2023 sind von Beratungsstellen 702 Fälle von Menschenhandel in Deutschland erfasst worden. Das geht aus dem Datenbericht „Menschenhandel und Ausbeutung in Deutschland“ des Bundesweiten Koordinierungskreises gegen Menschenhandel (KOK) hervor. Von den erfassten Fällen wurden 597 zur Auswertung in einer Studie von den Betroffenen freigegeben. Der Bericht wurde am Dienstag anlässlich des Europäischen Tags gegen Menschenhandel am 18. Oktober vorgestellt.
Die große Mehrheit der Betroffenen, 87 Prozent, sind demnach Frauen. Mehr als zwei Drittel (68 Prozent) der Frauen waren laut der Erhebung im Bereich der sexuellen Dienstleistung ohne Anmeldung nach Prostituiertenschutzgesetz von Ausbeutung betroffen. Der Bericht zeigt außerdem, dass 34 Prozent der Betroffenen im Alter von 22 bis 29 Jahren sind und fast die Hälfte, nämlich 48 Prozent, aus westafrikanischen Ländern stammt. Allein aus Nigeria stammten 33 Prozent der ausgewerteten Fälle. Betroffene Personen stammten in 46 Fällen aus Rumänien.
Wenige Fälle landen vor Gericht
Bei der Zuordnung nach Straftatbeständen aus Sicht der Fachberatungsstellen berührten die meisten der ausgewerteten Fälle Formen von Menschenhandel (81 Prozent) und Zwangsprostitution (71 Prozent). In 58 der erfassten Fälle wurde Anklage erhoben wegen Menschenhandel, in 32 Fällen wegen Ausbeutung der Arbeitskraft und in 27 Fällen wegen Zwangsprostitution.
Der Bericht basiert auf den Erhebungen spezialisierter Fachberatungsstellen, die Betroffene von Menschenhandel in Deutschland unterstützen. Über das Dunkelfeld macht der Bericht keine Angaben.
Während der Corona-Pandemie hätten sich laut dem Bericht in der Folge der Schließung von Clubs und Bordellen sexuelle Dienstleistungen verstärkt in Privat- und Ferienwohnungen sowie in Hotels und schwerer zugängliche Bereiche verlagert. Diese Entwicklung habe sich auch nach dem Ende der Pandemie fortgesetzt.
Die Biografien und Erfahrungen der von Menschenhandel und Ausbeutung betroffenen Personen können laut Bericht sehr unterschiedlich sein. Wirtschaftliche oder persönliche Notlagen in den Herkunftsländern, Krisen und Konflikte spielten häufig eine Rolle bei der Entscheidung, eine Arbeit in einem anderen Land zu suchen. Als Gründe für Menschenhandel und Ausbeutung nennt der Bericht falsche Versprechungen über Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten, Unkenntnis über die eigenen Rechte und die Situation in Deutschland in Bezug auf den Arbeitsmarkt und Aufenthaltsrechte.
Forderung: Humanitäres Aufenthaltsrecht für Betroffene
Menschenhandel und Ausbeutung kommen demnach in unterschiedlichsten Formen vor und finden in Deutschland unter anderem in der Prostitution, in Haushalten, der Pflege, der Landwirtschaft, in der Hotellerie und Gastronomie oder dem Reinigungsgewerbe statt. Kennzeichnend seien „immer Elemente des Zwangs, der Täuschung oder der Drohung mit dem Ziel, eine oder mehrere Personen wirtschaftlich oder sexuell auszubeuten“, wie durch Zwangsprostitution, Zwangsarbeit, Ausbeutung der Arbeitskraft, Ausbeutung durch Bettelei, oder Ausnutzung strafbarer Handlungen.
Der KOK fordert ein humanitäres Aufenthaltsrecht für Betroffene von Menschenhandel, die aus unterschiedlichen Gründen nicht im Strafverfahren kooperieren wollen. Zudem soll die Regierung ein Gewalthilfegesetz auf den Weg bringen. Der KOK setzt sich nach eigenem Bekunden „für eine an den Menschenrechten orientierte Politik gegen Menschenhandel ein, die Rechtsansprüche der Betroffenen in den Mittelpunkt stellt.“ Zu den Mitgliedern gehören unter anderem die Caritas und die Diakonie Deutschland.