Die Leiche liegt im Schlafzimmer, der Tod kam überraschend. Ermittler der Kripo begutachten den Ort des Geschehens, Tatortspezialisten sichern mögliche Beweise. War es Mord? Eine typische Szene in einem TV-Krimi: Ein ungeklärter Todesfall, die Polizei ermittelt, im Laufe der Geschichte tauchen mögliche Verdächtige und Zeugen auf, am Ende steht die Lösung des Falls. Im Fokus: Die Ermittler mit ihrem Team, und je nach Erzählstil auch die möglichen Täter.
Doch wer kümmert sich eigentlich um die Angehörigen der Verstorbenen? Wer steht ihnen bei, wenn plötzlich Mutter, Vater oder der Partner tot ist?
Im Film wird oft ausgeblendet, dass Polizisten beim Überbringen einer Todesnachricht von Notfallseelsorgern begleitet werden können. Dabei ist die Perspektive der Angehörigen alles andere als unbedeutend: Sie befinden sich nicht selten im Schockzustand und ihr Leben steht auf einmal Kopf.
Im echten Leben können Beamte einen Notfallseelsorger zur Unterstützung mitnehmen. Das sei aber keine Pflicht, sagt Holger Clas, Erster Kriminalhauptkommissar bei der Polizei Hamburg. In seiner Funktion als Erster Vorsitzender der Christlichen Polizeivereinigung erklärt er, wie die Hamburger Polizei das handhabt. Beim Überbringen von Todesnachrichten seien die Beamten immer zu zweit und mindestens im Gehobenen Dienst tätig. Einen Seelsorger mitzunehmen, sei seiner Erfahrung nach zwar nicht der Regelfall. Außer man wisse im Vorfeld, dass man den Angehörigen mit der Nachricht nicht allein lassen kann. Immer gebe es aber die Möglichkeit, einen Notfallseelsorger nachzufordern. „Man merkt das, wenn jemand nicht damit umgehen kann. Dann bleiben wir als Polizei so lange vor Ort, bis sich die Person einigermaßen gefangen hat. Aber man kann auch einen Notfallseelsorger hinzuziehen, an den man die Situation übergibt“, sagt Clas.
Ulrich Briesewitz ist Landespolizeipfarrer bei der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck und Beauftragter für die Polizei- und Notfallseelsorge. Er fährt selbst als Notfallseelsorger zu Einsätzen, unterrichtet aber auch Polizeistudierende an der Hessischen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit im Fach Berufsethik.
Mit Angehörigen Zeit verbringen
Denen empfiehlt er, beim Überbringen einer Todesnachricht direkt einen Notfallseelsorger mitzunehmen. Auch wenn das keine Pflicht sei, sei es gang und gäbe und ein bedeutender Teil seiner Arbeit als Notfallseelsorger. Je nach Region sei es unterschiedlich, ob dies ein Pfarrer oder ehrenamtlicher Notfallseelsorger übernehme oder Beschäftigte von Kriseninterventionsteams.
Der Ablauf ist immer gleich: Zwei Notfallseelsorger einer Region haben Rufbereitschaft. Alarmiert werden sie, nachdem Polizei, Feuerwehr oder Notarzt sie angefordert hat. Mit einem Notfallseelsorger aufzutreten, sei für die Polizisten enorm hilfreich. Die Rollenverteilung sei gut abgesprochen: Das Überbringen der Nachricht sei die hoheitliche Aufgabe der Polizei. Der Seelsorger könne dann als Begleiter und Beistand für die Betroffenen dienen. Aufgabe der Notfallseelsorger sei es auch, im Zweifel weitere Angehörige oder Unterstützer dazuzuholen. „Wir bringen Zeit mit, damit die Menschen die Nachricht ansatzweise annehmen und realisieren können, was passiert ist“, sagt Briesewitz.
Er fände es hilfreich, dies auch im Film zu sehen. Auch, um die Notfallseelsorge selbst besser zu verstehen. „In der öffentlichen Wahrnehmung ist sie immer bei großen Katastrophen im Einsatz, wie im Ahrtal oder bei schlimmen Verkehrsunfällen.“ Allerdings seien 80 Prozent der Einsätze bei Menschen im innerhäuslichen Bereich nach plötzlichen Todesfällen.
