Rezension

New Age ist tot. Es lebe der Posthumanismus.

Mehr Gefühl und Poesie in der Wissenschaft. Schamanen sollten in der Forschung helfen. Gegenstände sollten vor Gericht aussagen. Freien Willen gibt es nicht. Ein niederländischer Religionswissenschaftler möchte einiges ändern.
Von Jörn Schumacher
Das Cover des neuen Buches von Kocku von Stuckrad

Corona hat gezeigt wie selbstgemachte, individuelle „Gefühls-Wissenschaft“ aussehen kann. Und wie weit sie verbreitet ist. Da wird persönliches „Empfinden“ – etwa: Corona kann mir gar nicht schaden wegen meiner regelmäßigen Spaziergänge –  verbunden mit der Arroganz gegenüber institutionellen Wissenschaftlern. Viren: eine Erfindung, Klimawandel: alles Lüge.

Dass es noch schlimmer geht und das alles noch viel tiefer eingegraben sein kann in einen ideologischen Weltbau, zeigt das Buch von Kocku von Stuckrad, Professor für Religionswissenschaft an der Universität Groningen. Hier ist Wissenschaftsfeindlichkeit nur der Anfang. Hier wird sie zur Religion.

Stuckrads Buch beginnt harmlos mit der Feststellung, dass wir „vor den Trümmern einer gescheiterten menschlichen Beziehung zur Welt“ stehen. Hoffnungslosigkeit und Trauer machen sich breit, angesichts der „brutalen Ausbeutung, mit der Menschen den Planeten überziehen“. Dann gibt der Religionswissenschaftler, der von sich sagt, jahrzehntelang „spirituelle Praktiken bis zur Astrologie“ praktiziert zu haben, seinen eigenen Lösungsansatz preis.

Stuckrad hebt den Unterschied zwischen Objektivität und Subjektivität auf

Hier sollte man die Absicht einer Rezension vielleicht bereits ad acta legen. Doch Stuckrads … Philosophie? Esoterik?… (er wehrt sich gegen den Begriff „Geschwurbel“, das sei hiermit zur Kenntnis genommen) legt eine Weltsicht frei, die in unserer Zeit sicher nicht ganz so selten sein dürfte. Lachend beiseite schieben sollte man Geschwurbel eben nicht. Denn fast immer erhebt er den Anspruch, wissenschaftlich, oder mehr noch: eine „alternative“ Wissenschaft zu sein. Und hier wird es gefährlich.

Stuckrad propagiert eine „Wende“, eine „Neuorientierungen in den Wissenschaften“. Und die besteht in einer „spirituellen Weltbeziehung“. Hier prallt gewohnheitsgemäß natürlich jeder Anspruch seriöser Wissenschaft sofort ab. Denn bei der geht es ja um Theorien, die man objektiv überprüfen können sollte. Den Unterschied zwischen Objektivität und Subjektivität hebt Stuckrad aber auf.

Der Autor hebt auch die Trennung zwischen Natur und Kultur auf. Der Mensch sei nicht das einzige Wesen, dass zu Rationalität fähig sei. Eine Seele haben alle Lebewesen, Stuckrad propagiert einen Animismus. Eine klare Trennung zwischen (handelndem) Subjekt und (passivem) Objekt lehnt er ab, das sei „europäische Denktradition“, und das Konzept des Freien Willens sei eine europäische Idee. Ja, „europäisch“ reicht hier für eine Diskreditierung. Stuckrad bemüht sich, vor allem indigene oder asiatische Fürsprecher zu wählen. (Westliches Denken ist schlecht, östliches Denken ist gut.)

Gefühl und Poesie in die Wissenschaft bringen

Dem „Scheitern der Zivilisation“ liegen drei „Ausbeutungsregime“ zugrunde, meint Stuckrad: Patriarchat, Kapitalismus und Kolonialismus. Der „wohlhabende, weiße, männliche Mensch“ habe diese Ausbeutungsregime hervorgebracht. „Religion und Philosophie haben diese Regime mit ihren Erzählungen legitimiert und verstärkt.“ Man fragt sich, wie Frauen, Schwarze und Kinder nicht beteiligt sein können an der Ausbeutung der Natur, aber darauf kommt es bei Stuckrad nicht an. Er wünscht sich ein Umdenken vor allem in der Naturwissenschaft. Er möchte Gefühl und Poesie in die Wissenschaft bringen.

