Menschenrechtler: Merkel soll christliche Flüchtlinge vor Muslimen schützen
Weil christliche Flüchtlinge in Unterkünften immer wieder Opfer von Gewalt und Diskriminierung werden, haben Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen einen Appell an Bundeskanzlerin Angela Merkel gerichtet. Syrische Christen warnen vor dem IS in Deutschland.
Der Berliner Pfarrer Gottfried Martens findet mit seinem Einsatz für Christen auch bei den Medien Gehör, war schon bei „Stern TV” und den „Tagesthemen”
Weil in Deutschland immer wieder Diskriminierung und Gewalt gegen christliche Flüchtlinge in Flüchtlingsunterkünften stattfindet, haben sich Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen (NGOs) mit einem Appell an Bundeskanzlerin Angela Merkel gewendet. Die Kanzlerin soll sich „dieser unerträglichen Situation von schweren Menschenrechtsverletzungen in Deutschland“ endlich widmen und „dies zur Chefsache machen“. Dafür haben sich das „Aktionskomitee für verfolgte Christen“ (AVC), die „Internationale Gesellschaft für Menschenrechte“ (IGFM), „Kirche in Not“, „Open Doors“ und der „Zentralrat Orientalischer Christen in Deutschland“ (ZOCD) zusammengetan.
Ihnen genügt es nicht, wenn die Kanzlerin das Menschenrecht der Religionsfreiheit nur im Ausland anspricht. „Wenn christliche Flüchtlinge und andere religiöse Minderheiten in Deutschland Schutz vor religiöser Verfolgung suchen und in den Erstaufnahmeeinrichtungen genauso wie in ihren islamischen Herkunftsländern diskriminiert und verfolgt werden, ohne Schutz zu erhalten, dann ist dies eine eklatante Missachtung des Rechtes auf Religionsfreiheit in Deutschland“, teilten die Organisationen am Montag in Berlin auf einer Pressekonferenz mit.
„Es sind keine Einzelfälle“
In der Gemeinde von Pfarrer Gottfried Martens in Berlin-Steglitz sind derzeit rund 1.200 Konvertiten integriert. „Wir versuchen mit der Gemeinde aufzufangen, wo der Staat versagt“, erklärte Martens auf der Pressekonferenz. Noch im vergangenen Herbst sei er mit seinen Anliegen, die christlichen Flüchtlinge in den Flüchtlingsunterkünften besser vor Übergriffen und Gewalt zu schützen, „auf Betonmauern“ gestoßen. Martens begrüßte, dass das Thema nun auf das Interesse von Politik und Medien stößt. Er erklärte, dass nach seiner Erfahrung die Probleme der jesidischen Flüchtlinge deckungsgleich mit denen von Christen sind. „Ich weiß nicht, was wir noch tun müssen, damit endlich das Paradigma des Einzelfalls aufgegeben wird“, erklärte Martens.
Laut Volker Baumann vom AVC ist die Dunkelziffer der Übergriffe gegen Christen in Flüchtlingsheimen weit größer als die offiziellen Zahlen es zeigen. Baumann rechnet mit einer Größenordung von 10.000 Übergriffen gegen Christen und andere religiöse Minderheiten. Paulus Kurt vom „Zentralrat der orientalischen Christen“ beklagte die Verunsicherung vieler christlicher Flüchtlinge, die teilweise traumatisiert hier ankämen: „Man muss die orientalischen Christen verstehen. Sie werden seit tausend Jahren verfolgt und hier muss man ihnen erklären, dass sie als Minderheit geschützt werden“. Kurt bezeichnete die Verfolgung von Christen in Syrien und dem Nahen und Mittleren Osten als „Genozid“. Auch er forderte die getrennte Unterbringung von Minderheiten in den Flüchtlingsunterkünften.
Martens appellierte daran, „nicht-muslimische Minderheiten“ getrennt in den Flüchtlingsunterkünften unterzubringen. „Wenn ein Haus brennt, reicht es nicht, über Brandschutzvorschriften zu diskutieren, sondern man muss die Menschen aus dem brennenden Haus heraus holen“, sagte er. Der Pfarrer bezeichnete die Entscheidung, Flüchtlinge zunächst für die Dauer von sechs Monaten in Erstaufnahmelagern zu belassen, als „Irrsinn“. „Ich wage sehr zu bezweifeln, dass jetzt noch orientalische Christen nach Deutschland kommen“, sagte Martens hinsichtlich neuer Regelungen und Bestimmungen.
Martens erklärte, dass Anzeigen erstattet worden seien, allerdings könnten dann die Flüchtlinge nicht zurück in die Unterkünfte. „Wir haben keine Chance, irgendetwas über Anzeigen zu erwarten. Vom Rechtsstaat erwarte ich nichts“, erklärte er. Markus Rode, Geschäftsführer von Open Doors, forderte, dass bei der Aufnahme von Flüchtlingen die Religionszugehörigkeit mit erfasst wird und jene Flüchtlinge, die Minderheiten angehören, separiert untergebracht werden und nicht weiter verfolgt werden. „Das Drama ist, dass die politisch Verantwortlichen nicht reagieren“, erklärte Rode. Das Thema dürfe nicht mit populistischen Inhalten aufgeladen werden.
