Morgens um 10 Uhr. Ein Kino in Berlin-Charlottenburg. Es läuft: ein Film über den Krebstod eines Internetstars mit nur 23 Jahren. Kein positiver Start in den Tag könnte man meinen. Doch es kommt anders. Denn „Leben ist jetzt“ ist mitnichten ein Drama über Krankheit und das Ende des Lebens, Abschied und Schmerz. Obwohl im Mittelpunkt der 2021 verstorbene Philipp Mickenbecker steht, erzählt dieser Film vor allem von der Zuversicht und vom Glück.
Dabei legen die Macher eine Vehemenz an den Tag, dass es dem ein oder anderen aufgesetzt erscheinen mag. Allein, wer die Geschehnisse um die drei Mickenbecker-Geschwister verfolgt hat, ahnt: So war es wirklich. Diese Hoffnung ist echt. Ebenso wie die bewegende Geschichte der Familie.
Die Zwillinge Johannes und Philipp Mickenbecker (Anton und Richard Fuchs) lieben Abenteuer und haben ein Problem mit Autorität. Deshalb sind sie bereits mehrmals von der Schule geflogen, Mutter Renate (Victoria Mayer) unterrichtete sie zeitweise sogar zu Hause. Auch Schwester Elli (Kya-Celina Barucki) kommt nach den Brüdern, liebt das Abenteuer, Flugzeuge und schnelle Fahrzeuge. Zu Hause hingegen geht es ruhiger zu. Während Vater Thomas (Alexander Hörbe) am liebsten in der Garage schraubt, legt Renate Wert auf Tischgebete und ihre Kirche. Umso herausfordernder ist für sie der Freiheitsdrang ihrer Kinder. „Hilf uns, unsere Jungs als Prüfung zu sehen“, betet sie einmal.
High-Speed-Bobbycars und selbstgebaute U-Boote
Eine einleuchtende Bitte, denn vor allem Johannes und Philipp lassen keine Chance aus, die Lehrer zu verärgern und interessieren sich weit mehr für ihre verrückten Erfindungen als für die Schule. Auf dem Grundstück der Mickenbeckers und im angrenzenden Wald entstehen so die wildesten Konstruktionen: Eine fliegende Badewanne. Ein selbstgebautes U-Boot. Raketenbetriebene High-Speed-Bobbycars. Oder eine meterlange und gefährlich steile Wasserrutsche. Das alles ist wirklich geschehen und auf dem Youtube-Kanal der „Real Life Guys“ nachzuschauen. Die Videos erreichten Millionen. Wie als Beweis sind die Originalaufnahmen immer wieder auch in den Film hineingeschnitten worden.
Das Leben der Mickenbeckers ist wild und glücklich – doch dabei bleibt es nicht. Philipp erhält eine Krebsdiagnose. Ein Tumor wächst in seiner Brust. Er wird mit einer Chemotherapie behandelt, eine Operation rettet ihm das Leben – vorerst. Denn der Tumor wird zurückkommen. Und dieses Mal unterzieht er sich keiner aufwändigen Behandlung. Nie wieder, so hat er es mit seinem Bruder bereits bei seiner ersten Chemo abgesprochen, will er im Krankenhaus eingesperrt sein. Er will sein Leben leben, auch wenn es kurz sein mag.
Krebs und ein Flugzeugabsturz
Das bleibt nicht der einzige Schicksalsschlag im Hause Mickenbecker. Bei einer Flugstunde von Schwester Elli kommt es zu einem schweren Unfall. Die Maschine stürzt über einem Feld ab. Niemand überlebt. Auch wenn das für Kinobesucher schrecklich konstruiert erscheinen mag: Auch das ist wirklich geschehen. Es ist eine Stärke dieses Films, dass er sich weitgehend an die wahren Begebenheiten hält, kaum etwas dazudichtet. Und zugleich ist die Geschichte kaum zu glauben, obwohl sie genau so passiert ist.
Nicht nur Ellis Tod, auch seine Erkrankung bringen Philipp dazu, neu über das Leben und den Tod nachzudenken. Er liest in der Bibel, betet, bittet Gott um ein Zeichen – und erhält es. Obwohl sein Leben von Minute zu Minute schwieriger zu werden scheint, wirkt er im Verlauf des Films ruhiger und ruhiger. Fast schon zufrieden. Sein Credo: Der Tod ist nicht das Ende. Elli ist nicht weg. Und ich werde es auch nicht sein.
Es ist diese Zufriedenheit im Angesicht des Schreckens, die für viele Kinobesucher herausfordernd sein wird. Kann das wahr sein? Ist es nicht geradezu zynisch, lächelnd durchs Leben zu gehen, wenn die ganze Welt zusammenzubrechen scheint? Diese Fragen muss sich der Film gefallen lassen. Und doch haben die Regisseure Stefan Westerwelle und Maria-Anna Westholzer nicht mehr getan, als sich an die Originalgeschichte zu halten. Denn wer die letzten Youtube-Videos des echten Philipp Mickenbecker gesehen hat, der konnte genau das beobachtet: Ein junger Mann, zu jung zum Sterben, und doch beseelt vom Glauben und ohne besitzergreifende Angst vor dem, was kommen mag.
Ist das beschönigend oder ermutigend?
So ist „Leben ist jetzt“, der am 16. Januar anläuft, in vielerlei Weise besonders. Der von Paramount produzierte Film stellt das Abenteuer und auch den Glauben in den Mittelpunkt. Philipps Tod bekommt der Zuschauer nicht zu sehen. In geradezu atemberaubender Geschwindigkeit erzählen die Macher stattdessen die Geschichte zweier Brüder, die mit viel Mut und Tatendrang Großes erreicht und Hunderttausende inspiriert haben.
Das ist schön. Und das ist leicht. Zu kitschig, um wahr zu sein. Geradezu beschönigend, mag der ein oder andere denken, angesichts der Dramatik der wahren Begebenheiten. Darf man den Tod behandeln, als wäre er eine zu vernachlässigende und nervige Begleiterscheinung des Lebens? Können wir es aushalten, wenn Philipp ihm im Film lächelnd entgegengeht?
Im wahren Leben hat er das getan, noch am Tag seines Todes in einem Video aus seinem Krankenbett. Auch davon waren Tausende bei Youtube Zeugen. Warum also, sollte ein Film über sein Leben das nicht auch wagen? Und mutig auf eine Hoffnung hinweisen, die größer ist als der Tod?