pro: Herr Marquardt, Sie sind seit Sonntag 90 Jahre alt und betreiben immer noch einen Blog im Internet. Was treibt Sie an?
Horst Marquardt: Die Erfahrung, dass ein Leben mit Christus reich macht und dies wert ist, anderen zu sagen. Ich sehe so viele Menschen, die hilflos und trostlos ihr Leben zu meistern versuchen, aber oft scheitern. Ihnen Hilfe anzubieten und zu sehen, dass Jesus Christus wirklich lebendig ist und die Macht hat, ein Leben zu gestalten, ist es wert, hinausgetragen zu werden in die weite Welt.
Haben Sie keine Berührungsängste mit der Technik?
Ich habe einen sehr lieben jungen Pfarrer, der technisch versiert ist, der mir dabei hilft. Ich denke aber, dass, wenn ein Mensch eine Tätigkeit ausgeübt hat, die er liebt, die ihn fasziniert und gefordert hat, er die Möglichkeiten, das weiter zu betreiben, nutzen wird – über die sogenannte Pensionierung hinaus. Es gibt sicher eine ganze Reihe aktiver Senioren, die das so oder ähnlich wie ich auch tun.
Predigen, verkündigen und Sprache – das war immer Ihre Leidenschaft. Wie hat sich aus Ihrer Sicht die Sprachkultur durch das Internet und die Sozialen Medien verändert?
Erst einmal ist viel schlicht in Englisch. Die Jugend geht damit wie selbstverständlich um. Als alter Mensch muss man manchmal fragen, was dieses oder jenes denn bedeutet. Wenn man jedoch Zugang zu diesen neuen Medien gefunden hat, dann nutzt man sie auch gerne.
Dann überrascht mich das, was ich bei und von anderen lese, oft wegen der Ruppigkeit. Ich selber bin bislang verschont geblieben von diesen rauen und harschen Tönen der Kritik und ich selber gebrauche sie auch nicht. Viele Argumente in den Sozialen Medien sind einfach nur lieblos. Das ist manchmal erschreckend.
Wie sollte man reagieren, wenn man in den Sozialen Medien auf raue Töne oder gar Hass stößt?
Ruhig bleiben, sich nicht verrückt machen lassen. Als Christen können wir beten. Wir sollen nicht Böses mit Bösem vergelten. Also nicht mit gleicher Münze heimzahlen. In manchen Fällen wird es aber ratsam sein, ein Gespräch nicht zu suchen, sondern abzubrechen.
Man muss nicht in jedem Fall reagieren, manches sollte man einfach ertragen und auch für die andere Seite beten. Ich habe sehr viele positive Erfahrungen beim Beten gemacht. Dinge, die ich selber nicht lösen kann, überlasse ich einfach dem Herrn Jesus Christus und sage: Hilf Du doch, kläre Du doch! Ich bitte auch für mich um Geduld, zu ertragen, ohne gleich zu explodieren.
Wie bewerten Sie das Phänomen der Fake News im Internet?
Viele Leute sind noch gewohnt, das zu glauben, was sie im Radio hören, im Fernsehen sehen oder in den Sozialen Medien lesen. Aber wir müssen hellhöriger werden, vielleicht auch misstrauischer. In der Zeit, als ich als Journalist angefangen habe zu arbeiten im Osten, in der späteren DDR, da wurden bereits Nachrichten verbreitet, die nicht mit den Tatsachen übereinstimmten. Ich habe zum Beispiel eine Reportage gemacht und wollte sie ausstrahlen. Die Oberen im Sender haben das nicht zugelassen. Der Inhalt sei nicht mit der Parteilinie vereinbar, sagten sie. Das war ein Schreckschuss, der dann auch meine geistliche Wende einleitete. Das zeigt, dass bereits vor so vielen Jahrzehnten nicht immer die Wahrheit gesagt wurde.
Was bedeutet das für die christliche Publizistik?
Dass sie sehr sorgfältig recherchieren muss und nicht gleich alles für bare Münze nehmen darf. Es gilt, objektiv zu bleiben. Auch ein christlicher Journalist ist nicht davor gefeit, seine eigene Meinung einfließen zu lassen, wenn er eigentlich neutral berichten müsste. Ich habe den Eindruck, dass heute manche Journalisten vor allem ihre eigene Meinung transportieren. Das halte ich nicht für gut. Als Journalist muss man die Kraft haben, neutral neben den Dingen zu stehen. Als Christ braucht ein Journalist dabei seinen Glauben nicht zu verraten. Man sollte auch den Mut haben, über manche Sachen nicht zu berichten, wenn man sie nicht für gut heißen kann.
Wenn man dem Stimmungsbild Glauben schenkt, dann stecken die Medien insgesamt in einer Vertrauenskrise. Wie kann die aus Ihrer Sicht überwunden werden?
Indem man wirklich das Ohr am Mund der Menge hat und sehr viel individuelle Gespräche führt. Das ist zeitraubend. Aber ich kann die journalistische Tätigkeit nicht ausschließlich vom Schreibtisch aus führen, sondern ich muss unter das Volk, muss sehen, dass man mir Rede und Antwort steht. Wenn unsere Leser und Hörer unseren Nachrichten nachgehen, dann müssen sie sehen, dass es stimmt, worüber wir reden. Alles muss hieb- und stichfest sein. Das Publikum darf nicht sagen dürfen: Die christlichen Medien lügen auch.