Doch es wird noch schlimmer. Stuckrad schafft den freien Willen ab und verwendet stattdessen das englische Wort „Agency“. Und die könne im Grunde jeder Gegenstand auf der Welt und jedes Tier haben. Denn „Agency“ sei nicht etwas, das Subjekte „haben“, sondern „das erst in der Begegnung entsteht“.

Dann ruft er, wenig überraschend, die Quantenphysik als Zeugen auf, die bekanntermaßen so gut wie alles erklären kann. Unklar definierte Begriffe werden eingestreut, es ist kurz von Beugung, Lichtstrahlen, Röntgen- und Elektronenstrahlen die Rede. Das reicht, um klar zu machen: Schon die Quantenphysik zeigt: „Der agentielle Realismus macht den Weg frei für eine Ökologie von Agencies, in der es kein Zentrum mehr gibt.“

Pflanzen können denken, Ökosysteme von Pilzen und Bakterien sind weit vernetzt, das ist ja so gut wie Intelligenz, und: „Gene haben die Wahl, sich in eine bestimmte Richtung zu entwickeln.“ Wer das anders sieht, sei lediglich „im euro-amerikanischen Gesellschaftssystem aufgewachsen“,  denn: „Für viele Menschen mit einem indigenen Hintergrund sieht die Sache aber ganz anders aus.“

Stuckrad stellt den Zoologen Jakob Johann von Uexküll ins rechte Licht, auch wenn der den Faschismus der Nationalsozialisten legitimierte und 1933 auch noch das öffentliche Bekenntnis der deutschen Professoren zu Adolf Hitler unterzeichnete. Aber immerhin sprach der Zecken, Schnecken und Seeigeln die selbe Subjektivität zu, die man sonst nur dem Menschen zuspricht. Irgendwie hatte er ja wohl doch recht.

Völlig falsches Verständnis von Wissenschaft

Dass Stuckrad ein völlig falsches Verständnis von Wissenschaft hat, zeigt sich an Sätzen wie: „In der öffentlichen Diskussion finden sich immer wieder die Hinweise, eine bestimmte Annahme sei ‚wissenschaftlich nicht belegt‘, und dieser Hinweis dient normalerweise der Abwertung solcher Annahmen, mit denen man sich also nicht weiter beschäftigen muss. Wenn man das doch tut, gerät man in Schwurblerverdacht.“

Das ist perfide. Denn „wissenschaftlich nicht belegt“ heißt einfach nur, dass da Behauptungen gemacht werden, die einen wissenschaftlichen Anschein haben, aber einfach aus dem Hut gezaubert wurden, um daran aber eine Argumentation anzuschließen. Es heißt gerade eben nicht, dass man sich mit diesen Annahmen „nicht weiter beschäftigen muss“. Sondern das Gegenteil.

Stuckrad kritisiert erst eine „mythologische Aufladung von Wissenschaft“, wenn jemand auf Thesen hinweist, die „wissenschaftlich nicht belegt“ sind. Um gleich danach als „ausgezeichnetes Beispiel“ „die Rolle des Störs in der indigenen Spiritualität und Wissenschaft der Gemeinschaften der Great Lakes in Nordamerika” anzuführen. Denn: „Störe verfügen über unglaubliche Weisheit. (…) Die lange Lebenserfahrung des Störs wird hier zum Vorbild für eine Tugendethik.“

Stuckrad berichtet auch von der Evolutionsbiologin Monica Gagliano und ihrer spirituellen Beziehung zu Pflanzen. Stuckrad schafft es, „Erfahrungen mit der Pflanzenkommunikation“ und „wissenschaftliche Forschung“ in einem Satz unterzubringen. Die Dame bezeichnet er als Wissenschaftlerin, die allein durch subjektives Empfinden weiß, was Pflanzen denken. Als „Biologin“ war sie in Australien tätig. Ihr Lehrer: ein Schamane. Ihre Wissensquelle: ihre eigenen Träume.

Dass Stuckrad sie ohne Scham Biologin nennt, zeigt das ganze Ausmaß dieser um sich greifenden „Esoterikisierung“ von Wissenschaft. Was wirklich Wissenschaft ist, ist völlig abhanden gekommen. Es ist völlig egal geworden. Man kann scheinbar auf diesem Begriff so lange herumtrampeln, bis man die kümmerlichen Reste davon in die Erde steckt, daraus eine Hanfpflanze zieht, mit der man sich dann über Kolonialismus unterhält.

