„Ich wünsche mir, dass Frauen in den Führungsetagen zu Hause sind“, sagt Elisabeth Schoft, Leiterin der Marketing- und Presseabteilung beim Verlag Fontis. Die 31-Jährige veröffentlichte vor kurzem das Buch „Leiten auf weiblich“ (Neukirchener Verlag), mit dem sie besonders Christinnen ermutigen möchte, sich Leitungsaufgaben zuzutrauen. Denn im christlichen Bereich hätten es weibliche Führungskräfte immer noch schwer, erklärt Schoft im PRO-Interview. „Ich nehme eine Unsicherheit wahr, ob es eine Legitimation für Frauen in Leitung gibt“, sagt sie. Und tatsächlich: Schaut man sich die Kirchenlandschaft an, freie Gemeinden und christliche Werke, scheinen in den Leitungspositionen oft die Männer zu dominieren. Woran liegt das?
„Als Unternehmerin ist meine Erfahrung, dass die Grenzen oft nur in unserem Kopf existieren. Es ist so viel mehr möglich, als wir zunächst denken. Außerdem wird in der Businesswelt eine weiche und harmoniebedürftige Seite oft als Schwäche angesehen. Das finde ich schade. Man muss nicht knallhart sein, um erfolgreich zu sein.“
„Mein Tipp: Sei du selbst. Versuche nicht, dich aufgrund deines Umfeldes oder deiner Position zu verstellen.“
Nathalie Schaller, 37 Jahre, Geschäftsführerin und Gründerin des humanitären Modelabels [eyd]
Die Theologin und psychologische Beraterin Martina Kessler bestätigt diesen Eindruck. Für verschiedene Veröffentlichungen forschte sie zum Thema „Frauen als Führungskräfte“. Außerdem coacht sie christliche Leiterinnen und ist im Leitungsteam der „Akademie für christliche Führungskräfte“. Es sei in Gemeinden und christlichen Werken nicht so selbstverständlich wie in der Wirtschaft, dass Frauen Führungspositionen besetzten, sagt sie. Grundsätzlich seien die Rollen für Frauen und Männer zwar nicht mehr so festgelegt wie früher, doch „der christliche Bereich hinkt 20 Jahre hinterher“. Kesslers Beobachtung: Auch wenn proklamiert werde, dass Frauen genauso gut Chefinnen werden könnten, neigten Männer dazu, ihr eigenes Geschlecht zu fördern. Ein Grund dafür sei, dass Männer stärker aufträten und Frauen eher zurückhaltender seien. Im christlichen Bereich sei man auch „weniger mutig“ als in der freien Wirtschaft. Doch auch die andere Seite gibt es: Christliche Werke, die Frauen suchen, aber keine finden.
Theologische Positionen konsequent vertreten
Auch die biblische Sicht spielt eine Rolle. Schoft sagt, ihrer Erfahrung nach würden Christinnen häufig mit Bibelstellen konfrontiert, die Frauen als Leiterinnen ausschließen. Es werde mit der Schöpfungsordung argumentiert oder mit Stellen, zum Beispiel aus dem Korintherbrief, in denen Paulus Frauen anweist, in der Gemeinde zu schweigen (vgl. 1. Korinther 14,33 ff). Frauen hinterfragten auch öfter ihr Motiv hinter einem Leitungsamt, ob ihre Haltung zu Beispiel zu egoistisch sei, stellte sie fest. Auch Schoft selbst hatte mit diesen Fragen zu Beginn ihrer Führungsposition zu kämpfen und ist der Meinung, Männer würden sich solche Fragen oft nicht stellen.
