Bei jedem einzelnen Kirchenaustritt solle künftig geprüft werden, ob auch eine "Abkehr vom Glauben" vorliegt, sagte der Kirchenrechtler Thomas Schüller dem Südwestrundfunk (SWR). Sei dies nicht der Fall, dann könnten Gläubige nach einem Kirchenaustritt Sakramente und Dienstleistungen der Katholischen Kirche nutzen, ohne dafür Kirchensteuern zu bezahlen. Damit wird zwischen der juristischen Institution der Römisch-Katholischen Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts und der Glaubensgemeinschaft unterschieden, erklärte Schüller.
Wie die "Schwäbische Zeitung" in ihrer Onlineausgabe berichtet, hat ein ehemaliges Kirchenmitglied aus Sigmaringen eine neue Debatte um eben diese Unterscheidung entfacht. Dieter Kiene sei aus der Amtskirche ausgetreten, weil er nach eigenen Angaben ein "Problem" damit habe, dass diese "zuweilen zu hart im Umgang mit Menschen" sei. Bei seinem Kirchenaustritt berief er sich auf eine Weisung des "Päpstlichen Rates für Gesetzestexte" von 2006, wonach durch eine kirchliche Autorität geprüft werden solle, ob auch ein Glaubensabfall vorliege. Die in Deutschland geltende Koppelung von Kirchensteuern und Mitgliedschaft sei unzulässig. Nur bei einer Abkehr von der Lehre müsse auch die Exkommunikation folgen. Kiene ließ sich in der Seelsorgeeinheit Sigmaringen begutachten und fügte dem Kirchenaustritt ein Attest bei, wonach er noch immer gläubig sei. Daraufhin bekam er mitgeteilt, dass sein "modifizierter Kirchenaustritt" akzeptiert wurde – laut Dieter Kiene erstmals in Deutschland. "Das könnte zur Folge haben", so Kiene, "dass zahllose Fälle von Exkommunikation im Nachhinein als Einzelfälle überprüft werden müssen".
Der Leiter der Seelsorgeeinheit Sigmaringen, Pfarrer Karl-Heinz Berger, erklärte gegenüber der "Schwäbischen Zeitung": "Was ein "modifizierter Kirchenaustritt" ist, bedarf noch der Klärung durch die Deutsche Bischofskonferenz und die päpstlichen Stellen". Sie müssen sich nun auf ein einheitliches Vorgehen verständigen.
Rechtsstreit durch mehrere Instanzen
2007 versuchte bereits der Kirchenrechtler Hartmut Zapp, die Institution Kirche zu verlassen, aber Teil der Glaubensgemeinschaft zu bleiben. Der Fall sorgte in den Medien bundesweit für Aufsehen. Die Katholische Kirche klagte vor dem Verwaltungsgericht Freiburg gegen diese ungewöhnliche Form des Kirchenaustritts und verlor 2009. Die Kirche ging in Berufung und gewann im Mai 2010 vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim. Zapps Beschwerde darüber beschäftigt laut "Schwäbischer Zeitung" momentan noch das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.
Sollte der "modifizierte Kirchenaustritt" als Modell Schule machen, drohen der Kirche sinkende Einnahmen: 70 Prozent ihres Einkommens bringt sie durch Kirchensteuern auf. Dieter Kiene jedenfalls ist nicht aus finanziellen Gründen ausgetreten: Wie die "Schwäbische Zeitung" berichtet, will er eine der Kirchensteuer entsprechende Summe für wohltätige Zwecke seiner Wahl spenden. (pro)