Ein gefährliches, ernst gemeintes Weltbild

Auch wenn das schon alles unerträglich ist, kommt es immer schlimmer. Stuckrad ist überzeugt: „Biografien von nichtmenschlichen Teilnehmenden an einem Forschungsprojekt lassen sich strukturell in die Arbeit mit aufnehmen.“ Und: „Zur Gruppe der nichtmenschlichen Teilnehmenden gehören dann nicht nur Lebewesen wie Tiere, Pflanzen und Pilze, sondern auch Subjekt–Objekte wie archäologische Fundstücke, Kunstgegenstände, Computer, Plastikabfall, CO2 und vieles mehr.“ Ja, Sie haben richtig gelesen. New Age ist tot. Es lebe der Posthumanismus.

Spätestens gefährlich wird es dann: Die Ethikkommissionen sollten die Rechte dieser nicht-menschlichen Beteiligten (Pflanzen, Tiere, Pilze) in die Organisation von Forschungsprogrammen mit einbeziehen. „Nichtmenschliches Wissen wird auch über spirituelle Praktiken zugänglich“, ist Stuckrad überzeugt. Ja aber soll man denn dann in Zukunft Pflanzen interviewen, um forschenderweise etwas über sie herauszubekommen? Warum dann nicht auch vor Gericht den Efeu als Zeugen aufrufen, der bei einem Mord dabei war? Und tatsächlich: Diesem Thema widmet der Religionswissenschaftler ein eigenes Kapitel: „Die rechtliche Anerkennung nichtmenschlicher Personen“. In Indien sind ja auch manche Flüsse Gottheiten. (Dieses Argument bringt er tatsächlich.)

Im Niederdeutschen gibt es den schönen Begriff des „Spökenkieken“. Das kann man als „Spuk-Gucker“ oder „Geister-Sehen “ ins Hochdeutsche übersetzen. Stuckrad sagte jedenfalls über seine eigene Arbeitsweise: „Wenn ich es mir recht überlege, sind viele meiner Ideen für Forschungsprojekte und Bücher bei Wanderungen in Nordschweden entstanden. (…) Wenn ich an einem Fluss im Vássjávagge sitze und die Landschaft durch mich hindurchklingt oder wenn ich auf meinen Radtouren durch den Grunewald an der Havel pausiere, wo eine Biberfamilie lebt und die Nachtigallen jedes Jahr ihre Kinder großziehen, entsteht ein Wissen, das über meine eigene begrenzte Wahrnehmung weit hinausgeht.“

Man könnte das alles für lustig halten. Aber dahinter steckt ein ernst gemeintes Weltbild. Und das soll natürlich auch auf die Politik ausgeweitet werden. Auch wenn das Buch „nur“ im Europa-Verlag erschienen ist, in dem Personen wie Matthias Matussek und Henryk M. Broder publizieren, und in dem vor kurzem eine äußerst kritisches Buch über Angela Merkel und ein äußerst lobendes Buch über Sahra Wagenknecht herauskamen, dass dies eines der schrecklichsten Bücher ist, die ich je gelesen habe, hat auch mit einer Drohung zu tun, die der Autor ausspricht.

Seine „relationale Wende“ sei „in vollem Gange“, sagt er. „Quer durch alle Wissenschaften hindurch“ arbeiteten Forscher bereits an einem „Ende der Großen Trennung“ (von Natur und Kultur), schreibt Stuckrad. Und: „Die Wissenschaften befinden sich in einem tiefgreifenden Wandel, einem Wandel, der die herausgehobene Stellung des Menschen in Zweifel zieht.“ Zum „neuen Denken“ gehören all jene Buzzwords, die man unter dem Stichwort Wokeness wiederfindet. Von Critical Posthumanities (dem kritischen Posthumanismus) über Ökofeminismus bis zu  Environmental Humanities (umweltbezogenen Geistes- und Sozialwissenschaften). Es ist zu befürchten, dass dieser Unsinn an Universitäten tatsächlich gelehrt wird, und das verstärkt.

Kocku von Stuckrad: „Nach der Ausbeutung: Wie unser Verhältnis zur Erde gelingen kann“, Europa Verlag, 272 Seiten, ISBN: 978-3958906068, 26 Euro.

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