„Meine Zeit in der Leitung von überwiegend männlichen Teams innerhalb einer stark hierarchisch organisierten Unternehmenskultur hat mich gelehrt, dass es sich lohnt, auf die eigene Intuition zu vertrauen und Werte vorzuleben. Als Geschäftsführerin einer gemeinnützigen Organisation habe ich gelernt, dass Vereinbarkeit von Familie und Beruf gelingen und für alle Beteiligten einen Mehrwert haben kann. Dafür müssen alle Beteiligten gemeinsam eine Kultur des Vertrauens und der Experimentierfreude leben.“
„Mein Tipp: Stell dir immer wieder die Frage, was für dich persönlich Erfolg bedeutet, und habe den Mut, du selbst zu sein.“
Ana Hoffmeister, 36 Jahre, selbständige Unternehmensberaterin, aktuell in Elternzeit
Sie habe „einen Meter Literatur“, der argumentiere, aus biblischer Sicht sei eine Frau als Leiterin kein Problem, und genauso viel Literatur, die das Gegenteil behaupte, sagt Kessler. Sie könne nachvollziehen, wenn eine Gemeinde zu dem Entschluss kommt, Frauen sollten nicht leiten. „Aber da hört es auch schon auf“, sagt die 59-Jährige. Ihr Kritikpunkt: Viele Gemeinden, die diese Haltung hätten, seien darin nicht konsequent. Diese Theorie gelte „nur sonntagvormittags von zehn bis zwölf Uhr“. Wenn eine Gemeinde so eine Theologie vertrete, müsse sie diese auch in allen Bereichen durchziehen wie der Kinder- und Altenbetreuung oder dem Bibelunterricht für Teenager. In der Wirtschaft hingegen, auch wenn es um christlich geführte Unternehmen geht, hält Kessler so eine Einstellung für falsch. „Man entzieht sich der Kompetenz von 50 Prozent der Menschheit.“
„Meine Stärken sind einzigartig und machen meinen Mehrwert für das Team und das Unternehmen aus. Meine Schwächen sind ebenso einzigartig. Es ist gut, damit offen und transparent umzugehen. Eine Unternehmens- oder Teamkultur ist vorhanden und wertvoll. Notwendige Änderungen können erst erfolgen, wenn ich die Kultur kennengelernt und wertgeschätzt habe. Diskriminierung startet meist damit, dass ich mich selbst ausgrenze.“
„Mein Tipp: Mitarbeiterführung beginnt mit einer aktiven Selbstreflexion und -führung. Sie ist eine Aufgabe die Zeit, Einsatz und Leidenschaft für die Menschen benötigt. Ein wichtiger Teil von Führung ist es, Fehler zu verzeihen – vor allem sich selbst – und Wunder zu erwarten.“Tabea Madeleine Kunze, 35 Jahre, Leiterin Verfahrenspezialisten und Prozesstechniker in der Schleifmittelindustrie
Es habe viele Vorteile, Frauen in Führungspositionen einzusetzen. Frauen seien stärker, was verbale und emotionale Fähigkeiten angehe. Sie erholten sich nach anstrengender Arbeit auch schneller als Männer, findet Kessler. Frauen träten zudem oft weniger dominant auf als Männer, sagt Schoft. Entscheidungen könnten länger reifen, da Frauen diese manchmal stetiger und bedachter träfen. Verschiedenste Literatur und Forschungen zum Thema zeigten zudem, dass bei Männern strukturelle Fähigkeiten häufig besser ausgeprägt seien, erklärt Kessler. Und obwohl sie nach anstrengender Arbeit tendenziell eine längere Erholungszeit benötigten, steckten Männer mehr Energie in die einzelne Situation. Dies sind natürlich Stereotype, die nicht zwangsläufig auf einzelne Personen zutreffen und lediglich eine Tendenz zeigen. Kesslers Einschätzung zeigt aber auch: Auf das Zusammenspiel beider Geschlechter kommt es an.
Frauen nicht „begrenzen“
Eine Rolle, ob männliche oder weibliche Stärken in Führungspositionen bevorzugt werden, spielt auch die Kultur des jeweiligen Landes. Kessler verweist dazu auf die Kulturdimensionen, die der Sozialpsychologe Geert Hofstede aufgestellt hat. Sie beschreiben bestimmte Aspekte einer Kultur, die sich zwischen zwei Extrempunkten bewegen. Dazu gehört für Hofstede Maskulinität versus Femininität. Der Wissenschaftler fand heraus, dass skandinavische Länder zum Beispiel eher feminin geprägt sind. Dort seien die Rollen zwischen Männern und Frauen gleichwertiger aufgeteilt und weibliche Stärken beliebter. In einer maskulinen Kultur, zu der unter anderem Deutschland zählt, spielten hingegen eher „männliche Werte“ wie Leistungserwartung oder Durchsetzungsvermögen eine Rolle in der Gesellschaft.
„Als Teenager schon haben Menschen an mich geglaubt und mein Leitungspotential gefördert. Erst als junge Erwachsene hörte ich Stimmen, die sagten, ich darf das nicht, so handelt keine biblische Frau … Wieder aber waren es Menschen und Führungspersonen, die an mich glaubten, mich ermutigten und unterstützten. Ohne diese Wegbegleiter würde ich heute keine Verantwortung mehr tragen, denn mir war nicht bewusst, wie eng Freude und Schmerz in Leiterschaft beieinander liegen.“
„Mein Tipp: Suche dir eine leitende Person deines Vertrauens, die dich in deiner Reise als Leiterin begleitet, dich anfeuert und für dich betet.“
Evi Rodemann, 50 Jahre, Theologin und Eventmanagerin, Geschäftsführerin von LeadNow e.V.