Sie haben ja maßgeblich an der Entwicklung von ERF Medien, idea und der Christlichen Medieninitiative pro, ehemals Christlicher Medienverbund KEP, mitgewirkt. Wie bewerten Sie die Zukunft dieser Werke?
Christliche Publizistik wird in Zukunft nötiger denn je sein. Wir werden bei den genannten Medien aber auch immer mehr überlegen müssen, was wir tun können, um attraktiv zu bleiben.
Wie bewerten Sie die Medienberichterstattung über Israel und den Konflikt im Land?
Da zeigt sich, dass Journalisten, die mit einer vorgefassten Meinung in die Debatte einsteigen, keine große Hilfe sind. Die Medienberichterstattung über Israel ist deshalb schwierig, weil natürlich in dem Land nicht alles Gold ist, was glänzt. Es ist aber eben auch nicht soviel schlecht, wie es von manchen Medien gemacht wird, die zwar vorgeben, nicht antisemitisch eingestellt zu sein – es aber im Grunde genommen eben doch sind. Es gibt viel Positives über Israel zu berichten. Das darf nicht behindert werden. Ich denke, dass viele Menschen Israel seinen Erfolg neiden. Es ist so ein kleines Land und Volk, hat aber enormes Innovationspotenzial. Das schafft Gegnerschaft.
Was würden Sie Journalisten der drei genannten Werke ins Stammbuch schreiben?
Sei ehrlich, tue dein Werk mit Freuden. Wenn du keine Freude hast, dann suche eine andere Tätigkeit. Vertraue nicht alleine deinem Können, deinen Entdeckungen und Beobachtungen, sondern informiere dich immer wieder neu. Vor allem bleibe in der Abhängigkeit von Gott. Tue dein Werk betend. Immer auch in dem Wissen, dass du nicht nur Menschen für dein Tun Rechenschaft schuldig bist, sondern auch dem lebendigen Gott.
Vielen Dank für das Gespräch!
Ein bewegtes Leben
Horst Marquardt wurde am 14. Juli 1929 in Berlin geboren und wuchs dort in einem christlich geprägten Elternhaus auf. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges schloss er sich zunächst in der Sowjetischen Besatzungszone der Kommunistischen Partei an, da ihm die Partei vor allem durch die Aufbauleistungen imponierte. Innerhalb der KPD war er Mitglied im antifaschistischen Jugendausschuss, aus dem sich die Freie Deutsche Jugend (FDJ) entwickelte.
Marquardt sammelte seine ersten journalistischen Erfahrungen im Sozialismus. Er wurde der Leiter der Jugendfunkabteilung vom Landessender Potsdam und arbeitete von 1949 bis 1950 als Rundfunkredakteur. Er begann an der KPD zu zweifeln, weil ein von ihm produzierter Radiobeitrag nicht gesendet wurde. Der stand nach der Einschätzung eines Parteifunktionärs nicht mit der Parteilinie im Einklang. Das Erlebnis führte ihn in eine Sinnkrise. Marquardt wollte sich nicht länger für die KPD engagieren, brach mit der Partei und flüchtete in den Westen.
In West-Berlin schloss er sich einer freikirchlichen Gemeinde an, wo er sich als Gemeindehelfer engagierte. Nach einem theologischen Studium am Seminar der Methodisten in Frankfurt am Main arbeitete er bis 1956 als Pastor einer evangelisch-methodistischen Gemeinde in Berlin. Marquardt zog für drei Jahre nach Wien und arbeitete für methodistische Gemeinden der Stadt im volksmissionarischen Dienst. Es entstand ein Kontakt zu einem damals neu gegründeten Radiosender in Wetzlar, heute ERF Medien. Dort stellte man den jungen Mann mit Medien- und Rundfunkerfahrung am 1. April 1960 als Programmdirektor ein. Marquardt war maßgeblich am Aufbau des Radiosenders beteiligt, den er bis 1993 als Direktor leitete.
Von 1993 bis 1998 war er als Internationaler Direktor des Radiomissionssenders „Trans World Radio“ (TWR) verantwortlich für die Gebiete der ehemaligen Sowjetunion, des Mittleren Ostens und Afrikas. Marquardt gilt als der Initiator für die Gründung der Evangelischen Nachrichtenagentur idea. Von 1974 bis 1987 war er Mitglied im Hauptausschuss Rundfunk und Fernsehen des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (GEP), zudem Sprecher der ARD-Sendung „Wort zum Sonntag“. 1975 gehörte er zu den Gründern der „Konferenz evangelikaler Publizisten“, heute Christliche Medieninitiative pro. Von 1969 bis zum Erreichen der Altersgrenze gehörte Marquardt dem Hauptvorstand der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA) an. Von 1999 bis 2017 leitete er den „Kongress christlicher Führungskräfte“. Marquardt war 62 Jahre mit seiner Frau Irene verheiratet, die 2017 im Alter von 88 Jahren verstarb. Das Paar hatte vier Kinder.
Von: Norbert Schäfer