Meinung

Mehr Kooperation mit Pfingstlern!

Wenn die evangelische Kirche nicht in der Bedeutungslosigkeit verschwinden will, muss sie von wachsenden Gemeinden lernen: den Pfingstlern zum Beispiel.
Von Anna Lutz
In Freikirchen sind die Verbindlichkeit des Gottesdienstbesuches und der Gemeindezugehörigkeit besonders ausgeprägt

Die größte Pfingstgemeinde der Welt, die Yoido Full Gospel Church, hat rund 800.000 Mitglieder. Acht Gottesdienste bietet sie jeden Sonntag in Seoul an – für Einheimische, Expats, Teenies, kleine Kinder. Zehntausende drängen in die Versammlungen. Ein Hype. In Deutschland vermeldet der Bund freikirchlicher Pfingstgemeinden (BFP) ebenfalls stetiges Wachstum. Die Gottesdienste am Sonntag sind vielerorts gut besucht, wenn auch nicht ganz so überbordend wie im internationalen Raum. 

Von dieser Begeisterung ist der volkskirchliche Protestantismus hierzulande, einst geistlicher Nabel der evangelischen Welt, weit entfernt. Allein im Jahr 2022 traten 380.000 aus. Ganze Landeskirchen zählen noch etwa so viele Mitglieder wie die Yoido Full Gospel Church an nur einem Standort. Weltweit gibt es laut Deutscher Bischofskonferenz 615 Millionen Pfingstler und Charismatiker. Tendenz steigend. Zu den traditionellen evangelischen Volkskirchen zählen nur noch weniger als halb so viele. Tendenz fallend. 

„Verzicht auf Vernunft“

Statt sich darüber zu freuen, dass sich noch enthusiastisch auf protestantische Lehren berufen wird –und sei es in einer der vielen pfingstlichen Freikirchen, sind die öffentlichen Töne evangelischer Würdenträger meist zurückhaltend, des öfteren kritisch, gelegentlich sogar aburteilend: Die evangelische Pfarrerin Kathrin Oxen meinte jüngst, einen „Ver­zicht auf Ver­nunft und in­tel­lek­tu­el­le Durch­drin­gung“ innerhalb der weltweiten Pfingstbewegung auszumachen. In der Zeitung „Christ&Welt“ erklärte sie: Eine kleine oder gar keine Kirche sei besser als so eine.

Annette Kurschus Foto: EKvW/Jörg Dieckmann | CC BY-SA 4.0 International
Annette Kurschus, Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, verlor allein 2022 380.000 Mitglieder

Dabei birgt die Pfingstbewegung eine Diversität, von der die Evangelische Kirche in Deutschland nur träumen kann. Während die Landeskirchen in ihren Sonntagsgottesdiensten ein sehr bestimmtes, kirchlich gefestigtes und eher älteres Klientel ansprechen, finden sich in Pfingstkirchen Besucher verschiedenen Alters, Schichtzugehörigkeiten oder Bildungsgraden. Auch deshalb, weil die Gemeinden selbst so unterschiedlich aufgestellt sind.

Pfingstkirchen sind divers

Denn theologisch sind Pfingstler schwer zu fassen, wie die EKD in einer Orientierungshilfe zur Pfingstbewegung selbst feststellte. Ob Frauen predigten oder nicht, Männer Männer lieben dürften, die Bibel irren könne oder der Glaube an Jesus heilsnotwendig sei: Die Antworten fielen je nach Gemeinde und Kultur unterschiedlich aus. Skepsis mag bei bestimmten Ausprägungen angebracht sein, etwa jenen, die sich auf ein sogenanntes Wohlstandsevangelium berufen. Die bisweilen zu vernehmende Pauschalkritik aus den Reihen der schrumpfenden Kirchen des Abendlandes aber wirkt eher angstgetrieben als fundiert. 

Anstatt zu fragen, was die Evangelische Kirche von der lebhaften Entwicklung in den Pfingstkirchen lernen könnte, beschränkt sich das Miteinander seit Jahrzehnten auf ein vorsichtiges Beäugen im Rahmen von Konferenzen und Schriften. Von Ergebnissen, die sich in der Breite auf das kirchliche Leben niederschlagen, sind die Christen weit entfernt. 

Raumnot auf der einen, Nachwuchsmangel auf der anderen Seite

Dabei tut Kooperation Not, nicht nur wegen des Mitgliederschwunds. Die Liste entwidmeter Kirchen allein innerhalb der Berliner Landeskirche ist beachtlich, nicht zu sprechen von der Zahl ungenutzter Räume. Zugleich suchen viele Freikirchen innerhalb der Stadt wegen wachsender Besucherzahlen nach Orten für Gottesdienste. 

„Eine schrumpfende Kirche kann es sich nicht leisten, auf Gruppen zu verzichten, denen es gelingt, Menschen zu erreichen.“

PRO-Autorin Anna Lutz

Innerhalb der EKD bahnt sich ein Pfarrermangel an. Experten zufolge fehlen ab 2030 tausende Geistliche. Deshalb gibt es Angebote für Quereinsteiger, die kurze Studienzeit versprechen. Wer aber sogar Theologie studiert hat, etwa an einer der mittlerweile zahlreichen staatlich anerkannten privaten theologischen Hochschulen, dessen Studium wird trotz Sprachkenntnissen und theologischen Wissens nicht anerkannt. Wer Glück hat, kann einzelne Leistungen geltend machen, allerdings gibt es dafür kein einheitliches Prozedere. Der Übergang von Geistlichen aus einer freikirchlichen Denomination in eine Landeskirche ist schlicht nicht vorgesehen. Ebenso ist es bei der Vokation, also der Zulassung für den Religionsunterricht an Schulen. Wer sein Studium außerhalb einer Kirche der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) absolviert hat, kommt beim Bekenntnisunterricht nicht hinters Lehrerpult. 

Eine schrumpfende Kirche kann es sich nicht leisten, auf Gruppen zu verzichten, denen es gelingt, Menschen zu erreichen. Der BFP ist seit nunmehr zwölf Jahren Gast in der ACK. Die Orientierungshilfe der EKD ist acht Jahre alt. Gesprächsformate gibt es seit einer gefühlten Ewigkeit. Es wird Zeit, dass die Verantwortlichen mehr bewegen als Worte. Beide Seiten müssen sich auf Gemeinsamkeiten besinnen, Kräfte bündeln, und von den je anderen Traditionen lernen. Denn obwohl mancher die „kleine Kirche“ glorifizieren mag: Der biblische Auftrag an Christen, seien sie pfingstlich oder volkskirchlich geprägt, geht nicht nur von einer wachsenden Kirche aus. Er fordert auch das geschwisterliche Miteinander ein.

Dieser Text ist zuerst im Magazin Zeitzeichen erschienen. 

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