Kessler wünscht sich für den christlichen Bereich, dass Männer fachkompetente Frauen verstärkt wahrnehmen. Auch Schoft sagt, das Potenzial von Frauen müsse stärker erkannt werden. „Dass man sie nicht begrenzt und sagt: ‚Du darfst mitarbeiten, aber nicht predigen, weil das biblisch nicht erlaubt ist.‘“ Das brauche Offenheit und Umdenken. Kessler fügt hinzu, es sei wichtig, dass Frauen in ihren Positionen bewusst „inthronisiert“ werden. Damit werde klargestellt: „Das ist dein Job und du darfst das auch. Damit sie auch mutig führen.“ Wer als Frau eine Begabung im Bereich Leitung habe, den ermutige sie dazu, Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Manchmal sollten sich Frauen auch selbst weniger zurückhalten. In ihren Coachings hilft Kessler Frauen unter anderem, „männlicher“ zu kommunizieren. Wenn es angebracht sei, bedeute das manchmal auch, „einfach etwas zu tun, ohne zu fragen“.
„Meine männlichen Vorgesetzten, die Potenzial in mir erkannt haben und den Mut hatten, mir in jungen Jahren Verantwortung zu übertragen, waren sehr prägend für mich. Ebenso wie die Erkenntnis, dass ich viel zu wenig Frauen in Führungspositionen kannte, an denen ich mich orientieren konnte. Denn wie kann ich lernen, wie Frauen leiten, wenn ich keine Frauen leiten sehe?“
„Mein Tipp: Suche dir gleichgesinnte Leiterinnen, von denen du lernen und mit denen du wachsen kannst.“
Elisabeth Schoft, 31 Jahre, Leiterin Marketing-und Presseabteilung bei Fontis
Schoft betont die geistliche Dimension für Christinnen: „Es wird einfacher, wenn ich weiß, dass Gott mich an eine bestimmte Stelle gesetzt hat und mich ausrüstet mit den Fähigkeiten, die es dazu braucht.“ Sie wünscht sich, dass Leitungspositionen für Frauen normaler werden und sie ihre eigenen Führungsstile entwickeln können. „Dass sie sich nicht hinterfragen, ob sie das können und dürfen. Sondern, dass sie selbstverständlich davon ausgehen, dass sie Gaben zum Leiten haben.“
» „Ich wünsche mir, dass Frauen auf den Führungsetagen zu Hause sind“
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Ausgabe 4/2021 von „PRO – das Christliche Medienmagazin“. Bestellen Sie die aktuelle Ausgabe hier.
2 Antworten
„Im christlichen Bereich haben es Frauen in Führungspositionen oft schwer.“
– Aber was sagen die Fakten?
und
es würde den Frauen gesagt ‚Du darfst mitarbeiten, aber nicht predigen, weil das biblisch nicht erlaubt ist.‘
Ist das tatsächlich so, wer sagt das heute so, in der EKD?
Hier ein paar Zahlen, Daten, Fakten (am Beispiel Nordkirche):
Lag der Anteil der Pastorinnen 2012 noch bei 39 Prozent, so ist er 2017 bereits auf 44 Prozent geklettert. Prognostiziert wird, dass im Jahre 2030 der Pastorinnen-Anteil bei über 60 Prozent liegen wird.
Mit zwölf Pröpstinnen liegt ihr Anteil in der Nordkirche derzeit bei 34 Prozent. Im Landeskirchenamt ist eine Dezernentin tätig, acht Dezernate werden von Männern geleitet. Zwei Frauen sind im fünfköpfigen Bischofskollegium vertreten. Im Bereich der Verwaltungsleitung hat sich der Frauenanteil seit 2012 verdoppelt und beträgt derzeit 31 Prozent.
In der Landessynode 2018 war der Frauenanteil bei 42 Prozent, sieben Prozentpunkte höher als bei der vorherigen. In den meisten Parlamenten der Kirchenkreise sind Männer und Frauen gleich stark vertreten.
Bleibt von der „Frauendiskriminierung“ tatsächlich wenig substantielles übrig.
Ja, man muss sich fast fragen, ob nicht inzwischen Männer in manchen Bereichen allein wegen ihres Geschlechts benachteiligt werden …
Hm… Aber auch diese Zahlen gehen doch noch nicht in Richtung 50:50, geschweige denn zu einer Diskriminierung von Männern…