zu essen und sogar Frauen gegen Essbares tauschen. Aronofsky zeichnet hier ein überaus starkes Bild von der eigentlichen Bedeutung des Wortes Sünde. Denn was die Menschheit sich an dieser Stelle zu Schulden kommen lässt, ist nicht an einzelnen Vergehen festzumachen. Es ist ihr Wille, selbst Gott zu sein, der sie untergehen lässt.
Die Unersättlichkeit und Gier seiner Spezies – die auch an dieser Stelle wieder ein wenig an Tolkien und dessen Orks erinnert – treibt Noah letztlich in eine Art religiösen Wahn. Besessen von der Idee, dass jeder Mensch nur Böses in sich trägt, glaubt er, dass Gott ihm in Wahrheit den Auftrag gegeben hat, nur die Tiere zu retten. Er und seine Sippe sollen zwar auf dem Schiff für das Weiterexistieren der Fauna garantieren, danach aber eines natürlichen Todes und ohne weitere Nachkommen sterben. Dramatisch wird es, als die Familie nach Einsetzen der Flut bemerkt, dass Sems eigentlich unfruchtbare Frau schwanger ist. Noah weigert sich weiterhin, das Fortbestehen der Menschen zu akzeptieren und droht, das Kind, sollte es ein Mädchen sein, nach der Geburt zu töten.
Das ist zugegebenermaßen fernab der biblischen Erzählung. Aronofsky hat sich dazu entschieden, nicht die Geschichte des glaubensstarken Noah zu erzählen, sondern vordergründig die des Mannes, der eine schwere Bürde zu tragen hat. In einer Szene treiben Noah und seine Familie in der Arche durch die Flut, während sie von draußen tausende Schreie Sterbender hören, die sich mit letzter Kraft an Felsgipfel klammern, um nicht zu ertrinken. Seine Söhne bitten Noah, Seile auszuwerfen, um die Leidenden zu retten. Er lehnt das ab, denn alles Böse muss ausgelöscht werden, so lautet Gottes Befehl. An dieser Aufgabe droht Noah zugrunde zu gehen.
Biblische Botschaft im unbiblischen Film
Genau an dieser Stelle bewegt sich Aronofsky – gewollt oder ungewollt – wieder auf sehr biblischem Terrain. Denn auch die Heilige Schrift spricht davon, dass Noah nach der Flut, als er und seine Familie wieder festen Boden unter den Füßen haben, zum Trinker wird. Seine Söhne finden ihn eines Tages nackt und besoffen vor. So heruntergekommen ist er nach allem, was er erlebt hat. Freilich können Christen auch über diesen Punkt streiten und mutmaßen, aber möglicherweise liegt Aronofsky gar nicht so falsch, wenn er Noahs Absturz als Folge des Erlebten auf der Arche zeigt. Der Mensch ist schwach, nur Gottes Gnade macht ihn gerecht – so lautet die Botschaft des Films. Mit der könnten Christen bei aller filmischen Abwandlung der Urgeschichte durchaus glücklich sein. (pro)Noah, 138 Minuten, FSK 12, seit 3. April im Kino
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