Seine Entscheidung war ein Paukenschlag: Weil er sich um seine kranke Frau kümmern wollte, trat Nikolaus Schneider 2014 vom Amt des EKD-Ratsvorsitzenden zurück. Am 3. September feiert der frühere höchste Repräsentant der Evangelischen Kirche seinen 70. Geburtstag. Dabei hatte der Theologe auch einige persönliche Tiefschläge zu verkraften.
Schneider kommt am 3. September 1947 in Duisburg zur Welt. Nach dem Abitur studiert er in Wuppertal, Göttingen und Münster Theologie. 1976 wird er in seiner Geburtsstadt Duisburg als Pfarrer ordiniert. Der Arbeitersohn kämpft dort auch für den Erhalt der Arbeitsplätze in der Kohle- und Stahlindustrie. Schneider wird danach Diakoniepfarrer und später Superintendent im Kirchenkreis Moers.
Gegen die soziale Kälte in Deutschland
1997 wurde er Vizepräses der Evangelischen Kirche im Rheinland und 2003 zum Nachfolger von Manfred Kock als Präses der rheinischen Landeskirche gewählt. Dieses Amt hatte er bis 2013 inne. Nach Margot Käßmanns Rücktritt wurde er 2010 Vorsitzender des Rates der EKD. Dieses Amt gab er nach seinem Rücktritt 2014 an Heinrich Bedford-Strohm ab.
Der Theologe kritisierte häufig die „soziale Kälte“ in Deutschland. 2010 unterzeichnete Schneider ein Kirchenwort mit. Darin warnte er, dass es kein bloßes „Weiter so“ in der Afghanistanpolitik und der deutschen Beteiligung am Krieg geben dürfe. Er gestand ein, dass es militärische Kraft brauche, „um für einen Raum zu sorgen, in dem sich dann anderes entwickeln kann“. Jedoch stellte er klar, dass Militär keinen Frieden schaffen könne.
2007 rief der Jubilar Muslime dazu auf, sich dafür einzusetzen, dass Christen in der Türkei Kirchen bauen, Land erwerben und Vereinigungen bilden dürfen. 2009 erklärte Schneider, dass die Mission von Juden für Christen und Kirche nach heutigem Verständnis der Bibel verboten sei. Schneider positionierte sich auch in der Debatte um die Bedeutung von Jesu Kreuzestod. Der Tod Jesu sei nicht nötig gewesen, um eine angemessene Wiedergutmachung für die Verletzung der Ehre Gottes zu leisten. Der Theologe sprach sich gegen eine Interpretation des Sterbens Jesu als Sühnopfer aus. Jesus habe die Schuld zwar „mitgetragen“, aber nicht an unserer Stelle getragen. Damit widersprach er der in weiten Teilen der Christenheit vertretenen Lehre vom stellvertretenden Tod Jesu.
Narben werden Teil der Persönlichkeit
Schneider ist seit 1970 verheiratet und Vater dreier Töchter. Seine jüngste Tochter Meike starb im Februar 2005 an Leukämie. Über das Leiden und den Tod seiner Tochter hat er mit seiner Frau Anne, die auch Theologin ist, ein Buch geschrieben. 2014 diagnostizierten die Ärzte bei Schneiders Frau eine Krebserkrankung. Darauf hin trat er von seinem Amt als Ratsvorsitzender der EKD zurück. Bei diesem Schritt sei er auf viel Verständnis gestoßen.
Schneider sagte einmal, dass er entscheidende Impulse für den Glauben als Konfirmand erhalten habe: „Erst danach habe ich mich taufen lassen.“ Der Tod der Tochter habe sichtbare Verletzungen hinterlassen: „Die Verletzung wird weniger, aber es bleiben Narben zurück. Wir lernen zu leben mit den Narben, sie machen uns aus, sie gehören zu uns und werden Teil unserer Persönlichkeit.“ Die Trauer hätte das Paar in das Leben integriert: „Und zwar so, dass sie uns stärkt – und nicht so, dass sie uns am Leben hindert.“
Bei aller Trauer lebe er in der Gewissheit von Gottes Versprechen, einmal alle Tränen abzuwischen: „Dennoch bleiben Fragen, die einem niemand beantworten kann. Ich denke, es gehört zu den Kennzeichen unserer beschränkten irdischen Existenz, dass wir Böses in der Welt kennen. Dass wir nicht alles begreifen können“, bekennt der Theologe. Sein Amt als EKD-Ratsvorsitzender habe ihm herausragende Möglichkeiten gegeben, über den Glauben zu reden und Zeugnis zu geben.
An seinem Ruhestand schätze er den entschleunigten Alltag. Gemeinsam mit seiner Frau Anne lebt er in Berlin. Bundespräsident Joachim Gauck verlieh Schneider 2015 das Bundesverdienstkreuz für seinen Einsatz für soziale Gerechtigkeit. Die Kirchliche Hochschule in Wuppertal verlieh ihm die Ehrendoktorwürde. (pro)
Von: jw