Die digitale Welt vernetzt sich immer mehr. Die Marketingexperten der Spielwarenindustrie haben die Kinder schon lange für sich entdeckt. Spielsachen enthalten wie selbstverständlich W-LAN. Und auch in den Kindergärten sind die technischen Geräte angekommen. Politiker und Pädagogen diskutieren darüber. Eine der zentralen Fragen ist: Wie viel Digitalisierung ist im frühen Bildungssystem wichtig und richtig?
Eva Reichert-Garschhammer, Institutsleiterin am Staatsinstitut für Frühpädagogik in München, sieht vor allem die Chancen der Digitalisierung. Sie plädiert für einen frühen verantwortungsvollen Umgang mit dieser Technologie. Immerhin sei die digitale Bildung neben Lesen, Schreiben und Rechnen als vierte Kulturtechnik anerkannt. Frühe digitale Bildung könne Menschen integrieren, die sonst schwieriger an Bildung teilhaben.
Helfen, die digitale Kluft zu überwinden
Flüchtlingskindern etwa könnten mehrsprachige Apps die Kommunikation erleichtern. Bestimmte computergestützte Technologien ermöglichen eine Kommunikation mit behinderten Menschen, die sich sonst nicht oder nicht mehr artikulieren können. Für Reichert-Garschhammer könnte dies gerade bei diesen Personengruppen dabei helfen, die digitale Kluft zu überwinden, und für höhere Chancengerechtigkeit zu sorgen: „Es wäre schön, wenn die Kita ein erster professioneller Bildungsort wäre, der auch Familien mit formal niedriger Bildung erreicht.“
Allerdings gibt es auch Gegenwind für eine „digitalisierte Kita“. Vor allem der Psychiater und Autor Manfred Spitzer („Digitale Demenz“) gehört zu den Kritikern des frühen Medienkonsums. Er hat gemeinsam mit anderen eine Petition gestartet, die den „Entwicklungsraum Kindheit“ vor digitalen Einflüssen schützen möchte. Die Kinder lernten Geschicklichkeit, Laufen, Sprechen und Denken am besten durch eigene Aktivitäten und im direkten Kontakt mit anderen. „Alles, was ein Mensch tut, und vor allem wie eigenständig er es tut, aktiviert das Gehirn und entwickelt es täglich weiter“, heißt es in der Petition. Zu früher Konsum könne zu Sprachstörungen und schlechteren Noten im Lesen und Schreiben führen. Zudem fehlten wissenschaftlich belastbare Erkenntnisse, die den Nutzen frühen Medienkonsums belegen können.
Kinder im Netz begleiten
Das Wissen und die Informationen des Internets dürfe man der nachkommenden Generation nicht verschließen, betont Reichert-Garschhammer. Jedoch müssten Erwachsene die Kinder dabei begleiten: „Kinder brauchen jemand, mit dem sie das Erlebte gemeinsam verarbeiten.“ Wichtig seien zudem klare Zeitvorgaben mit maximal zwei bis drei Stunden in der Woche. Und: „Download ist immer Erwachsenen-Sache.“
Die Universität Mainz begleitet Einrichtungen, die digitale Medien in ihre Pädagogik einführen, mit dem Programm „KitAb Rheinland-Pfalz“ wissenschaftlich. Sie möchten medienpädagogische Basis-Kompetenzen zu vermitteln und prüfen, wie Eltern und Erziehern eine sinnvolle Medienerziehung gelingen kann. Ergebnisse stehen noch aus, denn die Initiative steckt in den Kinderschuhen. Deutlich wird aber: Bevor Tablet-Computer zum Einsatz kommen, sind wichtige Fragen zu klären: Was sind geeignete Apps für Kinder? Wie können Kinder ihren Umgang mit Medien verarbeiten? Wie können sie davon profitieren? Wie werden die technischen Geräte in der Einrichtung finanziert?
Ein weiteres Vorzeige-Projekt gibt es in der Schweiz. „My Pad“ hat das Ziel, maßgeschneiderte pädagogische und technische Beratungen zum Einsatz von Tablets zu entwickeln. Sie schulen Erzieher und Lehrer, die die Tablets dann didaktisch passend einsetzen können. Davon waren auch Pädagogen in Kindertagesstätten so angetan, dass es mittlerweile auch dort oft umgesetzt wird. Auch hier geht es darum, das Tablet als Lernwerkzeug zu nutzen. Ursprünglich für Schüler entwickelt, sollen auch Kindergartenkinder von einem didaktisch sinn- und wertvollen Einsatz der Tablets profitieren.
