Kommentar

Diese Tat wird den Wahlkampf verändern

Ein ausreisepflichtiger Asylbewerber ersticht in Aschaffenburg ein Kind und einen Erwachsenen. Diese Tat verändert den Wahlkampf und wird zu einer härteren Linie in der Asylpolitik führen. Doch das kann nur einen Teil der Probleme lösen.
Von Jonathan Steinert
Kerzen und Kuscheltiere am Ort der Tat in Aschaffenburg

Der tödliche Messerangriff auf eine Kita-Gruppe in Aschaffenburg erschüttert die Republik. Nicht nur, dass hier zwei Menschenleben zu beklagen sind: das eines Zweijährigen und das eines engagierten Passanten. Der mutmaßliche Täter ging – offenbar gezielt – auf Kinder los, auf besonders Wehrlose und Schutzbedürftige. Das ist schwer zu ertragen. Womöglich werden manche Eltern am nächsten Tag ihre Kinder mit einem flauen Gefühl in die Kita gebracht haben.

Dazu kommt der Eindruck, ohnmächtig zu sein gegen solche Angriffe, und der Frust, dass es der Staat offenbar auch ist. Selbst Kanzler Scholz sagte, er sei es leid, „wenn sich alle paar Wochen solche Gewalttaten bei uns zutragen“.

Es stellte sich heraus, dass der Täter ohne gültige Papiere hier einreiste, kein Asyl bekam und schon seit Langem hätte ausreisen müssen. Und dass er den Behörden als Straftäter und psychisch Erkrankter Mann bekannt war. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann und die Bundesregierung schieben sich nun gegenseitig die Schuld zu, wessen Behörde versagt hat. Und Kanzler Scholz schießt gegen die Union, sie habe Gesetze der Ampel-Koalition zur inneren Sicherheit im Bundesrat aus parteitaktischen Gründen blockiert.

CDU geht „all in“

Auf jeden Fall wird die Tat den Wahlkampf und somit auch die zukünftigen politischen Weichenstellungen beeinflussen. Vor allem die CDU und Friedrich Merz, der im Moment die besten Aussichten aufs Kanzleramt hat, verschärfen den Ton und die Forderungen in der Migrationspolitik. Nur einen Tag nach dem Angriff stellte Merz am Vormittag einen Fünf-Punkte-Plan vor mit Einreisestopp für Menschen, die keine gültigen Papiere haben, Kontrollen an allen Grenzen, strengerer Abschiebehaft, täglichen Rückführungen. Ihm sei „völlig egal, wer diesen Weg mitgeht“.

Die CDU-Spitze plant zudem, mit der Bundestagsfraktion Anträge zur Migrations- und Flüchtlingspolitik einzubringen ohne Rücksicht darauf, wer die Anträge mit unterstützt. Das dürfte wohl heißen, dass die Union für ihre Pläne auch die Zustimmung von AfD-Abgeordneten in Kauf nimmt. Deren Kanzlerkandidatin Alice Weidel schrieb Merz dann auch einen offenen Brief und forderte ihn auf, Beschlüsse zu dem Thema gemeinsam umzusetzen. Merz habe sich die Vorschläge der AfD-Fraktion „offenkundig zu eigen gemacht“.

Wenige Tage zuvor positionierte sich Merz noch als klare konservative Alternative zur AfD und forderte Weidel zum TV-Duell auf. Niemals werde er mit der AfD zusammenarbeiten, schließlich sei es deren Ziel, die Union zu vernichten.

Die Forderungen von Merz könnten in möglichen Koalitionsverhandlungen nach der Wahl eine große Hürde sein. Es ist fraglich, ob SPD oder, noch fraglicher, die Grünen diese Punkte mittragen würden. Aber dahinter zurück kann Merz nicht, ohne an Glaubwürdigkeit einzubüßen. Schließlich sagte er, dass es an der Stelle keine Kompromisse gebe. Dasselbe Problem hat er mit seiner Festlegung in Bezug auf die AfD. Am ehesten dürfte sich die FDP den Forderungen anschließen, doch ob sie es in den Bundestag und dann in eine Koalition schafft, ist momentan ungewiss.

Der Druck in der Migrationspolitik wächst für alle Parteien, daher hat Merz gute Karten. Es ist mehr als offensichtlich, dass es effizientere und effektivere Regeln und Verfahren braucht als bisher. Der Staat darf sich nicht länger die Blöße geben, im Umgang mit Asyl und Migration selbst als ohnmächtig wahrgenommen zu werden. Sonst nutzen einzelne Menschen seine Trägheit aus – und viele andere verlieren mehr und mehr das Zutrauen in politisch Verantwortliche und staatliche Institutionen.

Es braucht mehr als Geld und Obdach

Freilich können Grenzkontrollen, Abschiebehaft und Rückführungen nur ein Teil der Lösung sein. Denn sie ändern erst einmal nichts daran, dass ein nach Deutschland geflüchteter Mensch psychisch krank sein kann, wie im Fall des Täters von Aschaffenburg und anderen. Das darf nicht zu der Annahme verleiten, psychisch Erkrankte sind potentielle Gewalttäter. Das Risiko ist geringer als zum Beispiel bei alkoholisierten Menschen. Zumal geklärt werden muss, wie genau die Krankheit mit der Tat in Zusammenhang stand. Gerade deshalb darf dieser Umstand auch nicht als Feigenblatt dafür dienen, über die offenen Flanken der Asylpolitik hinwegzusehen.

Aber er offenbart einen Aspekt, der in der Debatte viel zu kurz kommt: Menschen, die hier Asyl suchen, kommen nicht nur wegen einer gravierenden Notlage hierher. Sie bringen oft genug auch eine persönliche Not mit – Erfahrungen von Gewalt, Misshandlung, Erniedrigung, Angst, Traumata. Die Herausforderungen, die ein Neuanfang in einem fremden Land ohnehin mit sich bringt, sind eher nicht geeignet, diese Dinge aufzuarbeiten. Was es noch schwerer macht, irgendwo anzukommen.

Der Bedarf an Hilfe dürfte für viele Menschen weit über Geld und Obdach hinaus gehen. Psychiater beklagen zum Beispiel, dass es viel zu wenig Kapazitäten gebe, um traumatisierte Geflüchtete ausreichend zu betreuen. Eine Asylpolitik, die die Menschenwürde ernst nimmt, sollte dem im eigenen Interesse Rechnung tragen und dazu ebenso Lösungsvorschläge machen. Damit sich Menschen hier integrieren können, braucht der Staat die Unterstützung oder zumindest die Akzeptanz der Zivilgesellschaft. Die wird er aber nur bekommen, wenn er zeigt, dass er grundsätzlich handlungsfähig ist, und weiß, wo seine Grenzen liegen.

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