PRO: Ihr Buch über gerechte Sprache heißt „Vermintes Gelände“, im Untertitel ist vom „Krieg um Wörter“ die Rede. Warum diese Kriegsmetaphorik?
Petra Gerster: Der Begriff „Kampf“ wäre mir heute lieber. Aber als wir begannen, uns in das Thema einzuarbeiten, merkten wir: Manche Gruppen bekriegen einander geradezu. Auch mich traf es hart. So kamen wir auf „Krieg“, wissend, dass ein echter Krieg etwas ganz anderes ist.
Bekamen Sie vorher bei anderen umstrittenen Themen keine Kritik?
Petra Gerster: Natürlich steht man immer in der Kritik. Das ist normal. Aber die geballte Ladung Zorn und Hass, die wegen meines Genderns monatelang auf mich einprasselte – das war etwas Neues.
Sie beschreiben es auch in Ihrem Buch: Je nachdem, wie man sich äußert, bekommt man das Feuer von der einen oder anderen Seite. Warum erleben wir bei diesem Thema die Extreme so stark?
Petra Gerster: Wir erleben die Extreme nicht nur beim Gender-Thema so stark, sondern auch bei vielen anderen. Denken Sie an die Flüchtlinge, die Migration oder jetzt Corona. Wir erleben es bei Straßen-Umbenennungen oder wenn es um bestimmte Wörter geht, die man nicht mehr benutzen soll. Dies und noch einiges andere sind Zeichen dafür, dass sich gerade ein paar Dinge fundamental ändern.
Christian Nürnberger: Und diese Änderungen machen Vielen Angst, vor allem den Älteren, die noch ein Deutschland mit sich herumtragen, das es nicht mehr gibt. Deutschland ist heute multinational, multi-ethnisch, multi-kulturell, multi-religiös und auch noch multi-geschlechtlich. Das empfinden viele als zu viel Multi auf einmal.
Liegt es also daran, dass es so starke Reaktionen gibt?
Christian Nürnberger: Ja, natürlich, aber vor allem daran, dass diese Vielfalt auch zu vielfältigen Konflikten führt. Plötzlich werden wir nicht mehr nur mit dem Völkermord an den Juden konfrontiert, sondern nun auch mit dem Völkermord an den Hereros. Ganz Europa steht heute im Feuer wegen kolonialer Verbrechen. Wir Europäer verehren Kolumbus als „Entdecker Amerikas“. Aber die Indigenen sehen es eher so, wie Lichtenberg (Georg Christoph Lichtenberg, 1742–1799; Anm. d. Red.) es formulierte: „Der Amerikaner, der den Kolumbus zuerst entdeckte, machte eine böse Entdeckung.“ Das holt uns jetzt ein.
Petra Gerster: Natürlich fragten wir uns: Warum passiert das alles gerade jetzt? Und wir denken: Erstens, weil viele Menschen aus den ehemaligen Kolonien in Europa leben, und zweitens, weil es die Sozialen Medien gibt. Dort erobern sich Menschen eine Diskursmacht, die sie vorher nicht hatten. Plötzlich sprechen Minderheiten laut mit eigener Stimme, allerdings manchmal mit einer Tendenz zur Selbstradikalisierung.
Frau Gerster, haben Sie damit gerechnet, dass Ihnen das Gendern in der Moderation Kritik einbringen würde?
Petra Gerster: Mit Beschwerden habe ich gerechnet, ja, aber nicht mit so einem großen, lange anhaltenden Sturm der Entrüstung. Der Anlass war ja eher gering. Es ging um eine marginale sprachliche Änderung, eine winzige Sprechpause.
Sie schreiben, dass es auch Zeiten gab, in denen Sie gegen das Gendern waren. Warum?
Petra Gerster: Nein, gegendert habe ich schon immer, ich bin ja Feministin der ersten Stunde. Wann immer es möglich war, habe ich Frauen benannt, auch bei den Nachrichten: „Politiker und Politikerinnen“. Nur hatte ich lange etwas gegen das Gendern in Partizipform, also „Studierende“ zu sagen statt „Studentinnen und Studenten“. Dabei gab es die Studierenden schon zur Goethe-Zeit, wie auch die Reisenden und die Vorsitzenden. Das Partizip ist oft eine gute Alternative zur Doppelnennung. Auch das Gendersternchen erfüllt diesen Zweck: „Journalist*innen“ sind eben nicht nur Männer, sondern alle, die in diesem Beruf arbeiten. Als ich die Minipause vor zwei Jahren erstmals im Fernsehen hörte, war ich sofort überzeugt.
Gerade die öffentlich-rechtlichen Medien stehen in der Kritik, dass sie politisch eine linke Schlagseite hätten. Leistet das Gendern dieser Kritik nicht Vorschub? Schließlich kommt ja eine Haltung zum Ausdruck.