Syrischer Christ: IS verbreitet Ideologie in Deutschland
Fadi S. ist seit neun Monaten in einem Flüchtlingsheim. „Ich bin vor den Islamisten geflohen und begegne ihnen hier im Flüchtlingsheim“, erklärte der syrische Christ. Den Christen in den Heimen sei nicht fremd, wer zu den Radikalen gehöre. „Im Gespräch mit einem Menschen kann man sofort erkennen, ob er friedlich leben will oder sein radikales Gedankengut verbreiten will“, erklärte er. Der Syrer zeigte sich schockiert darüber, dass hier radikale Islamisten die Ideologie des IS zu verbreiten versuchten. „Weil wir Arabisch reden, haben sie nicht sofort gemerkt, dass wir Christen sind“. Die Radikalen würden auf Facebook Namen und Bilder von Menschen veröffentlichen, die sich gegen die Ideologie des IS auflehnen.
Ramin F. aus dem Iran habe viele Probleme in der Flüchtlingsunterkunft bekommen, als er bekannt gemacht habe, dass er Christ sei. „Mein Gedanke war, dass ich nach Deutschland in ein freies Land komme und meinen Glauben frei praktizieren kann. Das ist aber leider bislang nicht so“, erklärte Ramin F. Als seine Mitbewohner erfahren hätten, dass die beiden Ex-Muslime zum Christentum konvertiert seien, hätten die Bedrohungen und Provozierungen begonnen. „Man hat unsere Sachen und unser Essen gestohlen und uns nachts nicht schlafen lassen“, sagte Ramin F., der in einem Flüchtlingsheim in Brandenburg nahe der polnischen Grenze lebt. „Sie wollen uns das Gefühl des Schutzes hier wegnehmen.“
Vorwurf: „Es wird verdrängt und verharmlost“
Nach Ansicht der Hilfsorganisationen würden Informationen von Behörden ein falsches Bild über die zahlreichen Übergriffe gegen christliche Flüchtlinge in deutschen Flüchtlingsunterkünften vermitteln. Neben den Christen sind nach Angaben der NGOs auch andere religiöse Minderheiten wie Jesiden und Bahai Repressalien ausgesetzt und benötigten daher Schutz. Die politischen Entscheidungsträger hätten zumeist keine ausreichenden Maßnahmen zum Schutz der christlichen Minderheit ergriffen. Vielmehr verfestige sich der Eindruck, dass diese dramatische Entwicklung verdrängt, verharmlost oder nicht beachtet würde oder Entscheidungsträgern in Politik und Gesellschaft sprächen „pauschal von Einzelfällen, die nicht religiös motiviert seien“, ohne dass dafür belastbare Zahlen vorlägen.
Um verharmlosenden Fehleinschätzungen entgegenzuwirken und den Betroffenen eine Stimme zu geben, haben mehrere Organisationen mit der Dokumentation religiös motivierter Diskriminierung und Übergriffe auf christliche Flüchtlinge begonnen. Das internationale Hilfswerk Open Doors hat nach eigenen Angaben binnen zwei Monaten im Rahmen einer systematischen Erhebung 231 Vorfälle aus ganz Deutschland dokumentiert, die von Diskriminierung über Körperverletzungen bis hin zu sexuellen Übergriffen und Todesdrohungen die weitgehende Schutzlosigkeit christlicher Flüchtlinge in den Unterkünften aufzeigen. Weitere Vorfälle, auch zu Übergriffen auf andere Minderheiten wie den Jesiden, sind bei der IGFM und dem AVC dokumentiert. Jesidische Frauen und Mädchen hatten sich an die IGFM gewandt, weil muslimische Übersetzer sie bedroht oder ihre Aussagen in Anhörungsverfahren falsch oder verkürzt übersetzt hätten. Die bislang gemeldeten Vorfälle stellen aus Sicht der Organisationen nur einen kleinen Teil der Wirklichkeit dar.
Mehr Nicht-Muslime beim Wachpersonal gefordert
Die Organisationen fordern von Politikern und Behörden, dass bei der Erstaufnahme die Religionszugehörigkeit erfasst und die Daten bei der Verlegung in andere Unterkünfte weitergeleitet werden sollen. Zudem wollen die NGOs erreichen, dass Minderheiten zusammengelegt werden, sodass der Anteil der religiösen Minderheiten im Verhältnis zu den Muslimen in etwa gleich ist.
Neben der Erhöhung des nicht-muslimischen Anteils innerhalb des Wachpersonals fordern die Organisationen regelmäßige Schulungen und eine Sensibilisierung der Mitarbeiter und des Sicherheitspersonals in Flüchtlingsunterkünften hinsichtlich Ursachen religiöser Konflikte und des Schutzes religiöser Minderheiten. Zudem sollen christliche Vertrauenspersonen bereitgestellt werden, an die sich verfolgte Christen wenden können. (pro)
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