"Die Toleranz ist ihr eigener Totengräber, wenn sie nicht vor Intoleranz schützt", sagte Merkel bei der Preisverleihung während des Potsdamer Medienforums M100. Damit verteidigte sie den Preisträger und Karikaturisten Kurt Westergaard. Im Jahr 2005 hatte er den im Islam als Propheten verehrten Mohammed unter anderem mit einer Bombe auf dem Kopf gezeichnet. Die dänische Zeitung "Jyllands Posten" druckte seine und andere Zeichnungen ab und löste damit teilweise gewaltsame Proteste auf der ganzen Welt aus. Vor einem Jahr drang ein Somalier mit Axt und Messer bewaffnet in Westergaards Haus ein, um ihn zu töten. Das Attentat misslang. Unter dem Titel "Tyrannei des Schweigens" sind die dänischen Karikaturen nun als Buch erschienen. In Potsdam wurde Westergaard für seine unbeugsame Haltung ausgezeichnet.
Religionsfreiheit ohne Scharia
Kurt Westergaard gehe es um die Meinungs- und Pressefreiheit, sagte Merkel am Mittwoch und weiter: "Bei ihm geht es darum, ob er in einer westlichen Gesellschaft mit ihren Werten seine Mohammed-Karikaturen in einer Zeitung veröffentlichen darf, ja oder nein; egal, ob wir seine Karikaturen geschmackvoll finden oder nicht, ob wir sie für hilfreich halten oder eben nicht. Darf er das? Ja, er darf." Religionsfreiheit meine eben nicht, dass im Zweifelsfall die Scharia über dem Grundgesetz stehe. Respekt bedeute nicht Unterwerfung. "Die Arbeit eines Zeichners und die Folgen, die sie für ihn und seine Familie bis heute hat, sie sollten uns mahnen, stets sorgsam mit unseren Einordnungen umzugehen, wie hoch die Zahl von Zuschriften und die Heftigkeit einer Diskussion zu welchem Thema auch immer sein mögen."
Kritik von Muslimen und Grünen
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland kritisierte Merkel indes für die Preisverleihung. Westergaard habe alle Muslime mit Füßen getreten, seine Auszeichnung sei hochproblematisch, erklärte ein Sprecher des Gremiums laut "Deutschlandradio Kultur". Die Bundestagsfraktionschefin der Grünen, Renate Künast, erklärte: "Ich hätte es nicht gemacht." Mit ihrer Rede habe die Kanzlerin den Ton in der Islam-Debatte verschärft.
Nach Informationen der Tageszeitung "Die Welt", ist die Medienpreis-Veranstaltung in Potsdam störungsfrei verlaufen. Westergaard steht seit fünf Jahren unter Polizeischutz. Mehr als 300 Polizisten waren in der brandenburgischen Landeshauptstadt eingesetzt worden, um die Sicherheit des Preisträgers und der Gäste der Veranstaltung zu gewährleisten. In einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" erklärte Westergaard, Angela Merkel und der dänische Ministerpräsident seien bisher die einzigen beiden europäischen Staatsoberhäupter, die ihn empfangen hätten. Besonders unter Künstlern und Intellektuellen stehe er wegen seiner Zeichnungen nach wie vor in der Kritik. "Ich wünsche keinen Konflikt mit unseren muslimischen Mitbürgern, aber wenn es nun schon mal zu einem solchen Konflikt kommt, dann müssen wir unsere demokratischen Werte verteidigen, allen voran die Meinungsfreiheit", forderte er. (pro)