Die Fraktionsvorsitzenden des neu gewählten Bundestages, sein Präsidium und einige Ausschussmitglieder werden bald ein Buch in ihrer Post finden: einen „Bericht zur Lage der Informationsqualität in Deutschland“. Herausgegeben hat das Buch der Journalist Roland Schatz, Gründer und Chef des Medienforschungsinstitutes Media Tenor. Auf rund 200 Seiten werfen Medienforscher, Journalisten und Politiker kritische Schlaglichter auf die Berichterstattung – auf Inhalte, Darstellungen, Erwartungen des Publikums und Vorschläge, um die Informationsqualität zu verbessern.
Denn in den Augen des Herausgebers ist sie nicht befriedigend und gehört regelmäßig auf den Prüfstand. Schatz will erreichen, dass sich das Parlament am besten jährlich ein Bild davon macht, worüber ausgewählte Medien in Deutschland berichten und wie die Bürger diese Angebote nutzen. Auslöser für das „Weißbuch“ war die Berichterstattung über die Corona-Pandemie im Frühjahr vorigen Jahres. „Ich habe mich geärgert, dass Grundlagen des Journalismus mit Füßen getreten werden“, sagt er im Gespräch mit PRO. So habe unter anderem das „heute Journal“ anfangs nur die Zahl der Corona-Infizierten und der Toten vermeldet, nicht aber die Zahl der Genesenen.
Das ist nur einer von mehreren Kritikpunkten. Am 20. März 2020 gab er im Branchenmedium Kress Tipps, um die Corona-Berichterstattung zu verbessern: etwa mehr Zurückhaltung bei Prognosen üben, Todesfälle im Zusammenhang mit Corona in Relation setzen zu den übrigen Todesursachen, nicht jeden Satz der Kanzlerin übernehmen oder auch mehr verschiedene Experten zu Wort kommen lassen. „Wenn Corona die größte aller Krisen ist, wird nicht die Reduktion von Erkenntnis zum Fortschritt beitragen. Die Lösung liegt in der Vielfalt, nicht in der Einfalt“, schrieb er damals.
Nachrichtenfaktoren sind nicht alles
Mangelnde Vielfalt beklagt er auch im Bericht über die Informationsqualität, und das nicht nur in Bezug auf Corona. Die systematische Analyse seines Instituts von verschiedenen deutschen und internationalen Medien liefert die Datengrundlage dafür. So waren Angela Merkel, Jens Spahn, Armin Laschet und Markus Söder, allesamt von Unionsparteien, von Januar bis Juli dieses Jahres die meistgenannten Politiker sowohl bei „Tagesschau“ und „heute“ als auch bei „RTL aktuell“. Bei den beiden öffentlich-rechtlichen Sendern folgte dann Olaf Scholz auf Rang fünf, RTL nannte den SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach noch häufiger als den Kanzlerkandidaten seiner Partei. In allen drei Sendungen machten die Koalitionsparteien mehr als zwei Drittel der Berichte über Parteien und Politiker aus.
Das mag zunächst nicht überraschen, schließlich hatten sie eine Mehrheit im Bundestag, Merkel, Spahn und Scholz gehörten zu den einflussreichsten Politikern und waren daher für Journalisten verschiedener Medien gleichermaßen interessant – ebenso der Konflikt zwischen Söder und Laschet um die Kanzlerkandidatur. Aber Schatz lässt das so allgemein nicht gelten: „Wir sind die Augen, die Ohren und das Herz derer, die nicht die Zeit haben, genauer hinzuschauen“, sagt er über seinen Berufsstand und zitiert den amerikanischen Publizisten Walter Lippman, der diesen Anspruch schon in den 1920er Jahren formulierte. Deshalb dürften Journalisten die Auswahl ihrer Themen nicht auf diese sogenannten Nachrichtenfaktoren reduzieren. Folgt man diesen Kriterien, haben prominente Personen, folgenreiche, konflikthafte oder eben auch negative Ereignisse besonders gute Chancen, in die Medien zu gelangen.
Das führe aber dann etwa dazu, dass die Leitmedien über den Osten Deutschlands weiterhin vor allem Stereotype vermittelten: wirtschaftlich abgehängt und politisch tendenziell rechts. Unternehmen aus den östlichen Bundesländern kämen nur in einem Prozent der Wirtschaftsberichterstattung vor, legt Schatz dar. Der Islam werde vorwiegend in negativen Kontexten wie Terrorismus erwähnt. Geht es um Kraftfahrzeuge, dann vor allem um Elektroautos, kaum um Diesel und Benziner, obwohl die Mehrheit der Bürger Autos mit Verbrennermotor fahre. Seit Jahrzehnten berichteten Medien deutlich häufiger über die Regierung als über das Parlament – die vom Volk gewählten Abgeordneten. Beiträge im Bericht über die Informationsqualität zeigen, dass auch etwa Senioren oder Menschen mit Behinderung so selten in den Medien auftauchten, dass sie kaum wahrnehmbar seien.