Petra Gerster: Wer gendert, lässt eine Haltung erkennen, ja. Man bekundet Höflichkeit, Respekt, Achtung vor dem Gleichheitsgrundsatz. Gleichheit und Gleichberechtigung kann man eben in Frage gestellt sehen durch das generische Maskulinum. Das ist eine Form, die jahrhundertelang der Realität entsprach, weil nur Männer die Welt gestaltet und in der Öffentlichkeit agiert haben. Aber das entspricht nicht mehr unserer Wirklichkeit. Und darauf sollte die Sprache reagieren. Wer nicht gendert, ist deshalb aber nicht gleich unhöflich und respektlos.
Grammatisch gesehen bezeichnet das generische Maskulinum, etwa „die Journalisten“, die Gesamtheit einer Gruppe unabhängig vom Geschlecht.
Christian Nürnberger: So war bisher die Regel. Aber wenn Frauen und nichtbinäre Menschen nun sagen: Da fühle ich mich nicht mehr angesprochen, muss man darauf reagieren. Das Gendersternchen schließt alle ein.
An Medien wird oft auch kritisiert, sie seien bevormundend. Moderatoren einer Nachrichtensendung haben eine Orientierung gebende Rolle. Da kann bei manchen im Publikum der Eindruck entstehen: Wenn „die da oben in den Medien“ so reden, müssen wir das jetzt auch.
Petra Gerster: Niemand muss sprechen wie eine Nachrichtenmoderatorin, und sich übrigens auch nicht so kleiden oder frisieren. Trotzdem kommen täglich Anfragen: Wo gibt’s dieses Kleid zu kaufen, wer hat diese Frisur gemacht? Insofern übt jemand, der täglich von Millionen Menschen gesehen wird, natürlich einen gewissen Einfluss aus, ob er oder sie will oder nicht. Die Nachricht steht zwar im Vordergrund, aber irgendjemand muss sie irgendwie mitteilen, so zurückhaltend wie möglich, aber eben durch Sprache, und die sollte der Zeit und der Realität angemessen sein. Realität ist, dass die Menschheit aus Männern, Frauen und Non-Binären besteht. Wer dies sprachlich berücksichtigt, bevormundet nicht und verfälscht nicht die Realität, sondern bildet sie ab. Ich habe das Gendern übrigens dosiert und darauf geachtet, dass ich pro Sendung nicht mehr als zweimal mit Sternchen gegendert habe. Sonst habe ich versucht, verschiedene Formen zu variieren, das Deutsche ist ja sehr reichhaltig und vielfältig.
Jede Umfrage, die ich bisher dazu gesehen habe, zeigt, dass die meisten Menschen nicht für das Gendern sind. Auch unter Frauen sagt eine Mehrheit, dass es ihnen nicht wichtig ist.
Christian Nürnberger: Wenn man genauer hinschaute, fiele auf: Je jünger, desto selbstverständlicher wird gegendert. Je älter, desto größer der Widerstand gegen das Gendern. Das heißt: Die Mehrheitsverhältnisse werden sich ändern. Und generell gilt: Gesellschaftlicher Fortschritt kommt nicht von selbst, sondern muss erkämpft werden, und es sind immer die Minderheiten, die den Kampf beginnen. Wir zählen heute weltweit Milliarden Christen, weil 13 Männer mal damit angefangen haben vor 2.000 Jahren, gegen alle Widerstände.
Trotzdem: Das Thema scheint für Viele im Alltag keine Rolle zu spielen. Da sind ganz andere Fragen wichtig, wie man etwa Familie und Beruf organisiert bekommt oder warum der Sprit so teuer ist.
Petra Gerster: Eine alleinerziehende Frau, die drei Jobs hat, um ihre Kinder durchzubringen, hat andere Sorgen. Völlig klar. Aber meine Erfahrung ist: Wer sich – wie ich – schon sein ganzes Leben für Gleichberechtigung einsetzt, ist auch offen für das Gendern. Denken, Sprechen und Handeln sollten eine Einheit bilden.
Im Sommer hat das Allensbacher Institut eine Studie veröffentlicht, derzufolge 44 Prozent der Deutschen das Gefühl haben, sie könnten ihre Meinung nicht mehr frei sagen. Könnte das damit zusammenhängen, dass man den Eindruck hat, ständig aufpassen zu müssen, was man sagt, um nicht versehentlich jemanden zu beleidigen?
