In der syrischen Stadt Kobanê bekennen sich immer mehr Menschen zum Christentum. Das berichtet die israelische Tageszeitung Ha’aretz. Die Stadt an der Grenze zur Türkei war im September 2014 von der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) angegriffen und belagert worden. In dem Gebiet Rojava leben vornehmlich Kurden. Die Stadt Kobanê gilt seit Februar 2015 als vom IS befreit. Die Erfahrungen des Krieges haben viele Bewohner der Stadt dazu veranlasst, sich dem Christum zuzuwenden, berichtet die Tageszeitung am Dienstag.
Als einen Grund für die Hinwendung zum Christentum nennt Ha’aretz den Umstand, dass der IS seine Aktionen mit dem Islam gerechtfertigt habe. Jetzt entstehe in der Stadt eine Gemeinde syrischer Christen. Die Zahl der Konvertiten vom Islam zum Christentum wachse. Nachdem mehrere Familien zum Christentum übergetreten waren, sei im vergangenen Jahr an der syrisch-türkischen Grenze die erste evangelische Kirche eröffnet worden, berichtet die Zeitung. Christen sind in der Region in der Minderheit und wurden vom IS verfolgt. Nach Angaben der Zeitung sind tausende Christen aus der Region in den Libanon und nach Europa geflohen.
Misstrauen gegen Christen
Allerdings würden die Konvertiten von Kritikern mit Misstrauen beobachtet und beschuldigt, persönliche Vorteile zu suchen. Den Christen wird vorgeworfen, dass sie vor allem finanzielle Unterstützung christlicher Organisationen suchten, sowie Arbeitsplätze und bessere Aussichten für die Ausreise nach Europa. „Nach dem Krieg mit dem Islamischen Staat suchten die Menschen nach dem richtigen Weg und distanzierten sich vom Islam“, erklärte Omar Firas, der Gründer der evangelischen Kirche von Kobanê, gegenüber der Zeitung. Die Menschen hätten Angst gehabt und sich verloren gefühlt. Nach Ha’aretz-Angaben werfen Kritiker christlichen Hilfsorganisationen vor, „Chaos und Trauma des Krieges“ ausgenutzt zu haben, um Menschen zum Glaubenswechsel zu bewegen.
Nach Einschätzung der christlichen Hilfsorganisation Open Doors sehen sich Christen in Syrien mit einer unsicheren Zukunft konfrontiert. „Nur wenige der aus Syrien geflohenen Menschen sind zurückgekehrt“, erklärt Ado Greve auf Anfrage von pro. Aus dem benachbarten Jordanien, das mehr als 1 Million syrische Flüchtlinge aufgenommen habe, seien in den fünf Monaten seit der Eröffnung eines wichtigen Grenzübergangs zwischen den Ländern nur wenige tausend Menschen in ihre Heimat zurückgekehrt. Diejenigen, die sich zur Rückkehr entschieden hätten, stellten fest, dass die Verfolgung immer noch da sei. „Sie verschwinden im Gefängnissystem oder werden in die Armee eingezogen“, sagt Greve.
Syrien: Exodus der Jugend
Vor 2011 stellten nach Angaben von Open Doors syrische Christen etwa 8 bis 10 Prozent der rund 22 Millionen Einwohner des Landes. „Rund 80 Prozent dieser Christen haben das Land verlassen“, sagt Greve und berichtet von Pastor Abdallah, einem Vater von zwei Kindern, der im Land geblieben sei und eine Kirche in Aleppo leite. Viele aus der Gemeinde seien dem Beispiel des Pastors gefolgt und hätten das Land nicht verlassen. Drei Kirchenmitglieder wurden demnach wegen ihres Glaubens entführt. Von vielen entführten Christen fehle noch immer jede Spur. „Der Exodus der Jugend hat ein Loch in der sozialen Infrastruktur hinterlassen, aber auch in den Kirchen“, erklärt Greve. „Die Christen in Syrien brauchen unser Gebet, auch um von den vielen gewaltbeladenen und traumatischen Erfahrungen geheilt zu werden.“
Von: Norbert Schäfer