Sinnvolle Nutzung erweitert pädagogische Gestaltungsmöglichkeiten
Der ergänzende Charakter digitaler Medien ist Reichert-Garschhammer wichtig: „Wenn es sinnvoll genutzt wird, erweitert es die pädagogischen Gestaltungsmöglichkeiten und damit die Lebensräume der Kinder.“ Die Wald-App solle nicht den Waldspaziergang ersetzen. Das Tablet könne aber helfen, in der Natur Tierstimmen aufzunehmen und Pflanzen zu bestimmen. Die Kinder sollten mindestens zwei Jahre alt sein, um wirklich einen Nutzen davon haben zu können.
Auch Kirsten Bresch vom Landesmedienzentrum Baden-Württemberg hat ganz praktische Ideen mitgebracht. In Ich-Büchern können die Kinder ihre Erlebnisse in der Kita dokumentieren. Dadurch lernten sie den spielerischen Umgang mit der Kamera und könnten kreativ ihre individuellen Eigenschaften und Merkmale entdecken und darstellen. Es biete sich aber auch eine Geräusche-Safari durch die Einrichtung an. Mit dem Tablet nehmen die Erzieherinnen typische Geräusche auf, die die Kinder in der Einrichtung hören. Die Kinder müssen diese dann an verschiedenen Stationen suchen.
In der Praxis hat Bresch noch zwei weitere Dinge beobachtet: „Die Kinder haben sich im Umgang mit dem Tablet enorm viel gegenseitig geholfen. Zudem haben sie die vorgegebenen Tablet-Zeiten nie überschritten.“ Die Angst, dass die Kinder auch in der Kita nur noch vor dem Computer sitzen, teilt auch Reichert-Garschhammer vom Staatsinstitut für Frühpädagogik nicht. Im Gegenteil: „Sie merken, wie sie das Potenzial von Tablets und Apps auch zu Hause nutzen können. Das ist für die Familie eine Herausforderung, kann sie aber auch als Bildungsort stärken.“
Technik allein schafft keine Pädagogik
Für die Kindertagesstätten bedeuten Tablet und Co., dass sie die Art, zu lernen, Wissen anzueignen und weiterzugeben, verändern müssen. Reichert-Garschhammer ermutigt die Kitas und Schulen zu einem dosierten und kreativen Einsatz. Sie warnt aber auch: „Technik allein schafft noch keine Pädagogik!“ Die Pädagogen bräuchten gute digitale und medienpädagogische Kompetenzen. „Außerdem sind klare Spielregeln – auch für die Erzieher – wichtig.“
Martina Groß, Religionspädagogin an der Stiftungsfachhochule München-Benediktbeuern, sieht in der technischen Entwicklung auch Möglichkeiten für die religiöse Bildung. Schuld, Vergebung und Liebe seien zentrale Themen, die spielerisch mit Videos umgesetzt werden könnten. Aber sie macht auch klar, dass die digitale Bildung nicht das Erzählen von biblischen Geschichten ersetze: „Wir müssen erst den Nährboden schaffen, dann können die digitalen Medien eine gute Ergänzung sein.“
Was Kinder mit digitalen Medien alles lernen können, listet Kirsten Bresch alles auf: Sie erlangen Wissen, lernen es, technische Geräte sachgemäß zu bedienen, sie finden Ideen, stellen Pläne auf, treffen Absprachen, gehen Kompromisse ein, übernehmen Aufgaben und präsentieren Ergebnisse. „Das sind greifbare Lernspuren, die sie in den Entwicklungstagebüchern und Portfolios der Kinder aufnehmen können“, sagt sie. Kinder lernten Fähigkeiten, die auch in den staatlichen Bildung- und Orientierungsplänen vorgesehen sind. „Es wäre schon grob fahrlässig, wenn man dies nicht unterstützen würde.“ (pro)
Die vollständige Geschichte können Sie in der Ausgabe 2/2017 des Christlichen Medienmagazins pro nachlesen. Bestellen Sie pro kostenlos und unverbindlich online, unter der Telefonnummer 06441/915 151 oder per E-Mail an info@kep.de.
Von: jw