Mut zum Flagge zeigen

Nervenkrieg und saisonale patriotische Gefühle – zum Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft kramt unser Kolumnist Jürgen Mette zuallererst die Fahne raus.
Von PRO
Der Theologe Jürgen Mette leitete viele Jahre die Stiftung Marburger Medien. 2013 veröffentlichte er das Buch „Alles außer Mikado – Leben trotz Parkinson“, das es auf die Spiegel-Bestsellerliste schaffte.

„Schatz, wo ist unsere Deutschlandfahne?“ So nerve ich meine Frau, denn am Sonntag geht’s mit Deutschland gegen Mexiko los. Wir brauchen das gute Stück ja so selten. Eigentlich nur zur EM oder WM. Keiner würde auf die Idee kommen, am Tag der Deutschen Einheit die Flagge im Vorgarten zu hissen. Zu groß ist die Angst vor dem Verdacht der Deutschtümelei. Während Bayerns Herrgottsschnitzer mit der freistaatlich verordneten Kreuzpflicht Hochkonjunktur haben, ziert sich der Rest unseres Vater/Mutterlandes eigentümlich verklemmt, das deutsche Symbol raus zu hängen.

Aber alle zwei Jahre trauen sich die Deutschen, Deutsche zu sein, Flagge zu zeigen, so etwas wie emotional gebremsten Stolz kontrolliert auszuleben. Es gäbe ja 1.000 Gründe, sich seiner Heimat und Geschichte zu schämen, aber ich lasse mir nicht nehmen, dankbar für meine Heimat zu sein und auch ein wenig stolz auf Jogi Löw und unser Team, egal wie das Turnier ausgeht. Die Liebe zur Heimat und der Stolz auf den WM-Titelverteidiger ist ein gesamtdeutsches Phänomen gegen den Trend der Resignation. Es dauert nur vier Wochen, dann wird die freudlose Nation wieder ins Zweifeln und ins Klagen zurück fallen.

Amerikanischer Patriotismus (k)ein Vorbild

Wir haben als Familie mal eine Weile in den USA gelebt, da stand auf jedem Grundstück unserer Nachbarschaft ein Fahnenmast mit Stars & Stripes. Und unsere Jungs haben jeden Schultag mit dem Fahnenapell „Pledge of Allegiance“ begonnen und die Hand stolz zur Brust geführt. Mir war das eher peinlich, denn wir Deutschen pflegen keine Emotionen im Angesicht unserer Flagge. Aber alle zwei Jahre gibt es zwischen Oberstdorf und Sylt und Aachen und Görlitz den Ausnahmezustand nationaler Erhabenheit. Eine Fußball-EM oder -WM weckt stets nationale Gefühle. Und das, obwohl wir Christen eigentlich Fremdlinge und Ausländer auf diesem Planeten sind und unsere finale Heimat im Himmel ist.

Fußball entfesselt die im Geist der politischen Korrektheit verkümmerte und verschämt verschwiegene nationale Identität.

Ich selbst verstehe nicht viel von Fußball, aber mein ältester Sohn ist nun mal Fan von Eintracht Frankfurt – und mit ihm seine Frau und die vier Kinder. Die haben mich derart angesteckt, dass ich beim Sieg des DFB-Pokalfinales feuchte Augen bekommen habe. Meine Eltern haben uns nicht an diesen wohl deutschesten Sport herangeführt. Aber nun fange ich auf meine alten Tage an, mich für diesen Sport zu begeistern, während mir meine Enkel die Spielregeln nahebringen.

Aber es ist oft auch der reinste Nervenkrieg, das Zittern um jeden Sieg auf dem Weg ins Endspiel. Ein derartiges Mitleiden und Mitbangen, das Erleben von Schocksekunden und den Jubel, den Zorn und die Zärtlichkeit, dieses Turnier wird auch den griesgrämigsten Sportabstinenzler nicht unberührt lassen.

Mögen die Besten gewinnen. Vielleicht kommen wir doch ins Endspiel. Dann sitzt vielleicht unsere Kanzlerin neben Putin auf der Ehrentribüne und hat ein gepflegtes Kästchen Radeberger-Pils für Wladimir dabei. Das wäre ein hoffnungsvolles Signal zur Entspannung der strapazierten Beziehungen.

„Fair play“ wünscht Jürgen Mette.

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