Einseitigkeit kann polarisieren
„Wenn sich die Menschen nicht mehr in den Abendnachrichten wiederfinden, wenden sie sich ab“, erklärt Schatz. Er warnt davor, Nachrichtenthemen nach politischen Vorstellungen auszuwählen, statt zu berichten „was ist“, wie er es mit Spiegel-Gründer Rudolf Augstein sagt. Andernfalls könnten Zustände wie in den USA drohen. Dort sieht er genau darin einen Grund dafür, dass sich in den 1990er Jahren der konservative Sender Fox News etablieren konnte. Fox News berichte nahezu konträr zu Sendern wie CBS oder NBC über politische Themen. Dies wiederum könne Donald Trump 2016 zur Macht verholfen haben. Die Gefahr, die Schatz sieht: Wenn die Bürger eines Landes ganz gegensätzliche Weltdarstellungen präsentiert bekommen, fehlt irgendwann die gemeinsame Grundlage, um sich über die Welt, über den Zustand im Land zu verständigen.
Die fehlt aber eben auch, wenn Medien zu ähnlich sind in ihrer Themenauswahl und Bewertung oder wenn Teile des gesellschaftlichen Lebens dauerhaft unter der Wahrnehmungsschwelle liegen. Besonders die öffentlich-rechtlichen Medien sieht Schatz hier in der Pflicht, für inhaltliche Vielfalt zu sorgen. Schließlich würden sie von den Bürgern mitfinanziert und hätten einen Programmauftrag. „Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben in ihren Angeboten einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben“, heißt es im Medienstaatsvertrag. Dabei sind „Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit ihrer Angebote zu berücksichtigen“.
Für Schatz geht es um die demokratische Grundfrage: Können die Wähler ihrem Wahlauftrag nachkommen? Nur wenn sie die Chance haben, sich umfassend zu informieren. Eng damit zusammen hängt die Frage, ob Menschen das Gefühl haben, sie könnten frei ihre politische Meinung äußern. Das sahen im Juni dieses Jahres nur 45 Prozent der Deutschen so, ermittelte das Allensbacher Institut für Demoskopie. Seit 1953 stellt es diese Frage regelmäßig, in diesem Jahr war der Wert so niedrig wie noch nie. 44 Prozent der Befragten gaben an, es sei besser, mit seiner Meinung vorsichtig zu sein – der höchste bisher gemessene Wert bei dieser Aussage.
Auch das kann in den Augen von Schatz damit zu tun haben, dass Menschen ihre Meinungen und Erfahrungen nicht von den Medien repräsentiert fühlen. In seinen Ausführungen zum „Freiheitsindex“ nennt Schatz als weiteres Beispiel die Furcht mancher Menschen davor, ihre Vorbehalte gegen die Corona-Impfung öffentlich zu machen.
Er rät daher sowohl Medien als auch Politikern, Gruppendruck als Manipulation zu kennzeichnen und ihn selbst zu vermeiden. Weiterhin sei es wichtig für die Meinungsbildung, dass Journalisten stärker thematisierten, welche Folgen politische Entscheidungen für die Zukunft bringen. Er erinnert an den journalistischen Grundsatz, stets auch die andere Seite anzuhören, und ermahnt die Medienmacher, keine Stereotype zu produzieren. „Die Welt ist bunt“, schreibt er im Bericht über die Informationsqualität. Da leuchte es nicht ein, sich wieder „mit Schwarz-Weiß-Bildschirmen“ zufrieden geben zu wollen.
Dieser Text erschien zuerst in der Ausgabe 5/2021 des Christlichen Medienmagazins PRO. Sie können das Heft kostenlos hier bestellen oder telefonisch unter 0 64 41 / 5 66 77 00.
4 Antworten
Wenn ich den Eintrag in Wikipedia zu Media Tenor lese, dann kommen mir Zweifel an der Seriösität der Organisation auf – bei Wikipedia kann man nicht nur von einer nachgewiesen falschen Aussage lesen, sondern da findet sich einiges. Mit diesem unseriösen Verhalten macht man sich meiner Ansicht nach die sicherlich auch enthaltenen stichhaltigen Erkenntnisse kaputt, ich kann als Laie doch nicht so einfach überprüfen, wo gelogen oder sehr seltsam interpretiert wird. Was hat Sie/Pro Medienmagazin bewogen, diese Medienanalyse zu veröffentlichen? Doch nicht etwa die berühmte fehlende Vielfalt in der Berichterstattung…
Ich habe den Eintrag auf Wikipedia nicht gelesen. Allerdings möchte ich darauf hinweisen, dass Einträge auf Wikipedia nicht per se richtig sind. Sie können helfen, etwas einzuordnen, aber auch bei Wikipedia finden wir Fehler.
Der Beitrag ist in der Tendenz schon richtig. Beispiele von unserer Tageszeitung zu Corona: es wurde seitenweise die Querdenker Bewegung analysiert, kritische Stimmen wurden grundsätzlich negativ angesehen. Dagegen wurde so gut wie nie darüber gesprochen, dass die Delta Variante immer noch sehr gefährlich ist und fast nicht davor gewarnt wurde. Dass dies notwendig gewesen wäre sehen wir jetzt. Es müssen von den Medien eben auch eigene Recherchen unternommen werden und nicht nur die Verlautbarungen des RKI und der Regierung abgeschrieben werden….
Schade, dass im Bericht fehlt, wie einseitig über Gender-Mainstreaming berichtet wird. Fast nie hört man von Menschen, die bewusst aus der (praktizierten) Homosexualität ausgestiegen sind, oder die bereuen, eine Geschlechtsumwandlung durchgeführt zu haben. Dem einfachen Medienkonsumenten wird vorgegaukelt, als sei man am glücklichsten und sei es am gesündesten, dem scheinbaren Trend, oder dem aktuellen Gefühl zu folgen und das zur eigenen Identität zu machen. Da ist noch Luft nach oben in objektiver Berichterstattung.