Christian Nürnberger: Es ist nichts Schlechtes, wenn die gesellschaftliche Sensibilität steigt und es verpönt ist, das beleidigende N-Wort auszusprechen. Lange Zeit habe ich auch nichts daran gefunden, „Zigeuner“ zu sagen, weil ich dachte: Ich habe doch Respekt vor diesen Menschen, daran ändert doch meine Ausdrucksweise nichts. Aber wenn mir Sinti und Roma sagen, dass ihre Familien – unter dieser Bezeichnung – im KZ ermordet wurden und sie sich daher von diesem Wort zutiefst verletzt fühlen, muss ich doch bereit sein, es aus meinem Wortschatz zu streichen. Ich verliere ja dadurch nichts. Man kann diese Wörter übrigens weiterhin ungestraft benutzen, muss halt jetzt nur damit rechnen, dass man dafür kritisiert wird.
Petra Gerster: Es ist einfach eine Form der Rücksichtnahme, wenn man bestimmte Wörter nicht mehr benutzt. Dass wir deswegen nicht mehr frei seien, unsere Meinung zu sagen, finde ich vollkommen übertrieben.
Christian Nürnberger: Schwierig wird es dann, wenn Ironie und Satire nicht mehr möglich sind und es zu Aufführungsverboten kommt. Das gibt es in unserem Land, aber sehr selten. Wir haben einige Beispiele in unserem Buch genauer recherchiert und festgestellt, dass es bei den meisten Fällen um andere Fragen ging. Der AfD-Gründer Bernd Lucke wurde mal an seiner Vorlesung in Hamburg gehindert, aber auch nicht dauerhaft.
Sie schreiben, dass Sie selbst erlebt haben, wie Sie sich als Frau männlichen Normen fügen mussten. In welchem Zusammenhang?
Petra Gerster: Als junge Frau, als Berufsanfängerin wurde ich von Vorgesetzten eindeutig nach anderen Kriterien als junge Männer bewertet – weniger nach Können, mehr nach dem Aussehen. Und dem prominenten Journalisten einer renommierten Wochenzeitung erschien es als völlig normal, mir gegenüber übergriffig zu werden. Allerdings war ich selbstbewusst genug, um nein zu sagen.
Christian Nürnberger: Männer entschieden auch, bis zu welchem Alter eine Frau vor der Kamera auf dem Schirm bleiben darf. Petra ist die erste Frau, die in der Primetime bis zur Altersgrenze moderiert hat. Alle anderen vor ihr sind wesentlich früher ausgeschieden.
Petra Gerster: Ich war über anderthalb Jahrzehnte die älteste Primetime-Moderatorin im Fernsehen. Und es ist nicht so, als habe sich das von selbst ergeben, dafür habe ich gekämpft.
Herr Nürnberger, Sie haben im vorigen Jahr ein Buch veröffentlicht, „Keine Bibel“. Im Klappentext heißt es: „Nichts braucht die Welt derzeit dringender als die Geschichten der Bibel.“ Warum ist das so?
Christian Nürnberger: Die Grundrechte, die in unserem Grundgesetz stehen, sind schon in der Bibel formuliert. Das Asylrecht zum Beispiel. In der Bibel steht, wenn jemand politisch verfolgt wird, dann sollst du ihn aufnehmen, bei dir wohnen lassen und er soll bestimmen, wo er wohnen will. Oder wenn ein Schuldner kommt und sein Pfand holen will, muss er draußen vor dem Haus stehen bleiben: die Unverletzlichkeit der Wohnung. Die ganze Sozialgesetzgebung steckt in der Bibel. Auch der Gleichheitsgrundsatz steht im Alten Testament, nämlich dass der Pharao in seiner Pracht vor Gott nicht mehr zählt als der Ziegenhirte in seinen Lumpen.
Petra Gerster: Die Bibel ist eine Wurzel unserer Kultur. Wenn man die kappt, dann stirbt der ganze Baum.
Vielen Dank für das Gespräch!
Petra Gerster, geboren 1955, hat zehn Jahre das Magazin „ML Mona Lisa“ im ZDF moderiert. Von 1998 bis 2021 war sie Moderatorin der ZDF-Nachrichtensendung „heute“. Ende Mai dieses Jahres ging sie in den Ruhestand. Sie hat mehrere Auszeichnungen erhalten, unter anderem den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis, den Bambi, die Goldene Kamera und die Hedwig-Dohm-Urkunde des Journalistinnenbundes. In mehreren Dokumentationen beschäftigte sie sich mit den Wurzeln des Christentums.
Verheiratet ist sie mit dem Journalisten Christian Nürnberger, Jahrgang 1950. Nürnberger hat unter anderem evangelische Theologie studiert und die Henri-Nannen-Journalistenschule besucht. Gemeinsam hat das Ehepaar mehrere Bücher geschrieben. Es hat zwei Kinder.
Petra Gerster und Christian Nürnberger: „Vermintes Gelände – Wie der Krieg um Wörter unsere Gesellschaft verändert. Die Folgen der Identitätspolitik“, Heyne, 224 Seiten, 16 Euro
Foto: Heyne Foto: Heyne
Das Interview erschien im Christlichen Medienmagazin PRO, Ausgabe 6/2021. Das Heft können Sie kostenlos online bestellen oder telefonisch unter 0 64 41/5 66 77 00.