„Man kriegt im Fernsehen eine Vielzahl von Mord und Totschlag serviert“, sagt Holger Clas. Er kritisiert, dass dabei oft komplett ausgeblendet wird, was solche Ereignisse mit der Psyche der Angehörigen oder auch der Einsatzkräfte machen. Die weiche Seite eines Einsatzes finde in Krimis kaum statt. „Vieles entspricht der Vorstellung der Zuschauer und ist nicht mit der Wirklichkeit der Polizeiarbeit kompatibel“, sagt Clas.
Für „weiche“ Charaktere fehlt das Geld
Drehbuchautor Fred Breinersdorfer sieht einen Grund für fehlende Notfallseelsorger in Krimis oft im eng bemessenen Budget der TV-Produktionen. „Der Notfallseelsorger wäre ja eine zusätzliche Rolle, die Geld kostet. Und mit einem Statisten ist sie inadäquat besetzt.“ Auch wolle man sich oft nicht mit den Hinterbliebenen und ihrer Trauer aufhalten, sondern die Geschichte der Ermittlung weitererzählen, die ja meist im Vordergrund stehe. „Ich selbst kritisiere das aber, weil es im normalen Leben ja völlig anders ist“, sagt er.
Breinersdorfer schrieb Drehbücher für über 20 „Tatorte“, außerdem das Drehbuch für den Film „Honecker und der Pastor“, und er ist Autor der ZDF-Krimireihe um Kommissar Ingo Thiel. In der Folge „Ein Kind wird gesucht“ allerdings spielt das freikirchliche Milieu eine Rolle. Der Film basiert auf dem Mordfall „Mirco“ aus dem Jahr 2010. „Dort konnten wir die Trost spendende, stabilisierende Funktion der Kirche für Verbrechensopfer zeigen“, sagt Breinersdorfer.
Aber meistens sei kein Raum für die Schilderung von Trauer und Trauerarbeit. „Ich würde begrüßen, wenn diese Themen öfter Bestandteil von Krimis würden, unser Fernsehen leidet darunter, dass nicht viel Mut da ist, Neues zu entwickeln“, bemängelt der Autor. Ein Notfallseelsorger verlangsame den Erzählfluss, für solche weichen Charaktere brauche man Ruhe und Raum.
Aber auch die Quoten spielen eine Rolle. In schwierigen Zeiten wie heute wolle das Publikum zudem nicht mit Trauer konfrontiert werden, sagt Breinersdorfer. Sei aber zum Beispiel in einem „Tatort“ ein Ermittlerteam zusammen mit einem Seelsorger erfolgreich, würde es so eine Rolle vielleicht öfter geben. Dazu müsse aber jemand „den Mut haben, so eine Figur neben den traditionellen Ermittlern – und nicht als Verdächtiger – ins Zentrum des Films zu rücken“. Ihm selbst würden solche Rollen oft aus den Drehbüchern gestrichen. Breinersdorfer fürchtet, solche Rollen würden aus den Drehbüchern gestrichen. Es käme dennoch auf einen Versuch an. Was am Ende produziert wird, entscheidet aber die Redaktion.
In den USA achtet man mehr auf Authentizität, so Breinersdorfer. Die Drehbuchautoren amerikanischer Krimiserien analysierten sehr genau auch die Milieus und Figurenensembles. Das habe er vor kurzem bei einem Besuch in Los Angeles selbst erfahren können, sagt der Drehbuchautor. Beim Thema Notfallseelsorger es auch in Deutschland helfen, Mordfälle authentischer zu erzählen. „Wahrscheinlich weiß kaum einer von uns genau, wie ein Notfallseelsorger ausgebildet wird oder arbeitet.“ Eigentlich sei das moderne Fernsehen ein gutes Medium, den Zuschauern diesen wichtigen Beruf näherzubringen.
Der Artikel erschien zuerst in Ausgabe 06/2023 von „PRO – das christliche Medienmagazin“. Hier können Sie die Ausgabe kostenlos bestellen.