„Natur verstehen heißt Gott bewundern“

Der Schweizer André Galli ist Weltraumphysiker und Universitäts-Dozent. Als Christ lotet er stets die Grenzen zwischen Wissen und Glauben aus. Auf Nachtwanderungen versucht er seine Faszination für die Natur mit anderen zu teilen.
Von Jörn Schumacher
Zermatt, Switzerland

Wer mit André Galli auf einen Spaziergang geht, der spitzt automatisch die Ohren. Nicht nur, weil der Schweizer sehr auf die Geräusche achtet und viele Tierlaute sofort identifizieren kann. Der Physiker weiß zudem vieles über die Natur und über das, was da kreucht und fleucht, und von diesem Wissen gibt er gerne anderen etwas ab. Seit zehn Jahren bietet Galli geführte Wanderungen an und lädt dazu ein, mit ihm und anderen gemeinsam die Natur zu bewundern.
„Weltraumphysiker“ nennt er sich selbst lieber als Astrophysiker, denn diese beschäftigten sich mit Galaxien und schwarzen Löchern, „also mit Dingen, die ganz weit weg sind“. In seiner Forschung hingegen gehe es um die direkte „Nachbarschaft“ der Erde, die Planeten, deren Monde, die Kometen und den Sonnenwind.

„Schon seit Kindheitstagen interessiere ich mich für die Natur, für alles um mich herum“, sagt Galli auf einem seiner Spaziergänge. Als Kind interessierte er sich vielleicht noch ein bisschen mehr für Dinosaurier als andere Kinder, er ging auf Fossilienjagd. Daher hätte er auch fast Paläontologie oder Biologie studiert. Dann wurde es aber die Physik.
Dabei war für ihn, den gläubigen Christen, immer auch die Frage spannend: Wo liegen eigentlich die Grenzen des Wissens? „Ich glaube, dass es etwas gibt, das größer ist als unser Universum und als das, was wir mit unseren Instrumenten messen können“, sagt Galli. „Für mich bedeutet, die Natur zu erforschen – ob es da nun um Vögel geht oder Steine oder Planeten – Gott die Ehre zu geben, also die Schönheit seiner Schöpfung zu bewundern. Zu verstehen ist auch eine Art von Bewunderung.“

Nachts sind alle Sinne geschärft

Die Nachtwanderungen, zu denen er regelmäßig einlädt, sind sehr gefragt. „Viele Menschen gehen nicht gerne alleine durch die Nacht. Sie fürchten sich vielleicht“, sagt Galli, „oder sie wissen schlicht nicht, wohin man ohne Gefahr gehen könnte.“ Für viele eröffne sich dann plötzlich eine neue Welt, stellt Galli fest. „Auf einmal sehen sie zum ersten Mal Fledermäuse mit eigenen Augen, sie hören eine Nachtigall am Waldrand rufen, sie sehen den Mond, die Sterne oder Sternschnuppen ganz bewusst, und sie erleben die Stille plötzlich sehr intensiv.“ Deswegen finden die Wanderungen auch vornehmlich nachts oder abends statt. Da höre, sehe und rieche man einfach viel aufmerksamer. Und natürlich ist die Nacht für einen Astronomen die bevorzugte Tageszeit.

Gerne erinnert sich Galli an die Wanderung eines Junggesellinnenabschiedes. Die Damen konnten nachts auf einem Berg mit Blick auf die glitzernde Stadt Marshmallows grillen, berichtet er. „Sie fanden das viel besser, als betrunken in der Innenstadt von Kneipe zu Kneipe zu laufen“, lacht Galli.
Auf den Wanderungen erklärt der Physiker Dinge, die man auf dem Weg erleben kann, er teilt seine Faszination für die Schöpfung. Um den Glauben muss es da nicht zwingend gehen, sagt Galli. „Auf Wanderungen spricht man über Gott und die Welt. Manche glauben an Gott, andere sind auf der Suche, wieder andere sind erklärte Atheisten. Ich versuche, die Fragen zu beantworten – ob es nun um Naturwissenschaft oder Theologie geht. Ich erzähle von Gott, wenn die Leute etwas von Gott hören wollen.“ Manchmal wandert er mit Kirchengemeinden oder Konfirmationsgruppen. Einmal ist er mit einer Gruppe Katholiken die Osternacht durchgewandert, auf langen Strecken schwieg die Gruppe bewusst. „Morgens kamen wir in eine Kapelle und haben gemeinsam die Eucharistie gefeiert.“ Für Galli ein eindrückliches Erlebnis. Der Glaube an Jesus bedeute für ihn vor allem die Erkenntnis: „Ich bin nicht allein auf der Welt.“ Ihm als Physiker sei bewusst: In dieser Welt ist nichts ewig, alles unterliegt dem Gesetz der Entropie, geht also irgendwann kaputt oder stirbt. „Die Unordnung in einem physikalischen System nimmt von selbst ständig zu“, so der Physiker, „man muss schon Energie von außen reinstecken, um Ordnung wieder herzustellen.“ Ohne das Wissen um Gott hätte nichts, was wir hier auf der Erde tun, einen bleibenden Sinn. „Jesus Christus zeigt uns Menschen, wie Gott für uns da ist“, sagt Galli.

