Neuer Streit um Sterbehilfe

Seit gut zwei Jahren ist die kommerzielle und wiederholte Suizidbeihilfe in Deutschland verboten. Nun fordert der Spiegel eine neue Debatte über ein würdiges Sterben. Denn seit der Entscheidung des Bundestages hat sich einiges getan.
Von Anna Lutz
Suizidbeihilfe ist in Deutschland strafbar. Dennoch ist der Staat neuerdings dazu verpflichtet, Sterbewilligen ein tödliches Medikament zur Verfügung zur stellen.

Wer Schwerkranke in Deutschland bei einem Suizid unterstützt, macht sich strafbar – zumindest, wenn er dafür Geld einnimmt oder es zum wiederholten Male tut. Das besagt ein hart umkämpftes Gesetz, auf das sich die Parlamentarier des Deutschen Bundestages im Jahr 2015 mehrheitlich und überfraktionell verständigt haben. Die Neuregelung durfte als Kompromiss verstanden werden. Einerseits sollte sie Ärzte und Familienangehörige, die im Falle eines leidenden Angehörigen oder Patienten zum äußersten Mittel greifen, nicht kriminalisieren. Andererseits sollte sie deutlich machen: Sterbehilfevereine haben in Deutschland keinen Platz. Der damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert nannte das Ringen um dieses Gesetz damals die „anspruchsvollste und schwierigste Debatte“ der Legislaturperiode.

Gericht stellt Sterbehilfegesetz auf den Kopf

Doch seit 2015 hat sich die juristische Welt weitergedreht. Im März des vergangenen Jahres entschied das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, dass Schwerstkranke in Ausnahmefällen Anspruch darauf haben, durch den Staat ein Mittel zur Selbsttötung zu erhalten. Das sei Teil des Rechts auf Würde und freie Persönlichkeitsentfaltung jedes einzelnen. Am Samstag berichtete der Spiegel, dass derzeit knapp 100 Anträge auf ein solches todbringendes Medikament beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte vorliegen. Bisher hat die Stelle nicht gehandelt. Sollte das Institut Anträge dieser Art aber wie vom Gericht gewünscht in besonderen Fällen bewilligen, bedeutet dies, dass die Leidenden ihren selbstgewählten Weg in den Tod zwar mit Hilfe des Staates, wohl aber auf eigene Faust gehen müssen. Denn Ärzte dürfen dem Gesetz zur Suizidbeihilfe entsprechend nicht mehrfach an einer Selbsttötung beteiligt sein und sie nicht dabei begleiten.

Der menschenrechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Michael Brand, war gemeinsam mit SPD-Politikerin Kerstin Griese federführend beim Suizidbeihilfegesetz von 2015. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Abgabe todbringender Medikamente ist für ihn eine massive Fehleinschätzung. „Der Staat kann nicht verpflichtet werden, sich an der Durchführung eines Suizids zu beteiligen, auch nicht in extremen Ausnahmefällen. Das wäre ein Bruch mit unserer Werteordnung und widerspräche allen Anstrengungen zum Lebensschutz und der Suizidprävention“, erklärt er am Donnerstag gegenüber pro. Griese und SPD-Fraktionsvize Eva Högl erklärten gegenüber pro: „Der Verkauf tödlicher Betäubungsmittel muss weiterhin grundsätzlich verboten bleiben.“ Nur in Extremfällen, die individuell beurteilt werden müssten, könn es davon eine Ausnahme geben. Dies könnte nun anlässlich des Bundesverwaltungsgerichtsurteils durch den Bundestag gesetzlich klar gestellt werden, sagen Griese und Högl. Orientierungspunkt müsse dabei das bereits beschlossene Gesetz von 2015 sein.

Keine Neuverhandlung der Suizidbeihilfe

Geht es nach ihm, muss sich das Bundesverfassungsgericht nun entweder mit der Medikamentenabgabe beschäftigen – erst im Januar hatte der Verfassungsrechtler Udo di Fabio eine sogenannte Klage per Normenkontrolle durch die Bundesregierung vor dem obersten Gericht angeregt. Oder der Deutsche Bundestag könnte sich an einer Klarstellung des Betäubungsmittelgesetzes versuchen. Eine Neuverhandlung der Suizidbeihilfe lehnt Brand ab.

So oder so muss sich das Bundesverfassungsgericht mit dem Thema der Suizidbeihilfe beschäftigen. Denn mittlerweile liegen dort laut Spiegel elf Beschwerden gegen das Gesetz von 2015 vor. Auch Sterbehilfevereine, die durch die Regelung verboten werden sollten, haben Einspruch erhoben. Und sie sind wieder tätig. Im Januar erklärte der Vorsitzende von Sterbehilfe Deutschland, Roger Kusch, laut Evangelischem Pressedienst, sein Verein warte nicht länger auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Stattdessen habe er seine Statuten geändert.

Sterbehilfeverein ist wieder tätig

In Zukunft könnten Sterbewillige mit einem Angehörigen in die Geschäftsstelle des Vereins nach Zürich reisen. Werde dort der „stabile Sterbewunsch“ festgestellt sowie die volle Zurechnungsfähigkeit und liege eine unheilbare Krankheit vor, könnten Angehörige ein Mittel zur Selbsttötung bei einer zweiten Reise in die Schweiz in Empfang nehmen, zusammen mit einer Anleitung für den assistierten Suizid. Denn bei diesem darf der Angehörige dem Sterbewillligen auch in Deutschland beistehen. Schließlich ist es ein Einzelfall. Auf diesem Weg dürften Sterbehilfevereine also legal agieren – solange das Bundesverfassungsgericht nichts anderes entscheidet oder die Suizidbeihilferegelung durch den Bundestag restriktiver würde.

Brand sieht auch hier zunächst keinen Handlungsbedarf beim Parlament. Stattdessen vertraut er auf die Verfassungsrichter. „Indem Herr Kusch versucht, die Vorschriften bewusst zu umgehen, dokumentiert er nun auch noch, dass er keinerlei Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht hat“, erklärt er. Kusch habe nichts anderes im Sinn, als ein Geschäft mit dem Tod zu machen. „Es ist angemessen und vernünftig, das laufende Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht abzuwarten“, erklärt Brand. Högl und Griese stellen klar: „Wir wollen nicht in einer Gesellschaft leben, die suggeriert, dass sich alte, kranke und behinderte Menschen rechtfertigen müssen oder dass die Selbsttötung ein guter Ausweg sei. Uns geht es um ein Leben und ein Sterben in Würde.“

Von: Anna Lutz

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