Herr Gauntt, welche Oper sollten sich Leute anschauen, die noch nie in einem Opernhaus waren?
Das kommt darauf an, über welches Land wir reden: Den Deutschen würde ich natürlich die "Zauberflöte" empfehlen. Weil viele diese Oper von Wolfgang Amadeus Mozart noch aus ihrer Schulzeit kennen, sind die Melodien noch einigermaßen im Ohr. Außerdem ist die "Zauberflöte" recht einfach zu verstehen und durchaus lustig. Ich selbst habe den Papageno 95 Mal gesungen und würde die Partie auch noch weitere 50 Mal singen – aber laut Mozarts Anweisung sollte der Papageno 28 Jahre alt sein. Eher tragisch sind die Opern von Giacomo Puccini, aber dennoch sollte sich jeder eine Aufführung von "La Bohème" anschauen. Sie ist meine Lieblingsoper. Das "Nessun dorma" aus der Puccini-Oper "Turandot" hat Paul Pots durch seinen Auftritt in der britischen Talentshow nochmals weltweit bekannt gemacht.
Die Emotionen, die etwa diese Arie transportiert, begeisterte auch die Werbeindustrie. Pots Auftritt wurde zu einem Werbefilm für einen Mobilfunkanbieter. Sind es also die Emotionen, die viele an Opern faszinieren?
Ja, wenn Emotionen im Auftritt und Gesang transportiert werden, sind Menschen wie gefesselt. In der Arie "Nessun dorma", zu deutsch "Keiner schlafe!", singt Prinz Kalaf über seine geliebte Prinzessin, nach der er sich sehnt und die er liebt. Solche Lieder gehen unter die Haut. Florian Sitzmann hat für mich eine Fassung des Liedes geschrieben, damit ich es als Bariton singen kann. Ich träume immer noch davon, aus der wunderschönen Puccini-Melodie ein Lied mit christlichem Text zu komponieren. Frei nach dem Vorbild von "Ein feste Burg ist unser Gott", das Martin Luther mit der Melodie eines mittelalterlichen Trinkliedes getextet hat!
Viel Christliches gibt es in Opern ja nicht…
Das stimmt wohl! Als ich "Don Giovanni" von Mozart gesungen habe, musste ich mir schon die Frage stellen: Wie kann ich als Christ diese Rolle übernehmen? Er ist ein Frauenheld ohne Ende, ich bin seit 31 mit derselben Frau verheiratet – ich bin kein "Don Giovanni". Dennoch habe ich nach einem gewissen Ansatzpunkt bei dieser Figur gesucht, die sich am Ende der Oper findet: Don Giovanni erhält das Angebot, sich von seinen Sünden loszusagen. Doch er lehnt ab, wird in die Hölle gerissen. Für mich war beim Studium de Rolle klar: Er war ein Mensch, der sein Leben falsch gelebt hat und in dem Moment, in dem Christus ihm eine Umkehr anbietet, einfach ablehnt. Ich persönlich habe mich ganz anders entschieden – und kann mich dennoch in die Rolle des Don Giovanni hineinversetzen.
Ihr Beispiel zeigt ja: Auch in Opern geht es nicht selten um grundsätzliche Fragen des Glaubens. Ähnlich ist das auch bei Richard Wagners "Tannhäuser", in dem das Thema Vergebung stark anklingt.
Denken Sie auch an den "Parsival" – wobei Wagner natürlich immer christliche und mystische Gedanken ver-mischt, Gralsgeschichten und die "Erlösung durch die Liebe" mit dem Glauben an Gott in Einklang zu bringen versucht.
Über eine andere Wagner-Oper, den "Ring des Nibelungen", veröffentlichte der bekannte Humorist Loriot vor vielen Jahren ein erläuterndes Album, auf dem er in seiner unnachahmlichen Art die Handlung erklärt: "Die Täter in dem größten Operndrama der Musikgeschichte sind eigentlich ganz nette Leute. Nur eine gemeinsame Leidenschaft wird ihnen zum Verhängnis: Sie wollen mehr besitzen, als sie sich leisten können und mehr Macht, als ihnen zusteht. Zum Glück gibt es dergleichen nur auf der Opernbühne!"
(lacht) Ja, das ist eine treffende Zusammenfassung! Opern sind vielfach ganz klassische Lehrstücke für das Leben: Die Bösen werden abgelehnt, sie scheitern am Ende immer, die Guten werden geliebt und gewinnen. Das mag sich kitschig anhören, ist aber tiefgründig moralisch.
Sie sind sehr früh zur Oper gekommen – besser gesagt: Zum Gesang – nämlich in Ihrer Gemeinde in Texas. Wie haben Sie entdeckt, dass Singen eine Leidenschaft sein kann?
Ich bin auf einem Bauernhof in Texas aufgewachsen und habe als Kind schon immer gerne gesungen. Neben der harten Arbeit auf der Ranch habe ich Klavierstunden erhalten. Ich war etwa 14 Jahre alt, als der Leiter unserer kleinen Gemeinde zu mir sagte: Du leitest ab jetzt den Gemeindechor – der immerhin aus sechs Leuten bestand. Für mich war das aber eine schöne Aufgabe, zumal ich damals noch nicht wusste, was ich nach meiner Schulzeit einmal machen sollte. Sicher hat auch meine Mitarbeit dazu geführt, dass ich an der Universität in Waco eben Musik studiert habe. An der Uni habe ich meine erste Oper gesehen, "Susannah", von Carlisle Floyd, einem weniger bekannten, aber einem tollen amerikanischen Komponisten.