6 Antworten
Es bleibt das einfache Fazit: Wer gendert spaltet die Gesellschaft, weil er ideologisch auf den anderen einschlägt, bevor überhaupt der erste Satz – einer dann nicht mehr möglichen Diskussion – zu Ende gesprochen wurde.
Wenn Journalisten wissentlich und mit Vorsatz eine Sprache sprechen, die von einer überwältigenden Mehrheit ihrer Rezipienten aktiv abgelehnt wird, dann sägen sie an dem Ast, auf dem sie sitzen… Sie grenzen sich selbst aus, denn sie berauben sich damit jeder Möglichkeit der Kommunikation…
Journalisten sollten sich hüten, diejenigen, die ihnen Lohn und Brot verschaffen, belehren oder bevormunden zu wollen. Das ist noch nie gut angekommen.
@Mel: wieso behaupten Sie, wer gendert, würde die Gesellschaft spalten? indem man/frau gendert, wird auf niemanden eingeschlagen. Aber es wird Rücksicht genommen, so wie es im Text auch benannt wird. Und diese Rücksicht ist Ihnen schon zuviel?
Es ist immer wieder traurig, dass Journalisten und Germanisten die deutsche Sprache nicht kennen.
Wenn wir Männer, Frauen und alle Menschen, die sich nicht im binären Sprachgebrauch widerfinden gleich behandeln wollen, reicht es völlig, den neutralen Artikel zu benutzen. In der unpraktikablen Sprechweise mit der Kurzpause (die in geschätzt 50% nicht gemacht wird) sind nur Männer und Frauen angesprochen, nicht jedoch Menschen, die sich nicht in das binäre System einordnen. Also sind diese weiter „unterdrückt“.
Der Artikel hat übrigens nur in einem Bruchteil seines Einsatzes etwas mit dem Geschlecht zu tun oder können sie mir erklären, was einem Tisch männlich, einer Tür weiblich ist? Teilweise wechselt der Artikel sogar je nach Region oder Dialekt – für ein und das selbe Ding!
Shalom,
der letzte Satz erstaunt mich:
Petra Gerster: Die Bibel ist eine Wurzel unserer Kultur. Wenn man die kappt, dann stirbt der ganze Baum.
Ich habe einge Dokus von Frau Gerster gesehen und meiner Erinnerung nach war sie immer extrem kritisch gegenüber der Bibel und dem Christentum.
Da das Argument mit der „deutschen Grammatik“ nicht mehr ernst genommen wird von den Menschen, die der Gender-Ideologie anhängen, bleibt z.B. die Möglichkeit statt des * und des Partizips noch die Nutzung des Wortes „Menschen“.
Statt liebe Mitarbeitenden heisst es dann : liebe Menschen, die hier mitarbeiten…
Das finde ich persönlich eine ganz gute Lösung, da das Wort Mensch hier äußerst positiv besetzt ist (Mitmensch, ja sogar Menschlichkeit schwingt mit)
Ich kann verstehen und finde es wichtig, dass Frauen möchten, dass sie auch in unserer Sprache sichtbar sind, so wie es z. B. bei Feuerwehrfrau oder Ärztin ja ohne weiteres möglich ist. Auch wenn dabei Texte länger werden wie z. B. bei „liebe Bürgerinnen und Bürger“. Den Stern allerdings verstehe ich nicht, den kann man zwar sehen, aber nicht aussprechen. Und mir fällt auf, dass bei dieser Konstruktion oft die Männer unter den Tisch fallen und die Diversen sowie nicht genannt werden (es sei denn, sie begnügen sich, als Sprechpause erwähnt zu werden), z. B. bei einem schnell gesprochenen „liebe Bürger*innen“. Und es gibt nach wie vor keine Anrede für diverse Menschen, also statt „Herr oder Frau Müller“ dann „Divers Müller“. Oder statt Feuerwehrfrau bzw. -mann dann Feuerwehrdivers. Wollen die Betroffenen wirklich so genannt werden? Ich hab da meine Zweifel. Wir sollten nach einem guten Kompromiss suchen, Frauen und diversen Menschen den Stellenwert zu geben, der ihnen zusteht, ohne dabei die Sprache zu vergewaltigen. Und Herrn Wiedemann kann ich nur zustimmen: Wenn der Artikel das natürliche Geschlecht festlegen würde, wäre „der Mann“ männlich und „die Männer“ weiblich.
Was ich auch sehr bemerkenswert an dem Beitrag fand – neben seiner sachlichen Aussagen der Interviewpartner – ist der Schluss und der Stellenwert, den Frau Gerster und ihr Mann der Bibel in Bezug auf unsere Kultur geben.