Wer Religionen und ihre öffentliche Wirkung aus einer Gesellschaft ausklammern wolle, sperre auch deren "friedensstiftendes und integrationsförderndes Potenzial" aus, schreibt Nahles in der FAZ. Nicht der Glaube selbst sei ein Problem für Europa, "sondern die Annahme, dass nur säkulare Gesellschaften demokratische Gesellschaften sein können". So sei für Nahles etwa nicht erkennbar, wie ein strikter Laizismus besser in der Lage sein solle, den Islam zu integrieren.
Mit ihrem Kommentar will Nahles all jenen antworten, die in dem letztjährigen Verbot eines offiziellen laizistischen Arbeitskreises der SPD eine Privilegierung der Kirchen durch die Partei sehen. "In der SPD haben Humanisten, Atheisten und Konfessionslose genauso ihren Platz wie Juden, Christen, Muslime etc.", schreibt Nahles. Der Parteivorstand habe sich mit seiner Entscheidung aber sehr wohl dagegen ausgesprochen, dass Laizisten im Namen der SPD für eine strikte Trennung von Staat und Religion stritten.
"Stimmt eigentlich die Gleichung, dass weniger Kirche auch mehr Freiheit bedeutet und dass der Laizismus die angemessene Antwort auf die gewachsene moralische und religiöse Vielfalt in unserem Land und in Europa ist?", fragt die Katholikin, um selbst zu antworten: Länder mit Staatskirchen, etwa die skandinavischen, bewiesen das Gegenteil. An der ehemaligen Sowjetunion hingegen habe sich erwiesen, dass auch säkulare Staaten undemokratisch sein könnten. "Ein Interessensausgleich, der unterschiedlichen Gruppen angemessene Rechte garantiert und dem Individuum Freiheit zur Entfaltung lässt, wird nur gelingen, wenn nicht nur ‚weltanschaulich imprägnierte Überzeugungen‘ (Habermas) aufeinandertreffen, sondern alle Seiten ihre Vorstellungen einbringen", ist Nahles überzeugt. (pro)