Nach Ihrem Studienabschluss sind Sie nach Europa gegangen. Warum?
Das hatte sachliche Gründe. Kurze Zeit, nachdem ich meine Frau Cae kennengelernt hatte, habe ich ein Rotary-Stipendium für die Musikakademie in Wien erhalten. 1980 sind wir dann gemeinsam in die österreichische Hauptstadt geflogen…
…in der Sie viele Jahre verbracht haben.
Ja, sicher auch aus dem Grund, weil wir beide Rollen in dem Musical "Jesus Christ Superstar" hatten, das damals sehr erfolgreich am bekannten Theater an der Wien lief. Das war ein großes Geschenk, auch aus dem Grund, weil die Anstellung uns beide, die wir kaum deutsch sprechen konnten, aus unserer Wohnung in Wien, unserer Isolation, geholt hat. Ich habe Cae damals dazu überredet, für die Rollen vorzusingen. Als ich von der Bühne ging, hieß es: "OK, wir melden uns bei Ihnen." Und als Cae ihre Stücke vorgesungen hatte, waren die Leiter völlig begeistert und engagierten sie gleich für eine der Hauptrollen – die der Maria Magdalena. Ich selbst erhielt 1982 ein Stipendium für eine professionelle Gesangsausbildung an der Wiener Staatsoper. Aus den geplanten zehn Monaten wurden dann vier Jahre, die wir in Wien lebten.
Seit 1985 sind Sie jetzt am Badischen Staatstheater in Karlsruhe, nach einem kurzen Engagement an der Oper in Krefeld im Jahr 1984. Seitdem haben Sie annähernd 100 Rollen in verschiedenen Opern gesungen. Wie bereiten Sie sich auf die immer wieder neuen Herausforderungen vor, die Schauspiel und Gesang sicher mit sich bringen?
Zunächst muss man die Arien und Partituren kennen, dann den Text lernen. Ich habe ja nicht nur in italienischer oder französischer Sprache gesungen, auch etwa in russischer. Dann kann ich mir ein Bild von dem Charakter machen, den ich verkörpere, einen Zugang zur Rolle finden. Auch das gehört dazu. Je nach Rolle dauert dieser Prozess unterschiedlich lang. Für manche Rollen benötige ich etwa acht Wochen, für andere drei Monate. Beim Beckmesser aus Wagners Oper "Meistersinger" war das der Fall. Ich habe alleine drei Monate benötigt, um die Musik einzustudieren, dann weitere sechs Wochen für den Text!
Gleichzeitig suchen Sie immer wieder die Schnittpunkte von klassischer Musik zu Pop. Sie waren mit den "Söhnen Mannheims" auf Tour.
Die "Söhne Mannheims" suchten eine Opernstimme für "Komm heim" und Florian Sitzmann hat mich gefragt, ob ich den Part übernehmen möchte. Das hat wirklich großen Spaß gemacht!
Außerdem haben Sie bei der Fußballeuropameisterschaft 2008 die Deutsche Nationalhymne gesungen. Wie ist es dazu eigentlich gekommen?
Vor ein paar Jahren habe ich auf einer großen Feier der Telekom gesungen, zu der ich eingeladen wurde. Der Verantwortliche für die Planungen kam zu mir nach Hause, wir haben uns sofort gut verstanden. Dabei haben wir auch über die damals recht kühlen Beziehungen zwischen Amerika und Deutschland gesprochen und ich sagte zu ihm, dass ich sehr gerne einen Beitrag dazu leisten möchte, die freundschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern wieder neu zu stärken. Einige Wochen später rief er mich an und sagte: "Eddie, Du singst die Deutsche Nationalhymne beim DFB-Pokalfinale im Olympiastadion in Berlin!" Später wurde ich dann zu Feiern des Deutschen Fußball-Bundes eingeladen, habe dort "You never walk alone" gesungen. Das hat Oliver Bierhoff gut gefallen – und durch all diese Begegnungen kam es dazu, dass ich beim EM-Finale 2008 die Deutsche Nationalhymne gesungen habe.
Sie haben in den vergangenen Wochen gemeinsam mit Ihrer Frau an einem neuen Album gearbeitet: "Inner Sanctum".
Ja, das Album erscheint im Januar. Wir haben Lieder aufgenommen, die uns persönlich einfach viel bedeuten und uns berühren. Darunter sind einige Klassiker wie "Großer Gott wir loben dich" oder "Wer nur den lieben Gott lässt walten". Das sind Lieder, die für Menschen seit Generationen eine Ermutigung sind und bis heute an ihrer Kraft nichts verloren haben. Cae hat ein neues Lied geschrieben. Alle Lieder, die auf dem Album sind, bedeuten mir sehr viel – übrigens noch mehr, als so manche Opern.
Edward Gauntt, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview ist erschienen in Ausgabe 6/2009 des Christlichen Medienmagazins pro. Mit Edward Gauntt hat pro-Redakteur Andreas Dippel gesprochen.