Grüne Fische auf Umwelt-Mission

Ihn erschrecke die Gleichgültigkeit vieler Christen gegenüber der Zerstörung der Umwelt, sagt Galli. Mit Gleichgesinnten gründete er deswegen vor 15 Jahren die christliche Umweltorganisation „Grüner Fisch“. Der Wissenschaftler hebt hervor: „In beiden Schöpfungsberichten der Bibel ist der allererste Auftrag Gottes an uns Menschen, sich um den Garten zu kümmern! Noch lange vor den Zehn Geboten.“ Der Verein habe zwar nur rund 50 Mitglieder, viele hätten aber einen natur- oder ingenieurwissenschaftlichen Hintergrund, sagt Galli. Die Vereinsmitglieder sensibilisieren in Kirchengemeinden, in Konfirmationsklassen oder auf christlichen Konferenzen für das Thema Umweltschutz. Was kann ein einzelner Christ, was eine Gemeinde konkret tun, um die Schöpfung zu erhalten? Keine Nahrungsmittel wegwerfen etwa, weniger Fleisch essen, lokal konsumieren, mehr mit dem Fahrrad fahren, wenig fliegen. Der Verein unterstützt zudem Umweltprojekte in Entwicklungsländern, sammelt Spendengelder und gibt Beratung. Galli gibt ein Beispiel: „Wenn es für ein Bergdorf in Nepal einen Ofen gibt, der sehr viel weniger Brennholz verbraucht, berechnen wir die mögliche Einsparung an CO2. Auch gesundheitlich gibt es da Verbesserungen, denn dann müssen die Menschen nicht mehr in einer verrauchten Hütte sitzen.“

Einem für ihn erschreckenden Argument von Christen ist Galli bereits häufiger begegnet. „Je eher die Welt untergeht, desto eher kehrt Jesus zurück.“ Das entsetzte ihn immer wieder, sagt er. Mit dem gleichen Argument könne man auch das Leid und das Sterben anderer einfach so zulassen, weil Gott da ja auch offensichtlich nicht eingreift. Der Physiker ist überzeugt: „Wenn Gott uns nicht ausdrücklich sagt, dass wir uns nicht einsetzen sollen für die Rettung anderer Menschen, ist es geboten, zu helfen. Wenn wir verschwenderisch leben und die Klimakrise weiter anheizen, nehmen wir anderen Menschen auf der Welt ihre Lebensgrundlage weg. Wir nehmen in Kauf, dass andere Menschen anderswo verhungern.“ Der Physiker fasst zusammen: „Wir haben aber nun einmal den Auftrag von Gott, gut und gerecht zu leben.“

André Galli ist Astronom und arbeitet an der Universität Bern. Seine Doktorarbeit schrieb er über die Magnetosphäre und Atmosphäre der terrestrischen Planeten, seine Habilitation über die Astrosphäre der Sonne und den interstellaren Raum. Die Termine seiner Abend- und Nachtwanderungen macht er auf seiner Webseite www.nachtwanderungen.ch publik. Man kann den 45-Jährigen, der auch ausgebildeter Wander-Leiter ist, für Wanderungen buchen.

Der Artikel ist erstmals in der Ausgabe 6/2023 des Christlichen Medienmagazins PRO erschienen. Das Heft können Sie hier kostenlos bestellen.

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