Nun also doch nicht: Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat keine Anzeige wegen einer Kolumne in der Tageszeitung taz erstattet. Stattdessen will er sich an den Presserat wenden, teilte er am Donnerstag mit. Am Montag noch hatte er angekündigt, Strafanzeige gegen die Zeitung zu stellen. Grund dafür war ein Meinungsbeitrag gegen die Polizei, der bereits vorige Woche erschienen war. Anlass seiner Ankündigung waren jedoch die gewaltsamen nächtlichen Ausschreitungen am vergangenen Wochenende in Stuttgart, bei denen hunderte Randalierer Teile der Innenstadt verwüsteten und sich eine Straßenschlacht mit der Polizei lieferten.
Einige Aussagen der Kolumne „Abschaffung der Polizei: All cops are berufsunfähig“ ebneten Weg dafür, dass sich Menschen der Polizei entgegenstellten, sagte Seehofer der Bild-Zeitung. „Ich bin ein großer Anhänger der Meinungsfreiheit, ich nehme sie auch für mich in Anspruch, aber es gibt Grenzen. Diese Kolumne überschreitet an verschiedenen Stellen die Grenze.“ Dass er strafrechtlich dagegen vorgehen wollte, löste eine breite Diskussion darüber aus, ob damit nicht die Pressefreiheit durch die Politik beschnitten würde. Seehofer wurde zu Bundeskanzlerin Angela Merkel zitiert und verschwand vorübergehend aus der Öffentlichkeit – bis er nun seine Alternative präsentierte.
Wer Menschen entsorgen will, hat das Grundgesetz nicht verstanden
Den Presserat, das Kontrollorgan der Branche, anzurufen, ist zweifellos der bessere Weg. Er ist die Stelle, die Beschwerden gegen die Presseberichterstattung entgegennimmt, bearbeitet und ahndet. Selbst wenn ein Gericht feststellen sollte, dass die Aussagen in der Kolumne strafbar sind: Wenn einer der wichtigsten Bundespolitiker auf dem Rechtsweg gegen einen Meinungsbeitrag vorgeht, dann wird immer der Vorwurf damit verbunden bleiben, die Politik greife in die freie Meinungsäußerung und die Freiheit der Presse ein. Denn es geht nicht um falsche Behauptungen oder Lügen – und andere Urteile zeigen, dass die Meinungsfreiheit im deutschen Recht sehr weit reicht. Auch der Presserat selbst begrüßte das Vorgehen und hat aufgrund von mehr als 300 Beschwerden bereits ein Verfahren eingeleitet.
Mit Journalismus hat der umstrittene Beitrag tatsächlich so gut wie nichts zu tun: Er spielt den Gedanken durch, was mit den Polizisten geschehen sollte, wenn die Polizei abgeschafft würde, der Kapitalismus aber nicht. Das Fazit: Auf die Müllhalde mit ihnen, wo sie unter ihresgleichen seien. Das ist, auch wenn es satirisch gemeint ist, entwürdigend und menschenverachtend. Ganz abgesehen davon, dass der Beitrag alle Polizisten als unfähig und als verkappte Nazis hinstellt.
Natürlich muss untersucht und sanktioniert werden, wo Polizisten unverhältnismäßige Gewalt ausüben, Minderheiten diskriminieren oder mit rassistisch-rechten Ideen sympathisieren. Aber wer als Journalist davon spricht, Menschen entsorgen zu wollen, hat das Grundgesetz und die Bedeutung der Presse für die Demokratie nicht verstanden.